Ökonomin: Regierungen seit der Finanzkrise noch erpressbarer

Susanne Schmidt im Gespräch mit Andreas Müller |
Nach Ansicht der Ökonomin und Journalistin Susanne Schmidt hat die Erpressbarkeit der Politik seit der Finanzkrise noch zugenommen. Grundproblem dabei sei Moral Hazard - ein Markt ohne Moral -, basierend auf dem "instinktive[n] Wissen, dass der Staat einen schon nicht pleite gehen lässt".
Andreas Müller: Monatelang schon hatten die Alarmglocken geschrillt, doch so gut wie niemand im internationalen Bankgeschäft wollte die Warnung hören: Am 15. September 2008 dann, also vor genau zwei Jahren, geschah das vorher Undenkbare – aus New York kam die Meldung: Lehman Brothers, eine der fünf wichtigsten amerikanischen Investmentbanken, sei pleite. Der Konkurs dieser Bank gilt seitdem als Beginn der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Zig Milliarden Euro wurden seitdem aufgewendet, um das Zusammenbrechen wichtiger auch deutscher Banken zu verhindern. Wir stehen in der Pflicht, weil es international eine Abmachung gibt, die besagt: Es darf keine Bank mehr pleite gehen, deren Zusammenbruch schwerwiegende Folgen für den Finanzmarkt bedeuten würde. Das Problem: Die Banken wissen, dass es zu ihrer Rettung praktisch keine Alternative gibt und scheinen das brutal auszunutzen. Gerade etwa hat die Hypo Real Estate 40 Milliarden Euro Bedarf an Staatsbürgschaften angemeldet. Diesen Umstand bezeichnet man auch als Moral Hazard, etwas, das die Bankerin und Journalistin Susanne Schmidt als die Wurzel allen Übels bezeichnet. "Markt ohne Moral: Das Versagen der internationalen Finanzelite" heißt das Buch von Susanne Schmidt, die ich jetzt begrüße. Guten Morgen!

Susanne Schmidt: Ja, guten Morgen!

Müller: Gehen wir noch einmal zwei Jahre zurück: Was haben Sie gedacht, als Sie vom Konkurs der Lehman Brothers Bank hörten?

Schmidt: Also ich muss zugeben, ich habe ganz instinktiv gedacht, Gott sei Dank, all dieser Moral Hazard ist nun mal zu Ende, endlich können wir mal wieder marktwirtschaftliche Ordnung praktizieren, das heißt, Unternehmen, in diesem Fall eine Bank, die nicht ordentlich wirtschaftet, und der es schlecht geht, die darf eben auch pleite gehen. Das war wahrscheinlich zu instinktiv und zu kurz gedacht, denn Lehman Brothers war denn ja wohl der Tropfen sozusagen, der das Fass hat zum Überlaufen bringen lassen, und wir haben es gesehen, einen Tag später kam dann die große Versicherungsgesellschaft AIG, und dann ging es wirklich schlecht los.

Müller: Also Lehman war ja nicht irgendeine, sondern das ist eine der größten Banken der USA gewesen. Wann wurde Ihnen denn mulmig?

Schmidt: Also mulmig war es einem ja schon eine ganze Zeit vorher gewesen. Wir sagen jetzt im Nachhinein, der Anfang der Finanzkrise lag ein Jahr vorher, im August 2007, als die EZB angefangen hat, 100 Milliarden Euro in den Markt zu pumpen. Danach kam dann kurz die Federal Reserve mit extra Liquiditätsspritzen, dann Anfang des Jahres gab es Bear Stearns, auch eine US-Investmentbank, die gerettet werden musste. Also insofern kam es peu à peu, in Deutschland hatten wir ja HRE, kam es peu à peu, aber natürlich, ich wie alle anderen auch habe gedacht, ach, na ja, ist zwar schlimm und der Boden wackelt unter dir, aber wird schon werden. Und dann war es mit einem Mal da.

Müller: Sie haben es eben schon angedeutet: Es drohte die Pleite von AIG; das ist der weltgrößte Versicherungskonzern mit Sitz in den USA, der wurde in letzter Sekunde gerettet, aber nur nach heftigstem Druck führender europäischer Finanzminister und Banker auf den US-Finanzminister Henry Paulsen. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück beschreibt das gerade sehr eindringlich in einem Interview mit dem aktuellen "Spiegel". Was wäre denn passiert, wenn die US-Regierung AIG nicht gerettet hätte? Stand die Welt damals am Abgrund, wie Steinbrück sagt?

Schmidt: Also ich glaube, da hat Herr Steinbrück völlig recht. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass, wenn AIG pleite gegangen wäre, das globale Finanzsystem zusammengebrochen wäre, und durch diese ganzen Kettenreaktionen dann auch die jeweiligen nationalen Bankensysteme. Das wäre ganz, ganz schrecklich gewesen und hätte wahrscheinlich bedeutet, dass das, was wir alle befürchtet haben, dass es nämlich zu einer großen langjährigen Depression kommt mit all dem Schlimmen, was das bedeutet, dass das auch tatsächlich stattgefunden hätte.

Müller: Also tatsächlich so wie die Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann?

Schmidt: Das kann man sich gut vorstellen, dass das so gekommen wäre, ja.

Müller: Nun entsteht, wenn die großen Banken nun quasi gegen eine Pleite versichert sind, nämlich durch Bürgschaften des Staates und damit Bürgschaften der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, ein Phänomen, das man im angelsächsischen Raum Moral Hazard nennt und dass Sie in Ihrem Buch als "Wurzel allen Übels" bezeichnen. Ist es denn wirklich so, dass die Banken diese quasi Versicherung bei Ihren Geschäften einkalkulieren?

Schmidt: Na ja, also man darf sich das natürlich nicht so vorstellen, als kämen die morgens ins Büro und sagten: Also, normalerweise, weiß ich, spekuliere ich mal 100 in diesem oder jenem Markt, aber weil es Moral Hazard gibt und die implizierte Staatsgarantie, setze ich doch mal 300 oder 500 in den Markt.

Müller: Moment – Millionen oder ...

Schmidt: Einheiten, meine ich mal, einfach mal so gesagt. Das geht ja sehr viel subtiler vonstatten. Das ist dieses instinktive Wissen, dass der Staat einen schon nicht pleite gehen lässt, dieses, wenn man das so banal sagen kann, Urvertrauen, dass der Staat hinter einem steht, und das führt dazu, dass die Risikostrategien, nicht das einzelne Geschäft, die Risikostrategien einer betreffenden Bank oder eines bestimmten Hauses verzerrt werden insofern, als Risiko-Kosten-Nutzen-Analysen nicht mehr richtig kalkuliert werden und man dahin tendiert, das Risiko als zu klein zu kalkulieren und insofern Risiken eingeht, die man normalerweise nicht eingehen würde, weil sie zu hoch sind.

Müller: Auf der anderen Seite kann man doch jetzt fragen, ob Regierungen nicht inzwischen längst erpressbar geworden sind durch diese Finanzkrise und die Regelungen zu ihrer Begrenzung.

Schmidt: Die Krise hat es gezeigt: Sie waren auch schon damals erpressbar. Aber diese Erpressbarkeit, denke ich, ist noch größer geworden. Es hat eine Konsolidierung auf dem Bankenmarkt stattgefunden, zum Teil sind Banken weggefallen, weil sie pleite gegangen sind, also liquidiert worden sind, insbesondere in den USA, oder sie sind aufgekauft worden. Zweitens haben wir jetzt regulatorisch schärfere Bedingungen – ich finde, sie sind nicht scharf genug, egal, aber sie sind schärfer –, das bedeutet, dass Banken sich zum Teil gesundschrumpfen müssen oder Teile abspalten müssen. Und das wiederum bedeutet, dass die großen relativ noch größer werden beziehungsweise sogar noch aufkaufen, dann auch absolut noch größer werden. Und das alles heißt: Das Problem ist größer geworden als Konsequenz der Krise, was auch erkannt worden ist von Aufsichtsbehörden und von Politikern, nur leider tut keiner was daran, sondern schaut dem zu, weil ein neues Problem auf den Radarschirm gekommen ist, nämlich: Wie schütze ich meinen eigenen Finanzplatz, wie stelle ich sicher, dass er nicht vom Nebenan-Finanzplatz im Wettbewerb überflügelt wird?

Müller: Die Hypo Real Estate forderte gerade wieder weitere 40 Milliarden Euro an Bürgschaften, sonst, so die knappe Auskunft, sei man am 22. September dieses Jahres pleite. Ist auch das ohne Alternative?

Schmidt: Das ist sehr schwierig von außen zu beurteilen sowieso. Es wird nicht dadurch besser, dass sich die Bundesregierung ja doch sehr bedeckt hält, was Auskünfte und was Transparenz anlangt bei dieser Bank, und es wird auch nicht dadurch besser, dass wir zum Beispiel neulich vom Management der Hypo Real Estate eigentlich ganz Positives gehört haben: Nächstes Jahr könnte es wieder besser laufen. Und schwupp, ein paar Tage später heißt es, 40 neue Milliarden müssen als Garantie her. Also das ist sehr schwierig zu beurteilen. Man muss auf der anderen Seite sehen, dass Banken wie die Hypo Real Estate – aber auch zum Beispiel Sachsen LB, haben wir jetzt auch gehört, dass da mehr Garantien benötigt werden –, dass diese Banken auf, ja, Müllhalden sitzen, auf giftigen Wertpapieren. Die könnten sie natürlich jetzt liquidieren, das heißt aber, dass sie die Buchverluste sofort realisieren, das kostet richtig Geld, bei Hypo Real Estate, 40 Milliarden ist ja nun, wenn ich das so sagen darf, keine Peanuts.

Müller: Nicht mehr, nein. Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit der Bankerin und Journalistin Susanne Schmidt, Autorin des Buches "Markt ohne Moral". Frau Schmidt, welche Konsequenzen müssen nun gezogen werden? Soll man nun die Banken verstaatlichen zum Beispiel?

Schmidt: Nein, also davon halte ich nun wirklich gar nichts. Ich glaube nicht, dass uns das in irgendeiner Weise besser führt. Wir haben es gesehen: Politiker und Beamte sind bestimmt nicht die besseren Banker. Es hat Bestrebungen gegeben, Aufspaltungen der Banken, der großen Banken, vorzunehmen, entweder nach Sparte, eine Sparte ist das richtig klassische Bankgeschäft, auch mit Firmenkundenkrediten, und das andere ist mehr der Eigenhandel und das spekulative Geschäft. Diesen Weg geht man in den Vereinigten Staaten. Der andere wäre natürlich radikale Bilanzverkürzung: Würden wir sagen, statt dass ihr, sagen wir mal, in der europäischen Größenordnung die großen Banken zwei Billionen Euro Bilanzsumme habt, ihr dürft ab so und so nur noch, sagen wir mal, eine haben.

Müller: Also die Banken kleiner machen?

Schmidt: Die Banken kleiner machen. Da will aber keiner politisch dran, denn da müsste wirklich international an einem Strang gezogen werden, da nicht nur Amerika und Europa – das ist ja jetzt auch ganz deutlich: China mit ihren großen globalen Banken, ... also das will keiner.

Müller: Vielleicht abschließend jetzt noch mal gefragt: Was ist überhaupt noch machbar? Wir können ja schlecht nur den Zeigefinger erheben und an die Moral dieser verantwortlichen Spekulanten erinnern, das weisen Sie auch in Ihrem Buch nach, das funktioniert nicht. Was wäre ein Hebel, der richtig ansetzt?

Schmidt: Wenn man die politischen Gegebenheiten in Betracht zieht, dann, glaube ich, der einzige Weg ist ein langer Marsch sozusagen durch die Institutionen; zu sehen, dass bei uns in Deutschland zum Beispiel das geplante Restrukturierungsgesetz, dass das sozusagen Schritte sind in die richtige Richtung, dass aber man gerade man erst so die ersten paar Meter von dem Marathon hinter sich gelassen hat und dass man dranbleiben muss. Ob man nachher dranbleiben wird, weil vielleicht der Druck auf die Politiker und auf die Aufsichtsbehörden geringer wird, das weiß man nicht. Aber als Bürger und als Steuerzahler muss man den Politikern weiter Druck geben, dass sie was tun.

Müller: Das war die Bankerin und Journalistin Susanne Schmidt, Autorin des Buches "Markt ohne Moral: Das Versagen der internationalen Finanzelite". Haben Sie vielen Dank!

Schmidt: Ich bedanke mich!
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