Georgia O'Keeffe-Ausstellung in Basel

Meisterin der Nahaufnahme

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Zwei in Öl gemalte Mohnblumen
Das große Gemälde "Orientalische Mohnblumen" (1929) ist Zeugnis von Georgia O'Keefes' Credo: "Die anderen sollen sehen, was ich sehe" © Fondatin Beyeler/Georgia O’Keeffe Museum/ProLitteris
Von Rudolf Schmitz |
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Die Fondation Beyeler stellt in Basel mit 85 Werken die US-amerikanische Künstlerin Georgia O'Keeffe vor. Zu sehen sind sechs Jahrzehnte einer Malerin, die zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit einen eigenen, verblüffenden Weg gefunden hat.
Kohlezeichnungen und Aquarelle aus den Jahren 1915 und 1916 eröffnen die Schau über Georgia O'Keefe in der Beyeler Fondation in Basel. Ein schwungvolles Blatt, betitelt „Early Abstraction“, besteht aus einer Form, die an die gebogene Spitze eines Farnblattes oder auch die Schnecke eines Cellos erinnert.

Früh entwickelter Stil

Landschaftsaquarelle zeigen balkige Wolkenformationen oder die Halbschalenaura eines Abendsterns. Ein verblüffendes Entree, denn eins wird sofort klar: Der spezielle Stil von Georgia O'Keeffe war von Anfang an da, sagt Kuratorin Theodora Vischer:
„Diese Kohlezeichnungen, die vegetabil-organisch sind, und gegenüber hängen die Landschaftsansichten-Aquarelle. Und dieses Nebeneinander ist etwas ganz Entscheidendes. Dass das keine Entwicklung ist vom Gegenständlichen zum Abstrakten, sondern dass sie dies als zwei Möglichkeiten eingesetzt hat in ihrer künstlerischen Sprache“. 

Beobachterin der Natur

Wichtig für Georgia O'Keeffe sind ab 1918 die Jahre in New York, die sie im Einflussbereich des Galeristen, Fotografen und späteren Ehemanns Alfred Stieglitz verbringt, der sie ausstellt, bewundert und sie uns in bezaubernden Fotografien überliefert hat.
Die wenigen in der Ausstellung gezeigten Großstadtbilder aber beweisen: Die urbane Welt ist nicht ihr Ding. Der Lake George im Bundesstaat New York dagegen, wo die Familie Stieglitz einen Ferienwohnsitz hat, wird für Georgia O'Keeffe zum Schlüsselerlebnis.
„Man sieht ja, Inspiration hat sie in der Natur und in der Landschaft gefunden und hat darauf aber immer sehr spezielle Blicke geworfen. Das heißt, sie hat die Landschaft, die Natur neu gesehen, nicht aus der Tradition genommen und weiterentwickelt, sondern aus dem eigenen Erleben, der eigenen Erfahrung, sie hat die Umgebung immer erwandert und auch dann so umgesetzt, dass die anderen sie so sehen, wie sie sie sieht“.

Bilder von Blüten und Tierschädeln

Mitte der 1920er-Jahre entstehen dann auch die monumentalen Blumen- und Blütenbilder, für die Georgia O'Keeffe neben den Tierschädelsujets bekannt geworden ist.
Das Ölgemälde "Pelvis with the distance" von Georgia O'Keefe zeigt einen Tierschädel vor einer weiten Landschaft
"Pelvis with the distance" zeigt einen Tierschädel vor einer Landschaft – ein typisches Sujet von Georgia O'Keefe© Fondatin Beyeler/Georgia O’Keeffe Museum/ProLitteris
In der Fondation Beyeler sind es die Gemälde einer weißen Stechapfelblüte und zweier Mohnblüten, die in ihrer ornamental aufplatzenden Farbigkeit die Malerin auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zeigen. Georgia O'Keeffe geht so sehr ins Close Up, in die Nahsicht, dass man in die überaus verführerische Formenwelt geradezu eingesaugt wird.
„Mit ihrer Suche hat sie in der zeitgenössischen, zeitgleichen Kunst keine Anknüpfungspunkte gefunden, hingegen in der zeitgleichen jungen Schwarz-weiß-Fotografie, in der Straight Photography, was ja eine Parallele zur Fotografie der Neuen Sachlichkeit war. Und besonders bei einem jungen Fotografen, mit dem sie befreundet war, bei Paul Strand, dass also das Detail zum neuen Bild wird“.

Vorwegnahme der Pop Art

Ende der 1920er-Jahre entdeckt Georgia O'Keeffe die Landschaft von New Mexico, die weiten Ebenen, den endlosen Himmel, die ausgewaschenen Tafelberge, die kubische Lehmziegelarchitektur der Indigenen. Ab 1949, nach dem Tod von Alfred Stieglitz, lässt sich die 62-jährige Malerin endgültig in New Mexico nieder, erwirbt eines der Lehmziegelhäuser, malt die tierischen Beckenknochen und Schädel, die sie in der Wüste findet, vor blauem Himmel und flach hingestreckter Landschaft. Das kühn Plakative dieser Bilder wirkt wie eine Vorwegnahme der Pop Art.
Das Gemälde "Landscape Black Mesa" zeigt eine Landschaft mit Bergen
Gemälde wie "Landscape Black Mesa" sind inspiriert von der Landschaft New Mexicos© Fondatin Beyeler/Georgia O’Keeffe Museum/ProLitteris
Immer wieder stellt Georgia O'Keeffe die schwarze Türöffnung ihres Lehmziegelhauses dar, auch in zwei monumentalen Bildern von zwei Meter Breite. Ein schwarzes Rechteck vor grauer oder rot-gelber Farbfläche. Radikal einfach und zugleich geheimnisvoll. Bilder, die von Reduktion und Farbschwingung leben. 
Wir heutigen Kunstbetrachter sind vielleicht kaum noch verblüfft, wenn Abstraktion und Gegenständlichkeit, Ornament und Kargheit, Farbvibration und klare Umrisslinie sich in einem einzigen Bild vereinen. Aber Georgia O'Keeffe galt zu ihrer Zeit oft als Paradiesvogel und eigenwillige Eremitin. Der Schau in der Fondation Beyeler gelingt es, diese Irritation spürbar zu machen und die Malerin zugleich als Komplizin unserer Gegenwart zu feiern.   

„Georgia O'Keeffe“
Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel-Riehen
bis zum 22. Mai 2022

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