Oberammergauer Passions-Darsteller in Jerusalem

Auf den Spuren des Menschen im Messias

05:55 Minuten
Ein weites Feld vor dem See Genezareth in Israel. Eine Gruppe von Wanderern ist in der Ferne zu sehen.
Auf der Suche nach dem Geist des Messias: Regisseur und Darsteller der Passionsspiele auf einer Wanderung um den See Genezareth. © Christoph Leibold/Deutschlandradio
Von Christoph Leibold · 07.09.2019
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Christian Stückl ist im wahrsten Sinne des Wortes ein passionierter Theatermacher: Er inszeniert die Passion 2020 in Oberammergau. Bevor es losgeht, pilgerte er mit den Darstellern nach Israel. Um der Person Jesu so nahe wie möglich zu kommen.
Kirchenglocken, Muezzin-Rufe und jüdische Familien, die ausgelassen tanzend Bar Mitzwa feiern – und dazu Menschen aus aller Welt, die sich auf Jesu Spuren durch die Altstadt von Jerusalem zwängen. In diesem Treiben fallen die Oberammergauer, trotz ihrer üppigen Passionsspieler-Bärte, nicht weiter auf. Und doch sind sie eben keine gewöhnliche Pilgergruppe.
"Ich finde, man kann Jesus nur verstehen, wenn man auch den Ort kennt, an dem er gewirkt hat", erklärt Frederik Mayet, einer von zwei Christus-Darstellern im kommenden Sommer. "Wir in unserem lieblichen Oberland mit den grünen Bergen und schönen Seen, das hat natürlich gar nichts zu tun mit der Lebensrealität, die Jesus vor 2000 Jahren hatte, der durch die Wüste gezogen und dann irgendwann nach Jerusalem eingezogen ist. Man kriegt hier einfach die Zusammenhänge ganz anders in seinem Kopf zusammen."

War Jesus sanft oder aggressiv?

Nicht um eine spirituelle Reiseerfahrung geht es also, sondern darum, die eigene Fantasie mit dem Genius Loci aufzuladen. Zum Beispiel im Garten von Gethsemane. Im Schatten der Ölbäume hören die Passionsspieler Maxi Stöger zu. Er wird den Hohepriester Kaiphas verkörpern und liest nun hier eine Stelle aus dem Markusevangelium vor, die unter anderem von Jesu Angst vor dem Kreuzestod handelt.
Im Anschluss an den Vortrag werden die Bibelverse ausführlich besprochen. Vor allem Spielleiter Christian Stückl diskutiert trotz Hitze und Lärm des Verkehrs, der hinter einer Steinmauer vorbeirauscht, mit einer Ausdauer, die seinem Ensemble einiges an Konzentration und Kondition abverlangt.
Regisseur Christian Stückl umringt von Darstellern. Alle tragen einen Bart und wirken nachdenklich und konzentriert.
Nachdenken über Jesum: Regisseur Christian Stückl erwartet Konzentration von den Darstellern.© Christoph Leibold/Deutschlandradio
Stückl interessiert sich vor allem für den Menschen im Messias. Wobei das nicht nur die Schwäche meint, die Jesus im Garten von Gethsemane zeigt, sondern ganz allgemein dessen Emotionalität.
"Wir trauen uns bei Jesus ganz viel nicht, was wir uns schon trauen dürften. Wie weit darf man darüber reden, wie extrem der war? Seine Aggressivität ausloten? Aber irgendwie ist die Figur wahnsinnig verstellt. Jeder kennt sie und hat eine Ahnung von ihr. Und man kommt oft von diesen Bildern nicht weg."

Ein neuer Blick auf die alte Geschichte

Christian Stückl sucht nach einem neuen Blick auf die altbekannte Geschichte. Er kennt das Neue Testament in- und auswendig. Besser als mancher Theologe. Aber er liest es mit den Augen eines Theaterregisseurs, der herauszufinden versucht, was uns diese rund 2000 Jahre alte Geschichte heute zu erzählen vermag.
Der Passionsspiele-Regisseur Christian Stückl hält eine Bibel in der Hand. Im Hintergrund sieht man die goldene Kuppel des Felsendoms.
Mit Leidenschaft dabei: Spielleiter Christian Stückl.© Christoph Leibold/Deutschlandradio
Vor allem die Bergpredigt beschäftigt Stückl. Und die Frage, ob Christus die frohe Botschaft im sanftmütigen Ton eines guten Hirten verkündet hat, oder vielleicht doch mit dem Furor eines Predigers, den der gerechte Zorn antreibt? Jesus-Darsteller Frederik Mayet sagt:
"Man hat das Gefühl, die Reichen in der Welt sind noch reicher geworden und die Armen noch ärmer. Und ich habe das Gefühl, der Christian sucht gerade ganz viele Beispiele raus, wo sich Jesus dazu äußert. Diese sozialen Standpunkte, die Jesus hatte, die sind so aktuell. Und da hoffe ich, dass das noch mehr als 2010 im Passionsspiel drin ist."

Kein E-Scooter statt Esel

Gut möglich also, dass Frederik Mayet auf der Oberammergauer Passionsbühne 2020 als kämpferischer Jesus zu erleben sein wird. Als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit. Soweit das Evangelium diese Interpretation hergibt. Denn so viel ist klar: Trotz allen Bemühens um eine zeitgenössische Lesart, hat Stückl bei der Passion nicht die Freiheiten, als würde er Shakespeare oder Schiller inszenieren. Was übrigens auch ein guter Grund ist, das Ansinnen der Tierschützer von PETA abzulehnen: Jesus beim Einzug nach Jerusalem auf dem E-Roller statt auf einem Esel – das ist schlicht nicht vorstellbar. Und auch sonst findet Jesus-Darsteller Frederik Mayet den Vorstoß befremdlich:
"Der Esel in Oberammergau, der ist zwei Minuten auf der Bühne und muss den Jesus 30 Meter tragen. Von dem her ist der nicht dauerhaft belastet und kommt in keiner Weise zu schaden."
Auch ein Drahtesel ist keine Alternative. Das ginge vielleicht bei "Jesus Christ Superstar", aber nicht bei den Oberammergauer Passionsspielen. Oder wie Kaiphas-Darsteller Maxi Stöger es formuliert:
"Das ist ganz wichtig, dass allen bewusst ist, dass wir nicht nur Theater spielen, sondern dass uns ganz viele Leute besuchen, für die das ein religiöses Erlebnis ist, tatsächlich. Und das birgt eine unglaubliche Verantwortung."
Und da kann es nicht schaden – um auf dem Boden theologischer Tatsachen zu bleiben – sich zur Vorbereitung auf biblischem Grund zu bewegen.
Darsteller der Passionsspiele 2020 posieren in Jerusalem für ein Gruppenfoto mit dem Tempelberg im Hintergrund.
Mentale Einstimmung: Pilgerreise nach Jerusalem als Betriebsausflug des Passionsspiele-Teams.© Christoph Leibold/Deutschlandradio
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