Österreich und die Mündigkeit des Genießens

Wählen mit 16, Rauchen erst ab 18

Ein Mann raucht eine Zigarette.
Rauchen nein, wählen ja: Bevormundet Österreich seine Jugendlichen zu stark? © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Andrea Roedig · 09.04.2017
Wählen darf man in Österreich schon mit 16 Jahren, in Zukunft aber erst mit 18 rauchen. Reif genug, über die politischen Geschicke ihres Landes zu bestimmen, nicht aber über ihren eigenen Körper? Eine interessante Verschiebung des Fokus, meint Andrea Roedig in Anlehnung an Kant.
Künftig sollten sich die jugendlichen Österreicherinnen und Österreicher an der Wahlurne nicht mit einer Zigarettenpackung erwischen lassen. Offenbar geht der österreichische Staat davon aus, dass die Vernunftbegabung für politische Teilhabe früher einsetzt als die für Gesundheitsvorsorge. Oder anders herum: Den Regierenden erscheint die politische Mitsprache weniger problematisch als die Gesundheit der jungen Bürger.
Diese Unstimmigkeit ist mit Blick auf die Frage nach der Autonomie der Individuen interessant. Seit der Aufklärung gilt ja der nach wie vor wirkmächtige Anspruch, dass der Mensch sich seines eigenen Verstandes bedienen solle, weil seine Würde in der Selbstverantwortlichkeit liege. Es lohnt sich, Immanuel Kants berühmteste Schrift "Was ist Aufklärung?" von 1784 wieder zu lesen, denn sie enthält ein fulminantes Freiheitsversprechen, das auch heute aktuell ist: Unmündigkeit, meint Kant, beruhe allein auf Faulheit, Feigheit und der Angst, welche die Mächtigen dem Volk einflößen, um es weiter gefügig wie Vieh am Gängelwagen zu halten. "Satzungen und Formeln", so schreibt Kant, "sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit."

Eine Form der Entmündigung

Für gesetzlich verordnete Gesundheitsregeln, wie etwa Rauchverbote, hätte Kant, der zum Frühstück gerne eine Pfeife rauchte, vermutlich wenig übrig gehabt. Denn die Selbstsorge über Verbote zu regeln, ist eine Form der Entmündigung. Was aber nicht heißt, dass Kant jugendliches Rauchen bedingungslos unterstützt hätte. Denn Kant war kein Anarchist oder Revolutionär, sondern ein Reformer. Sich des eigenen Verstandes zu bedienen bedeutet für ihn nicht, die individuelle Freiheit an die erste Stelle zu setzen.
In Kants Moralphilosophie geht es bekanntlich eher streng zu mit der Forderung, der Mensch solle den eigenen Willen – aus freien Stücken – den Gesetzen der Vernunft unterwerfen. Zu dieser Mündigkeit aber muss man erzogen werden. Kinder sollten durch Disziplinierung und Kultivierung schrittweise an den Vernunftgebrauch gewöhnt werden, sagt Kant.
Auch die österreichischen Jugendlichen müssten also spätestens mit 16 nicht nur gelernt haben, ihre Staatsbürgerpflichten vernünftig auszuüben, sondern auch ihren Drogenkonsum verantwortlich zu gestalten. Ist das so? Die Statistiken zeigen, dass die jugendliche Raucherquote, die in Österreich besonders hoch war, zurückgegangen ist – auch ohne die Anhebung des Schutzalters. Offenbar haben andere Maßnahmen der Prävention schon gut gewirkt. Gesetze und Verbote sollten nur als Gerüst dienen, sie können und dürfen den Vernunftgebrauch nicht ersetzen.

Sorge um den Körper, weniger um den Geist

In der Rückschau auf Kant fällt aber eines besonders auf: Eine eklatante Verschiebung der Besorgnisse. Kant ging es als Aufklärer um die Freiheit des Denkens. Diese verteidigte er gegen die Bevormundung durch weltliche und vor allem kirchliche Mächte. Damals nämlich war die Regierung eher um das Seelenheil ihrer Untertanen besorgt, daher reglementierte sie – durch Zensur etwa – was gedacht und gesagt und geglaubt werden dürfe.
Das können wir uns in dem Maße heute kaum noch vorstellen. Heute geht die Sorge auf den Körper. Und sie geht so weit, dass man Jugendliche zwar wählen lässt, aber nicht rauchen. Als freie Geister sollten wir darüber nachdenken, warum gerade der Körper die Regierenden so sehr kümmert. Und was es eigentlich hieße, parallel zur "Freiheit des Denkens" auch eine "Freiheit der Körper" zu fordern.
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