"Oftmals ein Krieg zwischen den Geschlechtern"

Edith Schwab im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 31.01.2013
Nach Einschätzung Edith Schwabs, der Vorsitzenden des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter, fehlt dem neuen Sorgerecht auch weiter die Idee, die Stigmatisierung und Benachteiligung Alleinerziehender zu beenden.
Liane von Billerbeck: Auch ledige Väter sind keine schlechteren Väter. Das sagt in der Quintessenz das neue Sorgerecht, das der Bundestag heute verabschiedet hat. Ich bin jetzt telefonisch verbunden mit Edith Schwab. Sie ist Familienrechtlerin und Vorsitzende des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter. Frau Schwab, ich grüße Sie!

Edith Schwab: Ich grüße Sie, Frau Billerbeck!

von Billerbeck: Bleiben wir erst mal beim Gesetz, das den Vätern ja jetzt bessere Möglichkeiten eröffnet. Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass Väter nach wie vor benachteiligt sind. Denn wir haben zwei Menschen, die nicht miteinander verheiratet sind, aber gemeinsam ein Kind gemacht und bekommen haben, und trotzdem hat ja in Deutschland nach der Geburt erst mal automatisch nur die Mutter das Sorgerecht. Das ist doch nicht gleichberechtigt?

Schwab: Die Frage der Gleichberechtigung stellt sich aus meiner Sicht nicht so, wie Sie sie jetzt gestellt haben. Weil, wenn Vater und Mutter einig sind und das Kind wirklich gemeinsam sozusagen willentlich gezeugt haben und auch gut zusammenleben, dann wird es in aller Regel so sein, dass die Mutter der gemeinsamen Sorge des Vaters zustimmt. Das kann sie schon vor der Geburt des Kindes machen. Und wir haben ja immerhin schöne Statistiken, die besagen, dass circa 63 Prozent der Eltern, die nicht verheiratet sind, die gemeinsame Sorgeerklärung ohne Weiteres abgeben.

von Billerbeck: Nun könnte ich natürlich sofort Artikel sechs, Absatz zwei des Grundgesetzes zitieren, Sie wissen, was ich meine: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht."

Schwab: Ein schöner Satz, ja.

von Billerbeck: Nun gibt es ja in vielen Ländern, anders als bei uns, die Regelung, dass von Anfang an beide Partner ab der Geburt des Kindes das Sorgerecht haben, auch wenn sie nicht verheiratet sind. Warum ist das für deutsche Familien nicht so?

Schwab: Wir haben in Deutschland im Kindschaftsrecht das sogenannte Kindeswohlprinzip. Das steht auch im Gesetz. Das heißt, Entscheidungen, die das Kind betreffen, sind am Kindeswohlprinzip auszurichten. Wir haben das Kind in den Mittelpunkt unserer Überlegungen gestellt, zumindest bisher, bis heute, sage ich mal, und nicht unbedingt die Rechte der Eltern. Das ist ein Unterschied, da unterscheiden wir uns von anderen Ländern. Dazu muss man wissen, dass in anderen Ländern das Sorgerecht auch völlig anders ausgestaltet ist als in Deutschland. Sie können mit gemeinsamer Sorge zum Beispiel in England ohne Weiteres als Mutter, die in ihrem Haushalt das Kind hat, den Wohnsitz wechseln, Sie können das Kind in der Schule anmelden, Sie können die ärztliche Betreuung … Sie können sozusagen alles tun bis zum Widerspruch der anderen Seite. In Deutschland ist Recht anders ausgestaltet, das muss man einfach wissen, wenn man diese Diskussion führt: In Deutschland sind wesentliche Entscheidungen für das Kind von beiden Eltern gemeinsam zu treffen. Und das muss ich Ihnen nicht sagen, es liegt auf der Hand, dass damit natürlich auch wesentliche Eingriffe in die Entscheidungen der Mutter, was ihr eigenes Leben anlangt, mit zusammenhängen. Sprich zum Beispiel das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Ich kann als Vater verhindern, mit gemeinsamer Sorge, dass mein Kind umzieht, also mehr als in die nächste Straße, an den nächsten Ort oder einfach weiter weg. Die Mutter muss sich dann überlegen, was sie tut: Nimmt sie den neuen Arbeitsplatz an, wenn der 100 Kilometer entfernt ist, oder geht sie zu Gericht und führt erst mal ein gerichtliches Verfahren. Das sind unterschiedliche Rechtskonstrukte, die wir hier vergleichen, und deswegen ist es immer schwierig, das zu vergleichen.

von Billerbeck: Mit der Novelle des Sorgerechts haben ja Väter nicht gleiches Sorgerecht, aber es wird in vielen Fällen leichter, es schneller zu bekommen. Sie und Ihr Verband, Sie sind ja Vorsitzende des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter, kritisieren nun dieses vereinfachte Verfahren als Schnellprüfung. Warum?

Schwab: Es gibt mehrere Kritikpunkte und da sind wir mit den gestandenen Familienrechtlern eigentlich völlig einig: Das eine ist, wie gesagt: Das Kindeswohlprinzip wird jetzt über Bord geworfen, es gibt ein Schnellverfahren, das der Mutter die Argumentation aufbürdet, was ja bisher bei Gericht ganz anders ist. Wir haben in familiengerichtlichen Kindschaftsverfahren immer das sogenannte Amtsermittlungsprinzip. Das heißt: Der angerufene Richter muss von Amts wegen ermitteln. Die Eltern sollen gar nicht so viel vortragen, die Anwälte sollen gar nicht so viel schreiben, um den Streit nicht noch weiter hochkochen zu lassen, sondern der Richter muss ermitteln. Der muss die Nachbarn, der muss die Eltern anhören, der muss das Kind, wenn es ein gewisses Alter hat, zwingend anhören, er kann einen Verfahrenspfleger beauftragen, er kann ein Gutachten beauftragen. Also, er muss alles tun, um das Kindeswohl zu prüfen. Das fällt jetzt weg. Jetzt sagt man: Die Mutter ist gehalten, innerhalb einer Frist von sechs Wochen, also maximal sechs Wochen sich zu äußern und alles vorzutragen, was normalerweise der Richter ermitteln müsste. Und das ist eine Hürde, die halten wir für völlig unsachgemäß, und ist auch eine völlige Überforderung der Mutter. Zumal, das sagen die Juristen ja auch: Wenn dieser Antrag unmittelbar nach Geburt des Kindes kommt, erst dann kann er ja eigentlich gestellt werden, dann ist die Mutter ja noch in der Mutterschutzfrist. Und da hat sie weiß Gott anderes zu tun – sie muss sich erst in ihrem neuen Leben zurechtfinden –, als jetzt Gerichtsgänge und Anwaltsgänge zu absolvieren.

von Billerbeck: Manchmal frage ich mich, wenn ich Sie höre, Frau Schwab, Sie sind doch Vorsitzende des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter. Stehen Sie da auf einer Seite?

Schwab: Nein, nein. Die Väter haben, wenn es also solche streitige Verfahren gäbe, umgekehrt, haben die natürlich, was das Sorgerecht anlangt, auch sehr oft Probleme. Dazu muss man sagen, Väter haben oftmals ja nicht die frisch geborenen Kinder, sondern die haben Kinder, die in aller Regel etwas älter sind und wo die Mutter ausfällt aus verschiedensten Grünen, aus Krankheitsgründen oder sie stirbt, also die Witwer sind ja auch Väter. Oder, wie gesagt, es gibt wenige Mütter, die sich tatsächlich auch aus der Familie verabschieden und da eben Sorgerechtsstreitigkeiten sind. Wenn die Streitigkeiten auftauchen, ist es leider so, dass die genau so geführt werden. Aber die Brisanz ist einfach sehr unterschiedlich, weil 90 Prozent der Alleinerziehenden sind die Mütter. Und die mit den frisch Geborenen, das sind natürlich immer die Mütter. Also solange Väter noch keine Kinder kriegen, ist da einfach ein elementarer biologischer Unterschied.

von Billerbeck: Nun sind Sie Familienrechtlerin, haben also auch viel Erfahrung mit Müttern und Vätern und Familien. Aus welchen Alltagserfahrungen und Konflikten speist sich denn Ihre Ansicht? Denn was ist denn mit den Vätern, die sich kümmern wollen? Müsste nicht das gemeinsame Sorgerecht von Anfang an …- wäre das nicht auch hilfreich für die Mütter, würde es sie nicht entlasten?

Schwab: Das ist sicher so. Und man kann jede Mutter, die gut mit dem Kindesvater kann, sage ich jetzt mal, die eine Kommunikationsbasis hat, natürlich immer bestärken, das gemeinsame Sorgerecht auch zu erklären oder zuzustimmen, das ist ja eine ganz einfache Vereinbarung, die man treffen kann, und wie gesagt, die meisten machen das ja auch so. Aber jetzt stellen Sie sich den Fall vor, es gibt ja … ich meine, nicht Verheiratete gibt es ja in allen Konstellationen, das ist ein wirklich weites Feld. Man hat nie zusammengelebt, man hat sich vielleicht wirklich nur in dieser kleinen Vereinigungssituation überhaupt getroffen und kennt sich noch nicht mal, es gibt ja auch Frauen, die benennen dann den Mann, mit dem sie da zugange waren, mit seinem Vornamen, sie wissen noch nicht mal seinen Familiennamen. Das heißt, es ist überhaupt keine Beziehung zwischen diesen Eltern. Das ist noch nicht 'mal der schlimmste Fall, weil, diese Beziehung, also, das lehrt das Leben, kann sogar wachsen, wenn dann nachher ein Kind kommt, also, das schließt sich nicht unbedingt aus. Aber es gibt natürlich auch die Fälle, in denen der Erzeuger vehement gegen das Kind argumentiert und die Mutter in der Schwangerschaft, zumindest am Beginn, drangsaliert, das Kind doch bitte abtreiben zu lassen. Ich kenne Fälle, da geht der Vater oder vermeintliche zukünftige Vater mit der Frau zum Frauenarzt, versucht den Frauenarzt zu bewegen, die Mutter zu überzeugen, das Kind doch bitte abtreiben zu lassen. Das heiß, da ist ja noch nicht mal der Funke eines Vertrauens. Und diese Frauen, die sich dann aus diesen Situationen für ihr Kind entscheiden, da muss man doch wirklich sehr viel Verständnis haben, dass sie dann nicht, wenn der Vater auf einmal sieht, aha, ein blond gelocktes zweijähriges Mädchen, das ist doch meine, und jetzt den Sorgerechtsantrag stellt, dass die Frauen sagen: "Nein, also, mit dem jetzt wirklich nicht!" Weil ein Basisvertrauen muss zwischen den Eltern aus meiner Sicht vorhanden sein, sonst geht das gar nicht.

von Billerbeck: Wenn man sich das anhört, dann klingt das dramatisch und man kennt solche Situationen.

Schwab: Ich kann Ihnen Tausende von Fällen erzählen.

von Billerbeck: Ja, ja, das ist klar, die hat auch jeder von uns schon mal gehört oder kennt sie aus dem Umfeld. Trotzdem fragt man sich manchmal, wenn man all die Begriffe hört – Kindschaftsverfahren, Amtsvorbehalt et cetera –, das klingt alles so schrecklich und gar nicht nach Kindeswohl. Ist die Kultur, was Kinder, was das Kinderkriegen, Kinderaufziehen und die Sorge um die Kinder oder das Kindeswohl, was ja immer erwähnt wird, [angeht], einfach nicht ausreichend ausgeprägt in unserer Gesellschaft?

Schwab: Also, das ist eine sehr gute Frage, die Sie stellen, und das trifft aus meiner Sicht eigentlich den Kern. Kinder werden ja auch abgelehnt. Ich habe das eben ja auch geschildert; es wird über Abtreibung gesprochen, bis zur Nötigung. Wenn jedes Kind wirklich willkommen geheißen würde, würde sich vieles in dieser Gesellschaft ändern. Aber die Stigmatisierung auch von Alleinerziehenden ist ja immer noch vorhanden. Das ist ja völlig verrückt; es gibt so viele und die Zahl steigt, und trotzdem gibt es … Sowohl im Gesetz sind die alleinerziehenden Familien benachteiligt, im Steuerrecht sind sie benachteiligt, es gibt so viele Benachteiligungen. Wenn es normal wäre in Deutschland, ein Kind auf die Welt zu bringen, dann würde sich vieles entspannen. Dann gäbe es auch nicht diesen Krieg zwischen den Geschlechtern, das muss man ja auch sagen. Es ist oftmals ein Krieg zwischen den Geschlechtern, der das Kind völlig aus dem Blick verliert. Da gebe ich Ihnen völlig recht.

von Billerbeck: Und der wird auch nicht durch die Novelle des Sorgerechts verändert werden?

Schwab: Leider nicht, nein, überhaupt nicht!

von Billerbeck: Das sagt meine Gesprächspartnerin Edith Schwab, Familienrechtlerin und Vorsitzende des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter. Ich danke Ihnen!

Schwab: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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