NSU und das Theater

Der Prozess als Bühnenstoff - eine Chronologie

Im Badischen Staatstheater Karlsruhe probt am 28. März 2014 Sophia Löffler (Beate Z.) in einem Kostüm der Rosaroten Panthers das Schauspiel " Rechtsmaterial " ein NSU-Projekt von Jan-Christoph Gockel und Konstantin Küspert.
Szene aus dem Schauspiel "Rechtsmaterial" im Badischen Staatstheater Karlsruhe aus dem Jahr 2014. © dpa / picture alliance / Uli Deck
Von Alexander Moritz · 10.07.2018
Über fünf Jahre hat der NSU-Prozess gedauert. Neben dem Münchner Gericht haben sich auch die Theater in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Rechtsterrorismus auseinandergesetzt – nicht immer fruchtbar.
Der NSU auf der Theaterbühne – das ist eine heikle Angelegenheit: gibt man den Tätern zu viel Raum, könnte das wie eine Glorifizierung wirken. Und doch konnte der jahrelange Rechtsterrorismus nicht spurlos an den Bühnen vorbeigehen. Siebeneinhalb Jahre nach Auffliegen des NSU gibt es rund zwei Dutzend Stücke, die sich mit der Terrorserie auseinandersetzen.
Eines der ersten stammt von der Regisseurin Mareike Mikat. Im Juni 2013 inszenierte sie am Staatstheater Braunschweig ihr Stück "Unter Drei". Ein Einblick in das WG-Leben des Terrortrios, durchsetzt mit allerlei Absurditäten.

Absurd, laut, poppig

Ein halbes Jahr später folgte am Schauspiel Frankfurt Lothar Kittstein: In "Der weiße Wolf" fantasierte er das Terrortrio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos als drei Psychopathen in einer sexuell aufgeladenen Dreierbeziehung, gefangen zwischen Prüderie und Wollust - einer Spannung, die sich schließlich in Gewalt entlädt. Ein Ausschnitt:
"Lass uns in Ruhe. – Was? Das geht nicht. – Geh weg! – Das geht nicht, ich habe einen Auftrag. – Von wem? – Von niemandem, er ist einfach da so wie das Land da draußen. So wie die fette schwarze Muttererde, die in meinen Adern fließt. Das ist das Blut, das in dieses Land geflossen ist, seit tausenden von Jahren."
So wie hier muss beim NSU immerfort hysterisch geschrien worden sein - anders konnten sich Theatermacher den Irrsinn des Mordens offenbar nicht erklären.
In anderen Stücken diente der NSU derweil nur als popkulturelle Referenz – so wie in der Inszenierung von Elfriede Jelineks Wagner-Bearbeitung "Rein Gold" an der Berliner Staatsoper im März 2014.
Premiere von Elfriede Jelineks Wagnerbearbeitung "Rein Gold" am 09.03.2014 im Schillertheater Berlin. Szene mit Jürgen Linn (als Wotan, Mitte) vor dem brennenden Wohnmobil des NSU-Trios.
In der Inszenierung von Elfriede Jelineks Wagnerbearbeitung "Rein Gold" dient der NSU lediglich als popkulturelle Referenz.© imago / DRAMA-Berlin.de
Jelinek nahm sich den NSU wenig später noch einmal explizit vor. Aus Prozessprotokollen und Medienberichten montierte sie ein Bild der Angeklagten Beate Zschäpe als "Das schweigende Mädchen". Weil Zschäpe im Prozess bis dahin beharrlich schwieg, überlagerte Jelinek ihre Figur mit biblischen Motiven – machte die unfruchtbare Zschäpe zur Mutter der beiden Uwes.
"Die Jungfrau wird schwanger werden. Sie wird geboren werden, kaum geboren schon kastriert. Weg mit den Eierstöcken! – die Jungfrau"
Diese ersten NSU-Bezüge auf der Bühne wirkten bisweilen ein wenig hilflos. Mit der Zeit jedoch bemühten Theatermacher zunehmend dokumentarische Ansätze, arbeiteten mit Ermittlungsakten und anderen Originalquellen.

Dokumentarisches Theater statt Geschrei

Am akribischsten tat das Regisseur Jan-Christoph Gockel. Zur Vorbereitung des Stücks "Rechtsmaterial" besuchte er gemeinsam mit seinen Darstellern den NSU-Prozess ebenso wie das KZ Dachau. Gestützt auf umfangreiche Recherchen zeigte Gockel im März 2014 auf der Bühne des Badischen Staatstheaters Karlsruhe die Kontinuität rechtsextremen Denkens in der Bundesrepublik auf - den Kontext, der es den NSU-Mitglieder erlaubte, ihr Morden als legitimen Widerstand zu begreifen.
"Verfolgung und Strafe zwingen uns, anonym und unerkannt zu agieren", sinnieren die NSU-Terroristen im Stück. Der Gang in den Untergrund war für die Rechtsradikalen ein logischer Schritt, so Regisseur Gockel.
"Eigentlich ist das immer noch das gleiche Prinzip. Die sitzen vor Gericht und sitzen das aus. Und dadurch wird der Prozess auch öffentlich uninteressant. Es kommt nichts raus. Die Zeugen, die da auftreten, die sagen einfach gar nichts. Und das hat leider eine längere deutsche Tradition, dieses Verschweigen, dieses Schweigeprinzip."
Das Schweigen und Rausreden vor Gericht verdeutlichten auch die szenischen Lesungen unter dem Titel "Offener Prozess". Seit Dezember 2014 wurden dabei an verschiedenen Theatern Passagen aus Verhandlungsakten des NSU-Prozesses verlesen.

Die Opfer rücken ins Blickfeld

Nicht ohne Kritik blieb, dass die ersten NSU-Stücke auffällig vor allem um die Täter kreisten – berauscht von der Faszination des Bösen. Erst später rückten die Opfer in den Mittelpunkt.
Im April 2014 inszenierte Christine Umpfenbach am Münchner Residenztheater ihre "Urteile" - basierend auf Gesprächsprotokollen mit Angehörigen und Freunden der beiden in München vom NSU Ermordeten.
"Warum haben Sie mich nicht zu ihm gelassen? Zu ihm in den Laden. Zumindest um seine Hand zu halten. Er ist ganz einsam und alleine dort gestorben."
Die Gespräche waren der Leitfaden für Regisseurin Umpfenbach.
"Mir war deswegen wichtig, dass die Schauspieler wirklich Stellvertreter sind. Dass sie wirklich im Sinne der Interviewten sprechen und nicht irgendwas anderes draus machen."
Die Eltern des ermordeten Halit Yozgat, Ayse und Ismael, sitzen am 06.04.2016 bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel (Hessen).
Die Eltern des ermordeten Halit Yozgat, Ayse und Ismael, bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach der Ermordung ihres Sohnes in Kassel© picture alliance/ dpa / Swen Pförtner
Die Perspektive der Opfer schildern und den Angehörigen eine Stimme geben, dieses Anliegen verfolgten auch die "NSU-Monologe" von Michael Ruf und "Die Lücke" von Nuran David Calis – letzteres ein Stück über den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße. Auf der Bühne des Schauspiel Kölns standen dabei auch Menschen, die am Anschlagsort wohnten. Genau dieses migrantische Umfeld also, dem Ermittler und Öffentlichkeit lange Zeit fälschlicherweise die Schuld an den Morden zugeschrieben hatten, wie sich Laiendarsteller Kutlu Yurtseven schmerzlich erinnert.
"Ich repräsentiere die Menschen auf der Kolbstraße und ich repräsentiere eine Kränkung und versuche mit diesem Stück diese Kränkung irgendwie wieder zu kitten und irgendwie doch mal wieder mit Optimismus in die Zukunft zu schauen."
Das Theater solle die Lücke in der Kölner Stadtgesellschaft schließen, hoffte Regisseur Calis.
"Ich finde nicht, dass das Opfer sind, die da auf der Bühne stehen. Das sind Leute, die sich wehren."
Vernehmungsprotokolle, Zeugnisse der Hinterbliebenen, Betroffene auf der Bühne im Zeugenstand – zahlreiche Stücke machten das Theater zu einer Art Ersatzgericht.

Theater als Ersatzgericht

Am konsequentesten verfolgte diesen Ansatz das "NSU-Tribunal", das im Mai vergangenen Jahres am Schauspiel Köln stattfand. Hier wurden die Grenzen zwischen Theaterperformance und Aktivismus gezielt verwischt. Am Ende der mehrtägigen Aktion stand eine Anklageschrift: 90 Namen von bekannten Rechtsextremen, Geheimdienstlern, aber auch Politiker und Journalisten. Mitorganisator Daniel Poštrak:
"Mit der Anklage wollen wir eben auch sichtbar machen, dass rassistischer Terror nicht funktioniert aufgrund von Taten einer kleinen Nazi-Zelle. Sondern es braucht ein ganzes Ensemble von gesellschaftlichen Akteuren, die das möglich machen."
Özcan Yildirim (M), vor dessen Friseursalon in der Keupstrasse eine Nagelbombe explodierte, spricht am 17.05.2017 in Köln beim "Tribunal NSU-Komplex auflösen". Das "Tribunal" will Mitverantwortliche für den NSU-Terror namentlich anprangern und dauert bis zum 21.05.2017.
Özcan Yildirim (M), vor dessen Friseursalon in der Keupstrasse eine Nagelbombe explodierte, spricht beim NSU-Tribunal in Köln.© picture alliance / dpa / Henning Kaiser
Von absurd-überzeichnet bis faktentreu-dokumentarisch: der NSU wurde in vielfältiger Weise auf den Theaterbühnen behandelt. Für die Theater versprach das Thema breite öffentliche Beachtung. Und auch die Gesellschaft hatte einen Nutzen, sagt Theaterkritikerin Dorothea Marcus.
"Es ist tatsächlich so, dass das Theater da auch an vielen Orten über sich hinausgewachsen ist. Denn das, was der Prozess einfach nicht leisten konnte, konnte das Theater tatsächlich tun. Also es konnte den Opfern ein Gesicht, eine Stimme, auch eine Art von Gestaltungskraft verleihen. Ich finde, es hat im besten Sinne eine aufklärerische Funktion, die dabei wirklich erfüllt wird."
Aufklärung wird weiter nötig sein. Auch nachdem im Münchner Prozess das Urteil fällt, sind viele Umstände der Mordserie weiterhin ungeklärt. Stoff und Grund genug für weitere Stücke zum NSU.
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