Abschaffung des Bargeldes

"Die Sparer sollen enteignet werden"

Zahlreiche Euro-Banknoten und Euromünzen, aufgenommen am 03.01.2014 in Frankfurt am Main (Hessen).
Zahlreiche Euro-Banknoten und Euromünzen, aufgenommen am 03.01.2014 in Frankfurt am Main (Hessen). © picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Daniel Stelter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.05.2015
Sicherer, bequemer und wirksam gegen Steuerhinterziehung: Vieles scheint für eine Abschaffung des Bargeldes zu sprechen. Der Ökonom Daniel Stelter sieht das anders. Den Befürwortern gehe es nur darum, ein Schuldenproblem zu lösen - auf Kosten der Sparer.
Daniel Stelter ist sich sicher: Es gibt auf der Welt nicht zu viel Erspartes, sondern zu viele Schulden. Damit widerspricht der Unternehmensberater Experten wie dem ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Larry Summers. Dieser hatte dafür plädiert, das Bargeld abzuschaffen und negative Zinsen zu erheben - zur Ankurbelung der Wirtschaft. Dann könnten die Menschen, so Stelter, ihr Geld nicht von der Bank abheben und zu Hause bunkern: "Negative Zinsen sollen dazu dienen, die Gläubiger - also die Sparer - offen zu enteignen zugunsten der Schuldner, damit die in der Lage sind, ihren Schulden irgendwie nachzukommen."
Bis zu 5.000 Milliarden Euro Schulden werden nicht mehr ordentlich bezahlt
Nach Angaben Stelters gibt es in der Euro-Zone schätzungsweise zwischen 3.000 und 5.000 Milliarden Euro Schulden, die nicht mehr "ordentlich bezahlt" werden. Es sei sehr unpopulär, die Schulden zu kürzen, weil dann auch die Forderungen gekürzt würden. "Das sehen wir gerade an dem Zirkus in Griechenland: Es wird alles getan - nur darf man nicht sagen, dass wir letztlich unsere Forderungen verloren haben." Stattdessen würden die Schulden tilgungsfrei gestellt - was ökonomisch einem Nachlass gleichkomme.
Dass das bargeldlose Leben bald kommen könnte, glaubt Stelter nicht. Der Widerstand werde zu groß sein: "Wer glaubt, durch Verbote etwas zu erzielen, der irrt."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es soll ja Menschen geben, die kaum oder gar nicht mehr bar bezahlen. Alles läuft via Karte oder manchmal sogar schon via Smartphone. Und es gibt auch immer mehr Bestrebungen, das Bargeld abzuschaffen, nicht nur weil es Geld kostet, Münzen zu prägen und Scheine zu drucken, sondern weil man ohne Bargeld mehr Geld in die Kassen spülen könnte. Bevor wir über eine Zukunft ohne Münzen und Scheine mit dem Unternehmensberater Daniel Stelter sprechen, schauen wir nach Skandinavien, wo man anders als im Bargeld liebenden Deutschland auf dem Weg zur Abschaffung des Geldes ist, wie Ulrike Bosse berichtet.
Daniel Stelter ist Unternehmensberater und Ökonom, Gründer eines auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums, war ein Jahrzehnt bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group und hat 2014 ein Buch veröffentlicht, das heißt "Die Schulden im 21. Jahrhundert". Über die Abschaffung des Bargeldes wollen wir jetzt miteinander sprechen. Er ist nämlich jetzt im Studio. Schönen guten Morgen, Herr Stelter!
Daniel Stelter: Guten Morgen!
von Billerbeck: Es wird ja seit Längerem über das Ende von Münzen und Scheinen diskutiert. Es gab die Äußerungen des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, die haben eine Shitstorm ausgelöst, als der sich für die Abschaffung des Bargeldes ausgesprochen hat. Er ist auch nicht der erste Befürworter: Es gab den ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Larry Summers, der hat das auch getan auf einer Forschungskonferenz des IWF – was, bitte, steckt dahinter?
Stelter: Na gut, vordergründig steckt da die Kombination dahinter, die wir auch gerade im Beitrag gehört haben aus Skandinavien, man kann Kosten senken, es ist sicherer, es ist bequemer, man kann auch Schwarzarbeit bekämpfen, Steuerhinterziehung, das sind die Argumente, die erst mal ins Feld geführt werden. Die Wahrheit liegt aber wahrscheinlich woanders, weil, Sie müssen wissen, Larry Summers hat den Vorschlag in einem Kontext gemacht, nämlich in einem Kontext, wo er gesagt hat, wir bekommen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise die Weltwirtschaft nicht wieder auf Trab. Wir brauchen billigeres Geld.
Wir sehen ja alle, wenn wir zur Bank gehen und Geld anlegen, dass wir faktisch gar keine Zinsen mehr bekommen. Und die Einschätzung von Larry Summers und Kollegen ist, wir bräuchten weltweit negative Zinsen, vier bis fünf Prozent negative Zinsen, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Ich persönlich teile übrigens diese Auffassung nicht, aber es ist seine Auffassung. Nur, wenn Sie natürlich negative Zinsen einführen, ist die Flucht naheliegend, dass Sie das Geld nicht auf dem Konto haben, sondern mit nach Hause nehmen. Und deshalb, wer so stark negative Zinsen haben möchte, muss konsequenterweise auch sagen, ich verbiete Bargeld.
Der Ökononom Daniel Stelter
Der Ökononom Daniel Stelter© Deutschlandradio Kultur / Stefan Ruwoldt
Wir haben zu viele Schuldner, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen können
von Billerbeck: Damit die Leute das Geld nicht von der Bank weg holen und bei sich zu Hause horten.
Stelter: Ganz genau. Und das Problem an der ganzen Sache ist, dass zum einen die Analyse wahrscheinlich gar nicht zutreffend ist, weil Larry Summers sagt, na ja, wir haben in der Welt zu viel Ersparnisse, wir müssen die Sparer zwingen, das Geld auszugeben, nur dann wächst die Wirtschaft wieder. Ich persönlich, Sie haben mein Buch angesprochen, würde sagen, na ja, wir haben eigentlich ein anderes Problem, wir haben zu viele Schulden und wir haben einfach zu viele Schuldner, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen können. Und die negativen Zinsen sollen dazu dienen, die Gläubiger, also die Sparer letztlich praktisch offen zu enteignen zugunsten der Schuldner, damit die Schuldner in der Lage sind, ihren Verpflichtungen irgendwie noch nachzukommen.
von Billerbeck: Nun kennt man das ja, dass, wenn solche Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden und Menschen sie aufs Tapet bringen, die einigermaßen Gewicht haben, dann kann man damit rechnen, dass sich da auch über kurz oder lang die Politik damit beschäftigt. Morgen treffen sich die G7-Finanzminister in Dresden. Meinen Sie, das Thema spielt da auch eine Rolle?
Stelter: Ob dieses Thema jetzt morgen eine Rolle spielt, weiß ich nicht. Prinzipiell wird das Thema eine Rolle spielen, weil letztlich ist es natürlich so, idealerweise jetzt aus Sicht der Politik, müssten Sie natürlich nicht nur das Bargeld in Dänemark abschaffen oder nur in Deutschland oder in einem der Länder, sondern Sie müssten es idealerweise in allen Ländern abschaffen, weil nur so ist die Flucht ausgeschlossen. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Euro mehr bar, dann kann man immer noch mit Dollar sozusagen Bargeld halten, das heißt, die Fluchtmöglichkeit müsste dann konsequenterweise ausgeschlossen werden, und deshalb wäre ein koordiniertes Vorgehen das richtige.
von Billerbeck: Es geht also gar nicht vordergründig darum, Münzen und Scheine abzuschaffen, sondern, wenn ich Sie recht verstehe, um ein völlig neues Geldsystem? Weil, das ist ja die Folge von dem, was Sie da mit Zinsen und Negativzinsen geschildert haben.
Es ist der Einstieg, uns alle in dieses System hineinzuzwingen
Stelter: Ja, sagen wir mal so, was heißt neues Geldsystem? Wir müssen sehen, der 50-Euro-Schein in Ihrer Tasche, das ist eine Schuld der Bundesbank und letztlich des deutschen Staates. Die 50 Euro auf Ihrem Konto bei der Sparkasse oder bei der Bank sind eine Schuld dieser Sparkasse oder Bank. Und wie wir schon gesehen haben in der Finanzkrise, ist das unterschiedlicher Qualität. Weil letztlich ist natürlich der Staat ein besserer Schuldner als jede Bank.
Vor dem Hintergrund ist es der Einstieg, uns alle in dieses System hineinzuzwingen, dass wir keine Möglichkeit mehr haben, daraus zu flüchten, und zum Zweiten natürlich auch um eine Besteuerung, sei es über negative Zinsen oder über formelle Abgaben, wie es in Spanien zum Beispiel schon der Fall ist, sicherzustellen.
von Billerbeck: Was kann ich denn als Bürger dagegen unternehmen?
Stelter: Sie können zum einen protestieren, und zum anderen gibt es auch eine gute Nachricht, weil die Erfahrung lehrt, es gibt immer einen Ausweg. Also, wenn es sozusagen wirklich verboten wäre, dann können Sie immer noch überlegen, dass Sie eben dann, statt mit Euro Ihren Handwerker mehr oder weniger schwarz zu bezahlen, können Sie dann eben auch überlegen, ob Sie das Bier direkt kaufen und ihm das Bier liefern oder eine Kiste Wein. Das heißt, die Bürger werden immer kreativ sein und immer einen Weg finden aus so einem Verbot heraus. Man muss nämlich eins sehen: Geld ist das, was wir als Geld akzeptieren, und wir können Geld eigentlich auch privat schaffen.
von Billerbeck: Das heißt, es könnte auch sein, dass wir zur Ware-gegen-Ware-Wirtschaft zurückkehren müssen, wenn die Politik uns zwingt mit solchen Beschlüssen?
Stelter: Ich glaube, jeder der glaubt, man kann durch Verbote etwas erzielen, irrt sich sowieso. Das ist die gute Nachricht: In der ganzen Geschichte von Geld in den letzten 5.000 Jahren und noch mehr haben die Menschen immer einen Weg gefunden, etwas zu nehmen, was sie selber als werthaltig empfunden haben und was frei war von Regulierung. Das würde auch wieder erfolgen. Nur, es würde komplizierter werden. Vor dem Hintergrund – man muss die Wahrheit sagen, es geht darum, ein Schuldenproblem zu lösen, und es geht nicht darum, irgendwelche Steuerhinterzieher oder irgendwelche Kosten zu senken.
Zirkus um Griechenland: Man müsste einen Schuldenschnitt machen
von Billerbeck: Und das hieße aber auch, wenn man ein Schuldenproblem lösen will, dann kommt ja immer ein Thema ins Spiel, wo Leute ja immer gleich panisch reagieren, nämlich das Thema Schuldenschnitt. Was hieße denn das?
Stelter: Na gut, nehmen wir mal die Europäische Union. Wenn Sie den Euro anschauen, in der Eurozone haben wir je nach Schätzung zwischen 3.000 und 5.000 Milliarden Schulden, die eigentlich nicht mehr ordentlich bezahlt werden können, ein großer Betrag. Und zwar ganz klar nicht nur Staatsschulden – wenn wir immer über Griechenland reden, wenn Sie an Portugal, wenn Sie an Irland denken, haben wir auch sehr hohe Privatverschuldung, Spanien gleichermaßen. Und diese Privatschulden werden nicht getilgt werden können. Und dann ist die Frage, wie schafft man diese Schulden aus der Welt.
Und Sie müssen einfach eines wissen: Wenn Sie die Schulden kürzen, dann werden auch die Forderungen gekürzt, das gehört nun mal zusammen, und da muss man eben auch den Gläubigern sagen, ihr verliert etwas Geld. Das ist sehr unpopulär. Das sehen wir gerade auch an dem, ich würde mal sagen, Zirkus um Griechenland. Es wird alles getan, nur darf man nicht sagen, dass wir letztlich unsere Forderung verloren haben. Stattdessen wird dann eben zinsfrei gestellt, tilgungsfrei gestellt, was ökonomisch dasselbe ist.
Das heißt, man müsste eigentlich einen Schuldenschnitt machen, es ist politisch unpopulär, und darum gibt es eben diese Umwege über Negativzinsen und Ähnliches. Man müsste uns ganz klar sagen, es kostet etwas, es kostet ziemlich viel, und wir machen den Schnitt – wird sich nicht getraut, man versucht es durch die Hintertür.
von Billerbeck: Wie ist denn Ihre Prognose für die Abschaffung des Bargeldes? Werden wir sie bekommen, und wenn ja, wann werden wir sie bekommen?
Stelter: Also ich glaube nicht unbedingt, dass wir sie bekommen werden. Ich glaube, der Widerstand dazu wird zu groß werden. Und selbst wenn es in die Richtung geht, dürfte es noch jahrelang dauern, bis es so weit ist. Insofern würde ich da noch entspannt sein.
von Billerbeck: Daniel Stelter war das über die möglichen Folgen einer Zukunft ohne Bargeld. Danke für das Gespräch! Mehr dazu auch bei uns im Netz unter deutschlandradiokultur.de und auch heute Abend in der Sendung "Zeitfragen" geht es bei uns um das Thema Schuldenschnitt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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