Energiefresser Wintersport

Oberhof sucht die sparsame Kälte

09:14 Minuten
Luftaufnahme des Skitunnels in Oberhof, Thüringen im Winter.
Skitunnel, Rodelbahnen, Stadien - im Wintersportzentrum Oberhof benötigen viele Wintersportanlagen viel Strom - im Sommer für Kälte und im Winter für Eis und Wärme. © imago / Karina Hessland
Von Bettina Ehrlich · 16.09.2022
Audio herunterladen
Oberhof ist Thüringens Leistungssportzentrum für viele Wintersportarten. Doch die Athletinnen und Athleten müssen auch im Sommer trainieren können. Um für sie Kälte, Eis und Schnee künstlich herzustellen, braucht es Energie. Sehr viel Energie.
Unterhalb der Oberhofer Rodelbahn schleppen Mitarbeiter einer Solarfirma Fotovoltaik-Paneelen über ein Baugerüst auf das Dach eines Garagenkomplexes. Hier werden die ersten von insgesamt 2000 Modulen angebracht. Uwe Theisinger, der Chef des Thüringer Schlitten- und Bobsportverbandes, beobachtet die Szene mit sichtlichem Vergnügen:
"Wir wissen, was für eine Energie wir brauchen, und wir sind dankbar über jeden Tropfen, der eingespart wird. Wir wollen gerne unsere Sportarten durchführen, wir haben Rodeln, Bob und Skeleton. Wir sind sehr erfolgreich und das soll jetzt an der Energie nicht scheitern. Und deswegen ist es genau der richtige Weg, dass das jetzt umgesetzt wird.“

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Tatsächlich ist die Rodelbahn der größte Energiefresser noch vor der Skilanglaufhalle. Rund fünf Millionen Kilowattstunden Strom braucht Oberhof, um alle Sportanlagen am Laufen zu halten. 750.000 Kilowattstunden Strom soll künftig die Sonne pro Jahr liefern, etwa 15 Prozent des gesamten Energiebedarfes. Deshalb soll so ziemlich jedes Dach mit Solarpaneelen zugepflastert werden, sagt Hartmut Schubert, Finanzstaatssekretär und Oberhof-Beauftragter der Thüringer Landesregierung:
„Hier sind es die Anschubstrecke, Technikgebäude, die Garagen, Zielhaus, Herrenstart. Dann hinten das Schießstandgebäude, an der Skihalle, an den Fassaden, an der Schnee-Lagerhalle. Insgesamt sind das 800 Kilowatt Peak und eine Fläche von 3.500 Quadratmetern Fläche.“
Blick auf die Rodelbahn in Oberhof
Derzeit ist das Umfeld der Rodelbahn in Oberhof eine große Baustelle, ein Großteil der Energie für das Eis auf der Bahn soll künftig von vielen Solarzellen im Umfeld erzeugt werden.© Deutschlandradio / Bettina Ehrlich

Ein Betonschlauch in der Landschaft

Nur wenige hundert Meter neben der Rodelbahn steht die Skilanglaufhalle. Ein Betonschlauch mitten in der Landschaft. Sommers wie winters herrschen hier drin minus vier Grad. Ronny Knoll vom Thüringer Wintersportzentrum öffnet das Drehkreuz am Eingang:
„Ähnlich wie bei einer Fußbodenheizung kann man sich das vorstellen. Unter dem Schnee oder im Beton eingezogen sind Leitungen wie Schleifen aufgebaut, und die werden gekühlt. Da liegen wir, glaube ich, bei minus 15 Grad in etwa.“
Vor uns erstreckt sich eine perfekt präparierte etwa zwei Kilometer lange Skilanglaufloipe mit Steigungen von bis zu zwölf Prozent. Ein einziger Skifahrer im Schweizer Laufanzug fährt immer wieder die gleiche Runde und wechselt danach die Ski.
André Niff ist Techniker beim Schweizer Ski-Nationalteam. Er hat einen Spezialauftrag: "Wir sind gezwungen, in Zukunft die fluorierten Produkte zu ersetzen. Das ist eigentlich mein Kernthema.“

Ein Schweizer wachst in Thüringen

Die mit Fluor versetzen Skiwachse sind hochgiftig. Um nachhaltiger zu werden, hat sie der Weltskiverband FIS ab der kommenden Saison komplett verboten. Trotzdem ist es einigermaßen verwunderlich, dass ausgerechnet Schweizer nach Thüringen kommen, um Skiwachse zu testen:
"Grundsätzlich gibt es nicht so viele Möglichkeiten im Sommer, und wenn man das professionell macht für die Nationalmannschaft, dann nützt man natürlich die Gelegenheit, auch wenn es weit weg ist, damit man gewisse Arbeiten auch im Sommer machen kann.“
Ein ungutes Gefühl bleibt trotzdem, gibt der Schweizer Skitechniker zu: „Ja, das ist ein sehr sehr schwieriges Thema und am Ende auch sehr komplex natürlich."

Ich find' es auch verrückt und schade, dass der Klimawandel so schnell Fortschritt nimmt und uns ein bisschen in die Enge treibt.

André Niff, Techniker beim Schweizer Ski-Nationalteam

Und Niff fügt hinzu: "Das andere ist ein bisschen auch die kommerzielle Sache. Der Sport ist wie die Wirtschaft auch ein Business. Und demzufolge ist es schwierig und viele verdienen ihr Geld damit, das ist natürlich auch nicht zu vergessen.“

Gravierende Einschnitte

Auch der lokale Grünenpolitiker Ullrich Töpfer ist hin- und hergerissen. Als Kreistagsabgeordneter in Meiningen hat er 2009 dem Bau der Skilanglaufhalle zugestimmt, obwohl damals schon klar gewesen sei, dass sie niemals nachhaltig betrieben werden könne:
„Da sind zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite ist das ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für unsere Region, wenn da oben Weltmeisterschaften stattfinden oder andere hochrangige Wettbewerbe ausgetragen werden und auch für den Tourismus sehr wichtig. Es wird ja immer gesagt, was da oben stattfindet, ist eine gute Werbung für unseren Landkreis. Andererseits ist das auch immer verbunden mit gravierenden Einschnitten in die Natur.“
Deshalb sei es gut, dass sich in Oberhof in Sachen Nachhaltigkeit endlich etwas tue.
Im langgezogenen Flur des Oberhofer Sportgymnasiums bereitet Langlauf-Trainer Christoph Büttner gerade seine Schützlinge auf einen Crosslauf vor. Die 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen springen über bunte Hütchen.
Sie sollen ihre Beinmuskeln auf die Belastung vorbereiten. Auch wenn heute mal nicht die Skihalle auf dem Trainingsplan steht, sei das Training dort durch nichts zu ersetzen. Das Gleiten auf Schnee könne kein noch so guter Roller imitieren, so der Trainer:
„Die Sportgymnasiasten können im Endeffekt mit Hausschuhen hier alles erreichen und sind auf Schnee. Es ist natürlich ein riesiger Zugewinn, dass sie auf zwei, drei Kilometer auf Schnee laufen können."

Auf Kunstschnee in der Halle

Mindestens drei Mal in der Woche ist Büttners Trainingsgruppe auf dem Kunstschnee in der Halle. Wie nachhaltig Wintersport sein kann, diese Frage beschäftigt den Trainer vor allem dann, wenn er in den kleinen Mannschaftsbus steigt, sagt er. Pro Jahr fährt er damit 120.000 Kilometer, vor allem, um in Trainingslager zu fahren:
„Es ist natürlich auch so, anhand der Problematik steigender Benzinpreise und steigender Rohstoffpreise überlegt man sich natürlich jede Fahrt, die man irgendwo macht."
Der Wintersport wird es künftig immer schwerer haben, sagt Ralf Scholz vom Deutschen Wetterdienst in Leipzig. In den Mittelgebirgen und damit auch in Oberhof wird es zwar auch künftig noch schneien:

"Was man aber aus den letzten Jahren beobachten kann, ist natürlich die Klimaerwärmung und die zunehmende Milderung der Winter.“

Ralf Scholz vom Deutschen Wetterdienst

Der Wintersport muss vorbeugen

Um zu überleben, sei der Wintersport darauf angewiesen vorzubeugen. Oberhof macht das beispielsweise mit einer riesigen Schneelagerhalle. Dort wird Schnee aus dem vergangenen Jahr eingelagert und erst bei bevorstehenden Wettkämpfen auf die Strecke gefahren:
„Für die Schneesicherheit ist das auf jeden Fall eine gute Idee, denn es muss ja an einem Wintersportereignis genau an diesem Tag auch Schnee liegen. Und mit der zunehmenden Milderung der Winter steigt die Wahrscheinlichkeit für milde und regnerische Abschnitte selbst in den Hochlagen der Mittelgebirge", sagt Ralf Scholz.
Doch auch diese Halle verbraucht Energie und Flächen mussten für sie versiegelt werden. Zudem braucht es Unmengen an Energie und Wasser, um den Schnee künstlich herzustellen.
Wenn es kalt genug ist, kann das im Freien passieren. Meist aber wird dafür ein extra abgetrennter Teil in der gekühlten Skihalle genutzt. Wenigstens die Wärme, die der größte Kühlschrank Mitteleuropas abgibt, soll künftig genutzt werden.

Die abgebende Wärme nutzen

Um das zu zeigen, öffnet Ronny Knoll an der Wand der Skihalle ein großes Rolltor. Hier in der Heizungsanlage schraubt Clemens Stützer an einer kleiderschrankgroßen Wärmepumpe:
„Rein theoretisch ist eine Kältemaschine ein großer Kühlschrank. Und am Kühlschrank wird’s halt hinten auch warm. Diese Wärme wird noch mal genutzt und in der Wärmepumpe komprimiert und durch diese Komprimierung wird aus 20 Grad Abwärme 60 Grad heißes Heizungswasser gemacht.“
Per neuer Leitung werden dann beispielsweise Skistadion und unter anderem auch das "H2Oberhofbad" geheizt. Oberhof plant außerdem noch ein eigenes Blockheizkraftwerk – zunächst für Holzhackschnitzel. Welche anderen Energiequellen demnächst für die Stromproduktion zum Einsatz kommen, ist nach Angaben von Staatssekretär Schubert noch nicht entschieden:
"Wir gucken immer, was gerade passiert. Und wir wollen ja auch immer wirtschaftlich sein. Man kann eben - siehe Gas - ganz schnell auf den falschen Weg geraten. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir mal so ein Problem haben, wie wir es jetzt haben. Da hat man gesagt: 'Mensch, das mit dem Holzvergaser funktioniert nicht richtig, das können wir nicht machen, da ist doch Biomethan die richtige Lösung. Jetzt haben wir die Gasknappheit. Da wird auch Biomethan - soweit vorhanden - gebraucht, um das Heizen der Bevölkerung sicherzustellen. Deswegen müssen wir mit dieser Entscheidung noch ein Stückweit in die Zukunft gucken.“

Nach allen Seiten energieoffen

Generell wolle Oberhof nach allen Seiten offen sein und je nach Stand der Wissenschaft die Energieversorgung anpassen.
„Wir denken über kleinere Windkraftanlagen nach, Wasserstoff ist ein Thema. Also das ist alles im Fluss.“ Und es kostet natürlich eine Stange Geld. Allein die Photovoltaikanlage kommt auf rund zwei Millionen Euro.
Oberhof kann sich das Ganze nur leisten, weil der Bund mit 80 Prozent den größten Teil übernimmt, so Schubert:
„Diese ganze Kombination mit Abwärmenutzung, mit Kaltnetz-Warmnetz,  Photovoltaik, Blockheizkraftwerk ist einzigartig und deswegen ist das auch so ein Modellprojekt, das hochgefördert wird vom Bund.“
Schubert ist zudem stolz darauf, dass Oberhof mit dem energetischen Umbau nicht erst zu Beginn der Energiekrise begonnen hat. 
Mehr zum Thema