Kampf ums Überleben

03.04.2012
Nur am Rande geht es in T.C. Boyels "Wenn das Schlachten vorbei ist" um das vermeintliche Drama von Gesellschaft. Liebe und Emanzipation. Im Wesentlichen behandelt er hier die Zerstörung der Schöpfung durch den Menschen.
Es beginnt mit einem Schiffbruch, grandios inszeniert, und es endet mit einem, der ist literarisch nicht minder intelligent. Dazwischen über 400 Seiten pralles Erzählen. Fast wähnt man sich zurück im 19. Jahrhundert, der hohen Zeit erhabener Romane. Aber es ist nicht die große weite Welt, die die Schiffe in T.C. Boyles neuem Roman befahren, es ist immer dieselbe schmale Fahrrinne, die eine kleine unbewohnte Inselkette vor Kaliforniens Küste von Boyles Wohnort Santa Barbara trennt.

Und es ist nicht das vermeintlich überzeitliche Drama von Gesellschaft, Liebe und Emanzipation, das hier verhandelt wird (jedenfalls nicht in erster Linie und allenfalls in Schwundstufen), sondern ein ganz und gar zeitgenössisches: die Zerstörung der Schöpfung durch den Menschen. Wie in einer Versuchsanordnung verlagert Boyle dieses eine Drama, das heute noch relevant ist, exemplarisch auf die Nördlichen Santa-Barbara-Inseln, um vor dieser Kulisse mit großem Orchester einen desillusionierenden Abgesang auf die taub gewordene Hoffnung in die Welt rettende Kraft des Umweltaktivismus zu komponieren, eine bisweilen schrille Symphonie über den Kampf Mensch gegen Tier, der auch ein Kampf Mensch gegen Mensch ist und, nicht zu vergessen, einer von Tieren gegen Tiere. Wenn das Töten auf der einen Insel vorbei ist, beginnt es auf der nächsten. Geht es hier den Ratten an den Kragen, dann dort den wilden Schweinen. Oder den Raben. Oder den Schafen. Oder den Steinadlern. "Das hier ist kein Spiel", heißt es einmal. "Es ist ein Krieg. Ein totaler Krieg."

Aktivisten prallen auf Aktivisten. Der staatliche National Park Service versucht, auf den Inseln wieder ein ökologisches Gleichgewicht herzustellen. Dazu müssen Tierarten, die in der Folge von Schiffbrüchen oder landwirtschaftlicher Nutzung nachträglich auf die Inseln gekommen sind, ausgerottet werden. Gegen dieses Abschlachten setzen sich Tierschützer zur Wehr. Fleisch ist Mord. Eier auch. Und Leder vergrößert noch den Profit der Mörder. Sagen sie. Die anderen wissen ja auch, dass es nicht gut ist, ganze Tierpopulationen auszulöschen. Aber es ist doch "im Dienst einer höheren Sache, für Wiederherstellung, Wiedergutmachung". Meinen sie. Auf den Inseln kämpfen die Tiere ums Überleben, auf dem Festland die Organisationen.

Die treten dem Leser in Gestalt von mehr oder weniger jungen Menschen entgegen, die sich ganz dem jeweiligen Kampf verschreiben. Ihre Biografien und Familiengeschichten, die der Roman eine nach der anderen aufrollt, erklären, wie sie auf dieser oder auf jener Seite der Kampflinie gelandet sind. Es hätte auch anders kommen können.

Am Ende dieses langen, manchmal überraschenderweise eher belehrenden als erzählenden, dann aber immer wieder funkelnden und eben doch großen Romans ist es eine kleine, dreckige, hinterhältige Pointe, die das mühsam gerettete Ökosystem womöglich, wahrscheinlich, sicher wieder aus dem Lot bringen wird. Auf jeden Fall zerstäubt sie den bigotten Glauben aller Aktivisten an sich selbst und ihre Ziele. Eine solche Volte schafft dann wirklich nur ein ganz großer Erzähler.

Besprochen von Hans von Trotha

T. Coraghessan Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Hanser, München 2012
464 Seiten, 22,90 Euro
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