Nur der König wirkt gespenstisch

Von Bernhard Doppler · 18.08.2010
Das Wiener Burgtheater begeisterte zwar mit dem Drama "Phädra" von Jean Racine das Publikum der Salzburger Festspiele, überzeugte aber nicht ganz. Das Stück besitzt viel Potenzial, das allerdings nicht restlos ausgeschöpft wurde.
Die abstrakte Bühne von Johannes Schütz ist äußerst schlicht, lediglich eine breite Wand, die sich um ihre Achse drehen lässt, seine Kostüme sind moderne Alltags- und Abendkleider, fast allesamt schwarz-weiß. Die für die Salzburger Festspiele vorgezogene Premiere des Wiener Burgtheaters von Jean Racines "Phädra" in der Inszenierung des Burgtheaterdirektors Mattthias Hartmann hätte also vor allem ein ungestörtes Fest für Schauspieler sein können.

In Racines Drama liebt Phädra, eine Halbschwester des Minotauros-Monsters, leidenschaftlich ihren Stiefsohn Hippolytos; doch von ihm verschmäht , klagt Phädra nun Hyppolitus vor ihrem Mann Theseus im Gegenzug an, der Sohn habe sich an ihr vergangen. Das 1677 uraufgeführte barocke Drama könnte auch eine moderne Geschichte voller tiefenpsychologischer Ambivalenzen sein. Man kann sich leicht vorstellen, wie die Dramaturgen und Schriftsteller Botho Strauß oder Roland Schimmelpfennig das Stück bearbeitet hätten, wie sie dabei die Mehrdeutigkeiten aufgefächert oder die Gratwanderung zwischen Mythos und Boulevard versucht hätten.

Doch Matthias Hartmann arbeitet diesmal nicht mit ihnen, sondern setzt lediglich die Vorlage in der ein wenig modernisierten Übersetzung von Simon Werle um, assistiert vom Choreografen Ismael Ivo, der die Reden der Figuren mit an Eurythmie erinnernden Gesten verstärkt. Dass Hippolytos (Philipp Hauß) von der Liebe zu seiner Stiefmutter überfordert ist und nur deshalb sich zu Arikia (Sylvie Rohrer) hingezogen fühlt, liest man zwar im Programmheft, in der Aufführung ist seine Abwehr der Stiefmutter nur allzu verständlich: Sunnyi Melles versucht weder ihn, noch das Publikum zu verführen, immer wieder holt sie Luft, um ihre Verzweiflung und Enttäuschung heraus zu schnauben, nicht ganz fern von unfreiwilliger Komik.

Um die Psychologie der Figur zu vertiefen, hat Racine den Figuren einen Vertrauten beigegeben, die Amme Önone (Therese Affolter) oder den Erzieher Theramenes (Hans-Michael Rehberg). Die Dialoge mit ihnen sind eigentliche innere Monologe der Protagonisten, bei denen die seelischen Motive und Selbstzweifel artikuliert werden. Nur König Theseus (Paulus Manker) hat keinen solchen Begleiter, doch mit seinem Auftritt wird der Abend plötzlich gespenstisch und zeigt, was vielleicht möglich gewesen wäre. Paulus Manker Theseus ist ein zwielichtiger, etwas schmieriger Potentat und wohl autoritärer Familienvater, der schon vermisst, plötzlich - wohl von einem Liebesabenteuer – wieder zurückkehrt und familiäre Ordnung zu schaffen sucht. Die Abgründe des Stückes werden auf einmal deutlich.

Das Premierenpublikum feierte dennoch nach einem recht kurzen Abend die Schauspielerpersönlichkeiten. Doch hätte man dafür wohl auch Racines "Phädra" - im abstrakten Rahmen der Ausstattung von Johannes Schütz - mit beliebig anderen antiken Beziehungsdramen austauschen können.
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