Wintersport in Oberhof

Das St. Moritz des Ostens

23:50 Minuten
Oberhof Thüringen, Sturmvogelschlitten im Winter (Foto: Arkivi-Bildagentur/akpool GmbH)
Vergnügen im Schnee: Sturmvogelschlitten in Oberhof. © picture alliance / Arkivi / akpool GmbH
Von Wolf-Sören Treusch  · 15.01.2023
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Schon vor 100 Jahren besuchten Adel und Filmstars den mondänen Ort. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand hier eine der Medaillenschmieden des DDR-Sports. Jetzt wurden mehr als 80 Millionen Euro investiert, um Oberhof fit für die Zukunft zu machen.
Mitte Februar finden in Oberhof die Biathlon-Weltmeisterschaften statt. Erik Lesser, mehrfacher Welt- und Europameister, der seine Leistungssportkarriere vor einem Jahr beendet hat, wird als TV-Experte dabei sein. Wenn er zu Hause ist, macht Erik Lesser Stimmung für seinen Heimatort. Bei einem kurzen Gang durchs Stadion zeigt er mir, was Oberhof alles unternommen hat, um die kommende WM ausrichten zu können.
Die Zuschauerkapazität im Stadion und an der Strecke hat sich auf 27.500 erhöht. Im Einzelnen alles top-funktional, findet Erik Lesser. Aber dem ehemaligen Biathleten fehlt so ein bisschen "das Besondere, für die Millionen, die hier verbaut wurden". Die Rodelbahn begeistert Lesser allerdings total: "Sieht aus wie eine Schlangenhaut aus Kupfer, sieht echt richtig schick aus. Ne schöne Holzkonstruktion drunter gehauen, da bin ich ein bisschen neidisch als Biathlet.“
Oberhofer Lokalmatador: Ex-Biathlon-Weltmeister Erik Lesser.
Oberhofer Lokalmatador: Ex-Biathlon-Weltmeister Erik Lesser.© Wolf-Sören Treusch

Rennrodelbahn einzigartig auf der Welt

Die Rennschlitten- und Bobbahn Oberhof, die Lokalmatador Lesser anspricht, befindet sich einen Kilometer entfernt von der Biathlon-Anlage. Überdacht wird sie von einer futuristisch anmutenden Holzkonstruktion, darauf Tausende von in der Sonne – wenn sie denn scheint – schimmernden Platten aus einer Aluminium-Kupfer-Legierung. Alle per Handarbeit einzeln zurechtgebogen und verschraubt. Spektakulär. Gesamtlänge: 1350 Meter, Höhenunterschied knapp 100 Meter.
Der Grund für die Umbauarbeiten: In wenigen Tagen beginnen hier die Rennrodel-Weltmeisterschaften. Seit 1971 existiert die Rennrodelbahn, sie ist die zweitälteste Kunsteisbahn der Welt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Eisrinnen verfügt sie über wenige lange Gleitpassagen. Dennoch sind bei der Fahrt durch die insgesamt 15 Kurven Spitzengeschwindigkeiten von 120 Kilometern pro Stunde möglich.
Moritz Elias Bollmann (GER, Deutschland), 12/30/2022, Oberhof (Deutschland), Deutsche Meisterschaften Rodeln Oberhof
Moritz Elias Bollmann im vergangenen Dezember bei den Deutschen Meisterschaften im Rodeln in Oberhof.© picture alliance / foto2press / Steffen Proessdorf

Ganzheitliches Energiekonzept

Unterhalb des Zieleinlaufs steht ein unscheinbares, neues Gebäude, dessen Außenwände Anfang Dezember noch verputzt werden. Hier treffe ich Hartmut Schubert, Staatssekretär im Thüringer Finanzministerium. Seit bald zehn Jahren leitet er für die Landesregierung den Umbau der Sportstätten in Oberhof. Herzstück der Maßnahmen: das ganzheitliche Energiekonzept. „Hier drin sind die Kälteerzeugungsanlagen, die Verdichter“, sagt Schubert. „Und da entsteht auch die Abwärme. Und die wird dann hier oben rum geleitet, das hier sind die Wärmetauscher, um Abwärme sozusagen aufzufangen und ins Netz einzuspeisen, ist jetzt nichts Neues, aber eben halt für so eine Sportanlage einzigartig.“
Was widersprüchlich klingt, ist einfach erklärt. Früher wurde die Abwärme, die beim Vereisen der Rodelbahn entsteht, in die Luft geblasen. Jetzt gelangt sie in die dreieinhalb Kilometer lange, neu gebaute so genannte Kaltnetztrasse. Ein Leitungssystem, aus dem heraus alle Wintersportstätten beheizt werden.

Umbruch nach der Wende

Auf lange Sicht sollen im Stadtzentrum weitere Abnehmer dazukommen: das Sportgymnasium, eine Drei-Felder-Sporthalle, Grundschule und Kita. Trainings- und Wettkampfstätten ressourcenschonend und nachhaltig zu betreiben, stand von Beginn an im Mittelpunkt des gesamten Vorhabens. 84,1 Millionen Euro haben Bund, Land und Kommune seit 2019 in die Erneuerung und Modernisierung der Sportanlagen in Oberhof gesteckt.
Neben Biathlon- und Eis-Arena betrifft das noch die Skisprunganlage mit zwei Sprungschanzen und die riesige Skihalle, in der Langläuferinnen und -läufer schneesicher das ganze Jahr über trainieren können. Eine solche Dichte an Wintersport-Wettkampfstätten sei einmalig in Deutschland, sagt der Oberhofbeauftragte der Thüringer Landesregierung Hartmut Schubert, und deshalb würden auch die Ansprüche steigen. „Wenn man sieht, was in den neuen Ländern alles weggebrochen ist nach der Wende, dann haben wir das auch nicht umsonst investiert, sondern sagen einfach: Der Wintersportstandort, der aus der DDR hier überliefert ist, die Sportanlagen sind ja alle schon teilweise 50 Jahre alt, der sollte halt sich auch hohe Ziele setzen. Und das ist das Ziel, Wintersport-Standort Nummer 1 zu sein.“
Oberhof Winter 1970 Historisches Bild und Foto aus Oberhof im Thüringer Wald. Zu sehen Skiläufer, Wintersportler die eine verschneite Straße entlang gehen. Schnee türmt sich am Straßenrand. Im Hintergrund Tankstelle Minol. Historical Image and Photography from snowy Oberhof Thuringia
Oberhof im Winter 1970: Der Rennsteig-Ort war auch in der DDR ein beliebtes Reiseziel.© imago images / frontalvision.com / H. Blunck via www.imago-images.de

DDR-Medaillenschmiede

Oberhof, 1500 Einwohner, 800 Meter über dem Meeresspiegel: der Wintersportort im Thüringer Wald. Schon um 1900 vertreiben sich hier Adel und Großbürgertum die Zeit mit dem Rennschlitten und in der Loipe. Später besuchen Filmstars wie Marlene Dietrich den mondänen Ort am Rennsteig. Oberhof gilt als St. Moritz des Ostens. Nach Staatsgründung der DDR reist Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, regelmäßig nach Oberhof. Bevorzugt an Weihnachten. Er lässt Oberhof zum ‚Kurort der Werktätigen‘ ausbauen.

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Viele Ski-begeisterte DDR-Bürger wollen Urlaub in Oberhof machen. Eines der 4500 Betten in den staatlichen Erholungs- und Kureinrichtungen zu ergattern, gleicht einem Fünfer im Zahlenlotto. Parallel wird Oberhof zu einer der Kaderschmieden des DDR-Wintersports ausgebaut. Doping-Dilemma und Stasi-Spitzel inklusive. Biathlet Frank Ullrich und Bobfahrer Wolfgang Hoppe trainieren in Oberhof und holen Gold bei Olympia.

Immer weniger Schnee

Zurück zur Biathlon-Arena: dort laufen die Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft weiter. Was mittlerweile fehlt, ist der Schnee. Die wenigen Zentimeter, die Anfang Dezember gefallen waren, sind längst geschmolzen. Und die Wetter-Prognosen sind düster. Gut möglich, dass bis zum Beginn der Biathlon-WM gar kein Schnee mehr fällt. Doch auch darauf ist Oberhof vorbereitet. 40.000 Kubikmeter Schnee lagern in insgesamt fünf Depots, drei davon im Freien unter einer dicken Schicht aus Sägespänen. Schneelager sind mittlerweile an vielen Wintersportorten in Deutschland Standard, nun auch in Oberhof. Es ist alles vorbereitet für die große Party. Die Ausgangslage ist nahezu perfekt. Fehlen nur noch die sportlichen Erfolge – wie 2017 beim Biathlon-Weltcup.
Oberhof ist obenauf: In den kommenden Wochen weht ein Hauch von Olympia durch den beschaulichen Ort. Die Doppel-WM könnte Oberhof sportlichen, wirtschaftlichen und auch touristischen Aufwind verschaffen. Und vielleicht sogar den berüchtigten Nebel vergessen lassen.
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