"Obama sind die Hände gebunden"

Moderation: Joachim Scholl · 07.05.2012
T.C. Boyles neuer Roman ist ein Umweltthriller, in dem Öko-Aktivisten und Tierschützer sich bekämpfen. Die Geschichte beruht auf wahren Tatsachen, Boyle selbst ist bekennender Umweltfan und warnt: "Es sieht ziemlich düster aus."
Joachim Scholl: Der amerikanische Schriftsteller T.C. Boyle, Jahrgang 1948, wurde bei uns mit seinem Roman "Wassermusik" in den 80er-Jahren bekannt. Heute hat er weltweit ein Millionenpublikum. Neun große Romane hat T.C. Boyle bis dato verfasst plus etliche Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. Jetzt ist sein neuester Roman auf Deutsch erschienen: "Wenn das Schlachten vorbei ist". T.C. Boyle, willkommen im Deutschlandradio Kultur, welcome to Deutschlandradio Kultur, Mr. Boyle!

T.C. Boyle: Nice to be here!

Scholl: Ihr Roman handelt von einem Umweltkampf, der sich vor der Küste Kaliforniens auf zwei Inseln abspielt. Dort soll das ökologische Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Dazu muss man aber ganz viele Ratten töten. Das wiederum wollen fanatische Tierschützer verhindern und die Sache entwickelt sich dann zu einem Drama mit Toten und Verletzten unter den Öko-Aktivisten. So wie Sie die Ausgangslage schildern, Herr Boyle, und die Situationen auf diesen beiden Inseln Anacapa und Santa Cruz beschreiben, hat man den Eindruck, als ob es diesen Konflikt tatsächlich gegeben hätte. War das so?

Boyle: Joachim, das hat es wirklich gegeben und ich habe davon zunächst erst einmal aus unserer Lokalzeitung erfahren, und es war wirklich eine große Kontroverse, weil es ging nicht nur um die Ratten, sondern in Santa Cruz, und da ist es etwa viermal so groß wie auf Manhattan, auf diesen Inseln, da haben sie 5500 Schweine getötet. Und zwar erst erschossen und dann ließ man sie verwesen, weil es keine Möglichkeit gab, sie wieder zurück an die Küste zu bringen. Und das hat wirklich eine ganz große Krise ausgelöst.

Scholl: Die Recherchen sollen, wie man hört, ziemlich anstrengend für Sie gewesen sein. Sie wurden bei der Überfahrt auf die Insel immer seekrank. Stimmt das?

Boyle: Nun, ich würde allen Berlinern und Deutschen wirklich mal empfehlen, auf die Channel Islands zu fahren, sie zu besuchen. Die sind wirklich ganz wunderbar, und es ist allerdings auch der am wenigsten besuchte Naturpark in den USA. Das liegt einfach daran, dass die See so unruhig ist. Und man braucht eineinhalb Stunden, bis man dorthin gekommen ist. Und nun war es nicht so, dass ich da die ganze Zeit an der Reling stand und eineinhalb Stunden mich hätte übergeben müssen. Ganz so schlimm war es nicht, aber ich war eben immer kurz davor. Und am Anfang nahm ich Tabletten, von denen gesagt wurde, sie würden überhaupt kein Schwindelgefühl erzeugen – das Problem war, ich war danach zwei Tage praktisch bewusstlos. Seitdem nehme ich überhaupt nichts mehr. Man muss einfach leiden.

Scholl: Sie selbst sind als großer Naturliebhaber bekannt, T.C. Boyle, und Sie haben das ökologische Thema schon verschiedentlich in Romanen und Erzählungen behandelt. Ihre beiden Hauptfiguren im neuen Buch, also auf der einen Seite die Ökologin Alma, auf der anderen Seite der radikale Tierschützer Dave. Sie wollen eigentlich beide das Gute, aber am Ende steht das Chaos. Was soll man aber als neutraler Leser davon halten, dass das ganze ökologische Engagement vielleicht gar keinen Sinn hat?

Boyle: Nun, ich habe einen Teil dieser Fragen bereits beantwortet vor zwölf Jahren in meinem Buch "Ein Freund der Erde". Da ging es um globale Erderwärmung. Allerdings ist es nun wirklich nicht mein Job, den Leser zu gewissen Schlussfolgerungen zu bringen. Ich bin lediglich dazu da, zu dramatisieren. Und dann entscheidet der Leser wirklich für sich selbst, was er damit macht. Wenn ich ein Politiker wäre, wenn ich eine politische Aussage treffen möchte, dann würde ich eine Rede halten oder ich würde einen Essay schreiben. Aber ich bin Künstler und ich greife Probleme auf und ich werde dem Leser nicht verraten, auf welcher Seite ich stehe, weil das macht für den Leser auch das Leseerlebnis kaputt. Aber Sie wissen natürlich so ein bisschen, wo ich stehe, oder?

Scholl: Die ganze Widersprüchlichkeit, die innere Widersprüchlichkeit der Helden drückt sich am schönsten aus, als Dave, der ein wohlhabender Mann ist, entdeckt, dass sein nagelneuer, frisch verlegter Rasen von Waschbären verwüstet wird, und da sackt seine Tierliebe doch merklich ab. Sie, Mr. Boyle, Sie wohnen auch in einem tollen Haus, von Frank Lloyd Wright ist es entworfen. Was machen Sie denn, wenn die Waschbären oder die Ratten daran nagen?

Boyle: Das ist eine essenzielle Frage des Buches: Warum nehmen wir Menschen uns das Recht, als eine Spezies darüber zu entscheiden, welche anderen Spezies das Recht haben zu leben? Warum halten wir uns ganze Fabriken, in denen Schweine aufgezogen werden, nur damit wir sie dann wieder essen? Warum werden gewisse Tiere von uns bevorzugt gegenüber anderen und Schweine geopfert? Was jetzt wieder mein Haus anbelangt: Wie Sie wissen, habe ich einen wirklich riesigen Garten, und da können sich die Waschbären auch wirklich austoben. Natürlich machen sie laufend Dinge kaputt, aber dafür sind sie ja auch da, das dürfen sie dort auch.

Bei den Ratten, da ist ein bisschen etwas anderes. Wir hatten mal so eine weiße Ratte, das war wirklich so unser Haustier. Die ist den Kindern wirklich auf die Schultern gekrochen und dann waren nur ein paar Meter davon entfernt hinter die wütenden Cousins, diese wilden Ratten, die waren auch in dem Haus. Und wie ich das Problem löse? Nun, meine Tochter hat eine Katze, und zwar ein richtig großes Vieh, das wiegt so etwa sieben bis acht Kilo. Und neulich, vor zwei Wochen, als die Ratten wieder mal eine Party gefeiert haben, habe ich sie einfach nur oben auf dem Boden ausgesetzt. Und zuerst herrschte Stille, und dann plötzlich hörte man nur ein leises Quietschen.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem amerikanischen Schriftsteller T.C. Boyle über seinen neuen Roman "Wenn das Schlachten vorbei ist". Ihr Roman, der lenkt auch den Blick auf die Politik. Präsident Obama ist vor vier Jahren als dezidiert grüner, umweltbewusster Mann angetreten. Sie haben damals große Hoffnungen in ihn gesetzt, Mr. Boyle. Wie sieht es denn heute aus mit der grünen Wende in den USA? Viel hört man ja nicht mehr davon.

Boyle: Ich bin wirklich ein großer Unterstützer von Obama, und nachdem in der Bush-Ära die Natur regelrecht vergewaltigt worden ist von den Republikanern, darf man auch nicht vergessen, dass sie beide Häuser zurzeit kontrollieren. Damit sind Obama auch wirklich die Hände gebunden. Und ich unterstütze wirklich das, was er unterstützt, nämlich Frauenrechte, Bildung, Naturschutz – ganz anders als die andere Partei, deren einziges Anliegen anscheinend darin besteht, die Leute, die sie unterstützen, noch reicher zu machen und in Amt und Würden zu bringen. Und warten wir es doch einfach mal ab, was in Zukunft geschieht.

Scholl: Sie haben in Ihren Romanen immer wieder uramerikanische Zustände und Mentalitäten behandelt. Von Europa aus nimmt man ja derzeit einen unglaublichen Konservatismus wahr, mit dem die Republikaner auf Stimmenfang gehen, und die Ökologie spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es geht immer nur um Wirtschaft, Wachstum. Besorgt sie das?

Boyle: Ach, ich sorge mich eigentlich um alles. Ich sorge mich um mich, um Sie, ich sorge mich überhaupt um Menschen, um uns Menschen als Rasse, aber auch um Tiere und überhaupt, wie es mit der Erde weitergeht. Ich bewundere die Bewegung der Grünen hier in Deutschland, muss aber sagten, wir haben in Kalifornien unsere eigenen Grünen, die gerade in Kalifornien, wo ich herstamme, eine große Bedeutung haben. Aber das Problem mit dem Naturschutz ist immer, wenn das Benzin auch nur um zehn Cent teurer wird, dann werden wieder die Bohrungen verstärkt, um noch mehr Öl zu bohren.

Und mit all den Problemen, die wir zurzeit haben in dieser Depression mit der Rezession, dann nimmt den Naturschutz wieder keiner wahr, dann ist das wieder kein wichtiges Thema. Und es gibt sieben Milliarden Menschen auf der Erde, die diese Ressourcen brauchen. Und es sieht, ehrlich gesagt, ziemlich düster aus. Aber ich habe einen ganz persönlichen Plan. Ich werde einfach sterben.

Scholl: Das finden wir überhaupt keinen guten Plan, Mr. Boyle, denn dann würden wir ja keine Bücher mehr von Ihnen bekommen. Ihr neues soll schon fertig sein. Wie hat man denn eigentlich in Ihrem Heimatort, in Montesito auf Ihr Buch reagiert, das ist ja wirklich in direkter Umgebung dieser Inseln, die sie beschreiben, die liegen gewissermaßen in Sichtweite. Haben die Bürger gesagt, ja wunderbar, dass das mal erzählt wird in einem Roman?

Boyle: Nun, was das Sterben anbelangt, da gibt es ja nun historische Vorfahren, und irgendwie haben wir das ja alle noch nicht so recht überlebt. Wir müssen alle sterben, mit einer einzigen Ausnahme in der katholischen Mythologie. Die Jungfrau Maria ist direkt in den Himmel gekommen. Nun bin ich keine Jungfrau mehr, aber ich kann es ja mal versuchen. Was jetzt die lokalen Reaktionen anbelangt auf mein Buch, so hat man das doch sehr wohlwollend aufgenommen, gerade eben auch die Umweltschützer haben sich eigentlich gefreut, dass mein Buch auch ein Publikum erreicht.

Und nun sind solche Umweltschützer meistens ein bisschen langweilig und ihre Messages auch ein bisschen sehr eindeutig und natürlich habe ich das dann auch ein bisschen dramatisiert. Und was die Tierschützer angeht, da gab es ein bisschen Gemecker hier und da, eine meiner Lesungen in Brooklyn ist gestört worden, ein Tierschützer fühlte sich bemüßigt, eine große Rede zu halten. Aber neulich traf ich nun wirklich den Mann, auf den meine Figur von David Lejoy basiert, er kam zu mir und sagte: Ich bin David Lejoy! Und wenn der so positiv darauf reagiert, dann muss ihm doch mein Porträt von ihm irgendwie gefallen haben.

Scholl: Der amerikanische Schriftsteller T.C. Boyle. Herzlichen Dank für das Gespräch. Thank you, Mr. Boyle!

Boyle: Bitteschön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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