Öffentlicher Nahverkehr in der Coronakrise

"Der ÖPNV wird Opfer seiner eigenen Trägheit"

07:30 Minuten
Blick in eine Bahn: Dort sitzen Menschen mit Masken vor dem Gesicht.
Es sei eine Tragödie, dass durch die Coronakrise derzeit das Auto gewinne, sagt der Mobilitätsforscher Heiner Monheim. © imago images / brennweiteffm
Heiner Monheim im Gespräch mit Axel Rahmlow · 14.10.2020
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Die Verkehrsministerkonferenz der Länder debattieren über die Finanzhilfen für den öffentlichen Personennahverkehr, denn dieser leidet erheblich unter der Coronakrise. Verkehrsforscher Heiner Monheim sieht da auch ein Eigenverschulden.
Aufgrund der Coronakrise sind die Fahrgastzahlen zurückgegangen, dem ÖPNV fehlen Millionen. Der öffentliche Personennahverkehr habe nicht gut auf die Coronakrise reagiert. "Jetzt wird er Opfer seiner eigenen Trägheit", sagt Heiner Monheim, Mobilitäts- und Verkehrsforscher und emeritierter Professor für Raumplanung an der Universität Trier.
Es hätte eine Kommunikation sowie eine Untersuchung geben müssen, wie viele Infektionen tatsächlich in Bussen und Bahnen stattfinden, sagt Monheim. "Das ist insbesondere im Nahverkehr, wo sie nicht stundenlang sitzen, vermutlich kein so großes Problem. Da gehen alle nasenlang die Türen auf. Da kommt Frischluft rein." Im Fernverkehr sei das etwas anders, da seien aber in der Regel die Abstände auch etwas größer.

Mehr Platz im ÖPNV

"Ich glaube, dass der öffentliche Verkehr offensiver hätte sagen können: 'Wir sind nicht der Hotspot des Geschehens, ihr könnt uns weiter vertrauen. Ihr könnt uns weiter benutzen'", sagt Monheim. Allerdings gebe es auch Lehren, die der ÖPNV lernen müsse. Das betreffe langfristige Themen, zum Beispiel wie die Fahrzeuge konstruiert seien.
"Das werden die Fahrgäste, auch wenn Corona vorbei ist, sehr begrüßen, wenn es etwas größere Flächen gibt, wenn die Beinfreiheit etwas größer ist, wenn der Komfort der ersten Klasse überall geboten wird."
Die Politik müsse nicht nur einen Rettungsschirm stellen, fordert Monheim. Sie müsse vor allem "ihre klimapolitischen Hausaufgaben machen" und sie müsse eine ganz neue Finanzierungsbasis für den öffentlichen Verkehr schaffen, damit das, "was klimapolitisch dringend nötig ist, den Autoverkehr massiv zu reduzieren", geschafft werden könne.

Mit Auto Verkehrswende nicht möglich

Es sei eine Tragödie, dass durch die Coronakrise das Auto gewinne, sagt der Mobilitätsforscher. "Denn wir haben nicht nur eine Pandemie, sondern wir haben eine Klimakatastrophe."
Daher brauche es dringend einen Perspektivwechsel. "Wir brauchen eine massive Ausbauoffensive für den öffentlichen Verkehr. Da müssen viele neue Straßenbahnsysteme entstehen, da müssen viele mittelgroße und kleine Busse neue angeschafft werden. Ohne öffentlichen Verkehr ist Verkehrswende und Klimapolitik nicht möglich."
Und auch eine Tarifreform sei nötig. "Der öffentliche Verkehr krankt im Moment am berühmten Tarifdschungel. Jeder hat seine eigenen Tarife. Nichts ist mit nichts vergleichbar. Da ist auch dringender politischer Handlungsbedarf", sagt Monheim.
Derzeit würden vor allem Autobahnen ausgebaut und in Städten Parkhäuser gebaut werden. So werde man keinen Autoverkehr reduzieren und eine Verkehrswende schaffen. "Wir sind grotesk auf der falschen Spur", sagt der Verkehrsforscher.
(nho)
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