Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Israel

Premier Netanjahu attackiert die Pressefreiheit

März 2017: Mitarbeiter des staatlichen israelischen Rundfunks blockieren in Jerusalem eine Kreuzung, um gegen die angekündigte Schließung des Senders zu protestieren.
März 2017: Mitarbeiter des staatlichen israelischen Rundfunks blockieren in Jerusalem eine Kreuzung, um gegen die angekündigte Schließung des Senders zu protestieren. © imago
Von Tim Aßmann · 03.05.2017
Israels neuer öffentlich-rechtlicher Rundfunk sollte längst auf Sendung sein. Doch kurz vor dem Start hat die Likud-Partei von Premier Benjamin Netanjahu eingegriffen: Sie setzte durch, dass der Sender keine eigene Abteilung für Politik, investigative Recherchen und Nachrichten bekommt.
"Bibi ist verrückt geworden. Wir werden hier kein Nordkorea haben", skandieren die Demonstranten. Bibi, so nennen die Israelis ihren Premier Benjamin Netanjahu und die Männer und Frauen, die ihm schreiend unterstellen, den Verstand verloren zu haben, sind Mitarbeiter des neugegründeten öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er ist Ergebnis einer Reform der bisherigen Sender, die zu bürokratisch aufgebaut waren und an den Interessen der Zuschauer und Hörer vorbeisendeten.
Der neue Radio- und Fernsehsender sollte bereits "on air" sein, doch die Politik hat kurz vor Start die geplanten Strukturen komplett geändert und damit die Beschäftigten, wie Yoav Zehavi, gegen sich aufgebracht.
"Ich habe das Gefühl, dass uns ins Gesicht gespuckt wurde. Die Leute hier haben sichere Arbeitsplätze verlassen und zwar nicht, um Karriere zu machen, sondern um einen gesellschaftlichen Schritt zu gehen, der dem Staat echte journalistische Arbeit schenken sollte."
Das Personal des Senders fürchtet nordkoreanische Verhältnisse, weil Benjamin Netanjahus Likud-Partei in der Regierungskoalition durchsetzte, dass der neue Sender keine eigene Abteilung für politische Sendungen, investigative Recherchen und Nachrichten haben soll.
Kulturministerin Miri Regev, ehemals Chefzensorin der israelischen Armee, formulierte es Ende März so:
"Zuerst einmal darf die neue Rundfunkanstalt so nicht zustande kommen. Und wenn sie entsteht, dann muss dies in einer anderen Form geschehen. Denn das ist nicht die Rundfunkanstalt, die wir uns ursprünglich vorgestellt haben."
An anderer Stelle wurde die Ministerin noch deutlicher, als sie fragte, worin der Sinn liege, einen Sender zu gründen, den man nicht kontrollieren könne.
Zusammengefasst lautet der Vorwurf aus dem Regierungslager so: Das Personal des neuen Senders steht politisch zu weit links und ist nicht neutral gegenüber der rechts-religiösen Regierungskoalition.

Israels Medienlandschaft ist relativ überschaubar

Tehilla Altshuker gehört zum Vorstand des israelischen Presserates. Die Medienexpertin des Thinktanks "Israel Democracy Institut" war in die ursprüngliche Reform des Staatlichen Rundfunks eingebunden. Altshuker sieht in dem aktuellen Vorgehen der Netanjahu-Regierung einen Eingriff in die Pressefreiheit.
"Premierminister Netanjahu fürchtet, die politische Kontrolle über diese neue Institution zu verlieren, und deshalb hat er quasi in letzter Minute entschieden, diesen wirklich positiven Prozess zu stoppen und eine weitere Organisation zu gründen, um etwas mehr Kontrolle über die politischen Themen und die Nachrichten in dieser staatlichen Einrichtung zu haben."
Benjamin Netanjahu drohte sogar mit Neuwahlen, um seinen Willen durchzusetzen. Von einem Eingriff in die Pressefreiheit, wie ihn auch Israels Journalistenverband sieht, will Netanjahu selbst allerdings nichts wissen.
"Die Presse ist und bleibt frei. Ich wünsche mir mehr Wettbewerb, Vielfalt und Pluralismus. Das Letzte, was ich will, ist das Gegenteil davon."
Israels Medienlandschaft ist relativ überschaubar. Neben vier großen überregionalen Tageszeitungen gibt es drei wichtige Fernsehsender, zwei private und den staatlichen Kanal sowie eine Reihe von Radioprogrammen und einige Onlineportale.
Journalisten dürfen über alles berichten – unterliegen aber einer Zensur, wenn es um Militär- und Geheimdienstthemen geht. Diese Inhalte finden manchmal über Umwege in die israelische Öffentlichkeit.
Wenn ausländische Medien über Themen berichten, die in Israel der Zensur unterliegen, springen die nationalen Blätter, Sender und Onlineportale häufig auf - unter Verweis auf die Veröffentlichung im Ausland.

Premier spricht lieber mit US-Sendern als mit israelischen Medien

Benjamin Netanjahus Verhältnis zu den Medien ist kein einfaches. Fast alle großen Zeitungen gehen regelmäßig hart mit ihm ins Gericht. Einzige Ausnahme ist ein Gratisblatt, dass einem US-Unternehmer gehört, der mit Netanjahu befreundet ist.
Der Premier, der mit Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen in mehreren Fällen zu kämpfen hat, fühlt sich von den meisten Journalisten seines Landes falsch verstanden, schlecht behandelt und zu wenig gewürdigt. Exklusive Fernseh-Interviews gibt der Regierungschef lieber US-Sendern als den israelischen Kanälen.
Netanjahu wolle die Medienlandschaft in seinem Sinne umgestalten, sagt die Expertin Tehilla Altshuker.
"Netanjahu ist wirklich sehr engagiert, um nicht zu sagen: besessen mit Blick auf Israels Medien. Auch seine engsten Vertrauten können nicht erklären, was ihn nun beim staatlichen Rundfunk antreibt. Es scheint nur ein Symbol zu sein, nur ein Teil von Netanjahus Versuch, die israelischen Medien zu kontrollieren."
Der Start des neuen staatlichen Senders ist nun erst einmal verschoben. Das Parlament muss noch über die Auslagerung von politischer Berichterstattung und Nachrichtenredaktion entscheiden. Unklar ist für die Medienexpertin Altshuker, ob in der Neugründung dann auch die Redakteure arbeiten werden, die für diese Bereiche ursprünglich vorgesehen waren.
"Diese Leute haben Jobs aufgegeben, um Teil eines neuen spannenden Projekts zu sein. Nun ist ihre Zukunft ungewiss. Das ist eine zentrale Bedrohung der Pressefreiheit."
Mehr zum Thema