Ocean Cleanup nur PR-Gag?

Zweifel am schwimmenden Müllsauger

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Ein Prototyp des Ocean Cleanup im Meer aus der Luft aufgenommen
Prototyp des Ocean Cleanup im Meer: Bremer Forscher haben nachgerechnet, was das Projekt gegen den Plastikmüll leisten kann. © picture alliance / dpa / abaca / The Ocean Cleanup
Von Felicitas Boeselager · 24.09.2020
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Ein riesiger Staubsauger: Mit dieser Idee, das Meer von Plastik zu befreien, macht Ocean Cleanup immer wieder von sich Reden. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse, ob das Projekt funktionieren kann – leider keine besonders guten für die Ozeane.
Ein erwachsener Blauwal wiegt etwa 100 Tonnen, das sind 100.000 Kilogramm. Ein schwer vorstellbares Gewicht. Noch schwerer kann man sich aber 400.000 Tonnen vorstellen. Das ist, als würde man 4000 Blauwale stapeln. Und so unvorstellbar viel Plastik schwimmt in unseren Meeren.
Hier spricht Lonneke Holierhoek, die COO von Ocean Cleanup, einem Unternehmen, das vorhat, die Ozeane von unserem Plastikmüll zu befreien. In diesem Image-Video sagt Holierhoek: Ocean Cleanup will das im Meer schwimmende Plastik um 90 Prozent reduzieren, und zwar bis zum Jahr 2040.
Mit diesen Plänen erregt Ocean Cleanup schon seit ein paar Jahren Aufsehen. Das Unternehmen hat über 50 Millionen Euro per Crowdfunding, aber auch bei großen Sponsoren eingesammelt. Und so wollen sie die Meere reinigen: Der Kunststoff soll sich an mehreren, 600 Meter langen, U-förmigen, schwimmenden Barrieren sammeln und kann dort dann von Schiffen eingeholt werden.

Wissenschaftler haben nachgerechnet

Ein Plan, den der Bremer Biologe Sönke Hohn mit Interesse verfolgt hat. Schwer vorstellbar, dass so aller Müll eingesammelt werden kann. Also hat Hohn sich das Vorhaben schließlich gemeinsam mit fünf anderen Wissenschaftlern des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung und der Jacobs University in Bremen genauer angeschaut.
"Viele in der Wissenschaft haben aber gesagt, das funktioniert sowieso nicht", erzählt er. "Und wenn es funktioniert, dann ist das ein Tropfen auf den heißen Stein und deswegen haben wir gesagt, gut wir können es doch einfach mal nachrechnen. Was ist denn der Einfluss, den so was haben könnte?"
Dafür haben die Bremer Wissenschaftler ein Rechenmodell gebaut, in dem sie von einem Best-Case-Szenario ausgehen: 130 Jahre lang schwimmen 200 Müllschlucker durch die Ozeane. Dabei funktionieren sie 24 Stunden lang, an sieben Tage in der Woche und gehen nie kaputt.
Allerdings, auch das haben die Wissenschaftler berücksichtigt, wird sich das Plastikproblem bis ins Jahr 2050 voraussichtlich mehr als verdoppeln. Das wäre dann das Gewicht von über 8000 Blauwalen. In diesem Szenario, erklärt Sönke Hohn, "da sieht man dann zwar einen sichtbaren Erfolg, aber es ist keineswegs so, dass wie das Ocean-Cleanup-Projekt sagt, in 20 Jahren alles gelöst ist."

Ein Tropfen auf den heißen Stein

Denn nach den Berechnungen der Forscher können die Müllschlucker 44.900 Tonnen Müll beseitigen, also ungefähr 400 von den inzwischen über 8000 Blauwalen. Ein Tropfen auf den heißen Stein sei das, sagt der Wissenschaftler Sönke Hohn.
Deswegen sei es auch problematisch, wenn das Unternehmen auf seiner Webseite kommuniziert, es könne das weltweite Plastikproblem lösen.
Das sei, sagt Hohn, "für die breite Allgemeinheit so ein Signal: Da ist eine Firma und die machen das wieder weg, also müssen wir an unseren Verhalten nichts ändern. Das ist dann das, was da transportiert wird, das hat was mit Psychologie zu tun. Natürlich: Niemand möchte an seinem jetzigen Verhalten etwas ändern, wenn das ja unser Wohlstand ist und wenn das ja alles so gemütlich ist."

"Die arbeiten nur an der Oberfläche"

Hinzu kommt, sagt Hohn, dass diese schwimmenden Barrieren ohnehin nur die Sorte Plastik erwischen, die an der Meeresoberfläche schwimmen. Der viel größere Anteil von Plastik in den Meeren sinkt aber ab und bleibt wahrscheinlich unrettbar dort.
"Und natürlich ist das auch so ein indirekter Kritikpunkt an Ocean Cleanup, weil das was die machen, ist mehr oder weniger nur Make-up, die arbeiten nur an der Oberfläche, die arbeiten nicht an dem eigentlichen Problem. Aber das wissen die auch. Die haben selber auch geschrieben, das, was wir hier machen ist der letzte Notgroschen, wie müssen vorher auch darauf achten, dass wir überhaupt weniger Plastik in den Ozean bringen."
Zumal sich auch die Frage stellt: Was tun mit dem ganzen Plastikmüll, der aus dem Meer gefischt wurde?
"Das schwimmt da teilweise seit 40, 50 Jahren schon rum, oder 20, 30 Jahren", erklärt Sönke Hohn. "Das ist dann auch nicht mehr der normalen Plastikproduktion zuzuführen. Das ist eventuell als Rohstoff fürs Recycling gar nicht mehr benutzbar, weil auf den großen Plastikteilen sitzen dann Seepocken, oder andere Organismen, oder das ist mit Algen bewachsen."

Recycling nicht ohne Weiteres möglich

Diese Teile könne man nicht einfach reinigen und dann wiederverwerten. Da bleibt nur noch den Kunststoff energetisch zu recyceln, also zu verbrennen. So kann man dann zum Beispiel Fernwärme erzeugen und zum Beispiel Häuser heizen.
"Das ist nicht schlecht, aber das ist natürlich immer noch keine nachhaltige Lösung, denn auch da entstehen Abgase, CO2. Und wir haben uns jetzt nur CO2 angeguckt. Aber wenn man Plastik verbrennt, dann entstehen noch ganz andere Gase, die zum Beispiel gesundheitsschädlich sind", erklärt Sönke Hohn.
Allerdings ist die Menge CO2, die das verbrannte Plastik aus dem Ozean produzieren würde, verschwindend gering im Vergleich zu dem CO2-Ausstoß, den wir ohnehin tagtäglich produzieren, fügt Höhn noch hinzu.
Nach all diesen Berechnungen und dem ernüchternden Ergebnis, stellt sich die Frage, ob die Projekte Ocean Cleanup sinnlos sind.
"Nein", mein Sönke Hohn, "würde ich nicht sagen. Ich würde eher sagen, wir dürfen uns nicht nur auf das Ocean-Cleanup-Projekt verlassen. Wir müssen auch weiterhin an unserem Verhalten etwas ändern."
Aber selbst, wenn wir jetzt alle auf einen Schlag kein Plastik mehr benutzen würden, dann sind ja schon 400.000 Tonnen Plastik im Meer und wie man mit dieser unglaublichen Menge umgehen soll, dafür gibt es noch keine wirklich überzeugende Lösung.
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