NSU-Theaterstück in Istanbul

"Ich dachte, in einer Demokratie könnte so etwas nicht passieren"

Szene aus Tuğsal Moğuls "Auch Deutsche unter den Opfern"
Szene aus Tuğsal Moğuls "Auch Deutsche unter den Opfern" © Foto: Mirko Heinemann
Von Mirko Heinemann · 10.02.2018
Seit zwei Jahren tourt das Theaterstück des deutsch-türkischen Regisseurs Tuğsal Moğul über die Morde des NSU über deutsche Bühnen. Jetzt wird "Auch Deutsche unter den Opfern" in Istanbul in türkischer Sprache uraufgeführt.
Die Probe findet auf der Bühne eines kleinen Theaters im Zentrum Istanbuls statt, im Stadtteil Beyoğlu. Selbst wenn man nicht versteht, was die drei Schauspieler vortragen, läuft einem ein Schauer den Rücken hinunter. Immer wieder stechen deutsche Namen hervor. Die Namen von Mördern.
Die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe haben nach allem, was bisher bekannt ist, zehn Menschen getötet, zwei Bombenanschläge verübt und 15 Raubüberfälle. Ihre Opfer haben sie willkürlich ausgesucht, es waren einfach Menschen mit ausländisch klingenden Namen. Türkische, kurdische, griechische Namen. Und eine deutsche Polizistin. "Auch Deutsche unter den Opfern." So hat Tuğsal Moğul sein Theaterstück genannt.
"Wenn diese Opfer andere Namen gehabt hätten, hätten die Thomas geheißen oder Peter und die Mörder wären Abdullah, Mustafa und Fatma gewesen - ich glaube nicht, dass es 13 Jahre gedauert hätte, bis man diese Morde aufdeckt."

Wenig Wissen über die NSU-Morde

Der Regisseur sitzt auf einem Stuhl und dirigiert die Schauspieler mit ausladenden Handbewegungen. Tuğsal Moğul ist in Westfalen geboren. Seine Familie stammt aus Istanbul. Für ihn ist die Millionenstadt am Bosporus so etwas wie eine zweite Heimat. Als Stipendiat der von Deutschland finanzierten Kulturakademie Tarábya traf er sich dort mit türkischen Künstlern, um über eine Zusammenarbeit zu sprechen.
"Und da fand ich es interessant, dass viele von denen, die um uns herumstanden, auch den Künstlern, wenig von diesem Thema wussten. Da hab ich ein paar Namen fallenlassen, auch den Namen Zschäpe, und dann habe ich gemerkt, dass auch gar nicht so in der türkischen Presse darüber berichtet worden ist. Und dann hab ich gedacht: okay, lass uns das machen."

Klassisches Dokumentartheater

"Auch Deutsche unter den Opfern" ist klassisches Dokumentartheater. Die drei Darsteller referieren im Stakkato die haarsträubenden Ermittlungsfehler, zeigen die Ungereimtheiten auf und stellen die Morde nach. Von dem NSU-Terrorismus in Deutschland hatten sie nie zuvor gehört.
Schauspieler: "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine solche Mordserie über eine so lange Zeit in Deutschland nicht aufgeklärt werden konnte. Vor allem die Zahl der Ermittlungsfehler hat mich überrascht. Ich dachte, in einer Demokratie könnte so etwas nicht passieren."
Schauspielerin: "Ich war noch nicht in Deutschland, aber nach allem, was man hier in den Medien hört, hätte das dort nicht geschehen dürfen. Das hat mir sehr zu denken gegeben. Der Fall hat meine Meinung über Deutschland verändert."

"Die glauben, in Deutschland kann so etwas nicht passieren"

Für Polizei und Justiz in Deutschland war die Aufklärung der NSU-Morde ein Versagen auf ganzer Linie. Neun Monate lang hat Tuğsal Moğul den laufenden Prozess in München besucht, mit Rechtsanwälten, Journalisten und Prozessbeobachtern gesprochen. Was er an Fakten zusammengetragen hat, zeigt nicht nur Pannen, sondern regelrechte Sabotageakte bei den Ermittlungen. Manche glauben sogar an eine Verschwörung.
"Es ist keine vereinzelte Aktion von drei Verrückten gewesen, so wie das oft medial dargestellt wird."

Gibt es eine rechtsradikale Geheimorganisation?

Gibt es in Deutschland womöglich eine rechtsradikale Geheimorganisation, die so ähnlich funktioniert, wie es in der Türkei der Gülen-Bewegung nachgesagt wird? So weit will Tuğsal Moğul nicht gehen. Er ist sich aber bewusst, dass dieses Stück in der Türkei eine politische Brisanz hat, weil es die deutsche Demokratie in einem ungewohnten Licht zeigt.
"Die glauben, in Deutschland kann so etwas nicht passieren. Dann erzählt man das, und dann sind sie sehr erschrocken. Es brennt mir unter den Füßen, das in der Türkei zumindest publik zu machen. Dass das in Deutschland passiert ist."

Über die Lage in der Türkei wollen die Schauspieler nicht reden

Über die politische Situation im Land wollen die Schauspieler nicht sprechen. Es sei derzeit schwer, kritische Kunst zu machen, deuten sie an. Ihre erfolgreichste Produktion derzeit ist "Farm der Tiere" von George Orwell. Nach einem Aufstand der Tiere gegen den Farmer übernehmen die Schweine die Herrschaft auf dem Bauernhof und errichten eine Diktatur.
Parallelen zur Türkei sind naheliegend. Auch sein Stück, hofft Tuğsal Moğul, wird für Diskussionsstoff sorgen: "Man assoziiert immer auch, was im eigenen Land gerade passiert. Und das werden die türkischen Zuschauer auch machen."

Die Premiere des Theaterstücks "Auch Deutsche unter den Opfern" in türkischer Sprache findet am 16. Februar in Istanbul statt, im Theater Kumbaracı50 in der Kumbaracı Yokuşu 50. Es gibt eine deutsche Übertitelung. Weitere Aufführungen finden am 17. und 22. Februar 2018 statt.

Tipp: "Auch Deutsche unter den Opfern" kann als WDR3-Hörspiel hier nachgehört werden.

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