Archaisches Schlachtfest

Von Jörn Florian Fuchs · 08.08.2010
Beim "Elektra"-Premierenabend stimmte einfach alles: Die Musik-Text-Symbiose von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal begeisterte das Salzburger Festspiel-Publikum. Unter der Leitung von Nikolaus Lehnhoff und Daniele Gatti kam auch die weibliche Sängerriege richtig in Fahrt.
Es gibt Werke der Opernliteratur, die man am besten einfach erzählt und nicht mit szenischem Schnickschnack und gedankenschlauer Konzepthuberei beschwert. "Elektra" zum Beispiel, jenes gewaltig-gewalttätige Drama der gequälten Seelen und gemarterten Körper inszeniert sich eigentlich fast wie von selbst, die geniale Symbiose aus schroffer, zerklüfteter Musik (Richard Strauss) und messerscharfem, hochpoetischem Text (Hugo von Hofmannsthal) braucht keine Übersetzung durch Kostüme und Kulisse ins Hier und Heute.

Nikolaus Lehnhoff hat dies erkannt und inszeniert im Großen Festspielhaus einen atemlosen, atemberaubenden Opernreißer, archaisch glühend und durchwirkt von immenser Spannung. Das erst als Opfer agierende, später zur (Mit-)Täterin mutierende Monsterweib Elektra erscheint von Anfang an als körperlich und psychisch zerfetztes Häuflein Mensch – fast vollständig determiniert in Gedanken wie Handlungen.

Das bisschen Restautonomie, die wenigen positiven Emotionen zeigen sich nur an einer einzigen Stelle: als die Tochter ihrer Mutter einen Hauch von Mitleid und Verständnis entgegenbringt. Doch Klytämnestras wilde Albträume verwandeln sich bald in grausige Realität, Elektra kann, will und wird sie nicht davor bewahren, bald an einem Fleischerhaken vom Bühnenhimmel herab zu baumeln. Klytämnestras Ende geschieht in einem aseptisch weißen Zimmer, das einzige Helle in den ansonsten konsequent düsteren Räumen.

Raimund Bauer hat ins Große Festspielhaus eine Art Betonbunker gebaut, windschief-schräg ist die Spielfläche, mit diversen Katakomben sowie schießschartigen Fensterchen, hinter denen es immer wieder mal kurz und grell aufblitzt. Mit unglaublicher Intensität agieren die Figuren an diesem unwirtlich-unwirklichen Ort und gehen einem dabei unter die Haut. Zwar trägt Klytämnestra eine edle, dunkelrote Robe, Elektra hat zerfranste Haare etc., doch wird hier nichts zum Klischee, alles greift unheilvoll-stimmig ineinander. Orest erscheint als böser Racheengel, René Pape verleiht ihm sinister-dunkle Töne, während Ägisth in der Interpretation Robert Gambills eher als Lachnummer durchgeht.

Daniele Gatti treibt die Wiener Philharmoniker zu oft sehr lautem, zugleich aber klangschönen Spiel an, auch hier stimmte am Premierenabend einfach alles. Der Drive aus dem Graben übertrug sich auch auf die weibliche Sängerriege, Waltraud Meier verkörperte die in ihren Wahnvorstellungen gefangene Klytämnestra mit vokaler Verve, Eva-Maria Westbroek gab Elektras Schwester Chrysothemis mit flirrendem, irren Verweiflungsmelos. Iréne Theorin schließlich, die sonst gerne große Wagner-Partien übersteuert darbietet, überzeugt als Titelheldin so einigermaßen, sie beherrscht das kraftvoll Eruptive, nicht ganz so die feinen, leiseren Töne.

Ganz am Schluss, nach dem großen Schlachten und einem letzten orchestralen Aufbrüllen, kommen plötzlich spinnenartige Wesen auf die Bühne und widmen sich den Mordgeschwistern. Zu guter bzw. schlechter Letzt obsiegt also keineswegs das Prinzip einer ‚angemessenen’ Rache, die vermeintlich gerecht Rächenden machen Bekanntschaft mit den Erynnien… Dies vermittelt zumindest einen Funken Hoffnung, der bei Strauss/Hofmannsthal in dieser Form nicht angelegt ist und ermöglicht ganz nebenbei ein heute meist verweigertes Erlebnis: das der Katharsis.


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Kultur heute-Beitrag (DLF) - Femme vitale statt Femme fatale
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