NS-Raubkunst

Ferdinand von Schirach prüft die Sammlung seiner Familie

05:26 Minuten
Ferdinand von Schirach ist im März 2019 beim ORF zu Gast.
Ferdinand von Schirach fordert, den Kunsthandel bei Raubkunstverdacht zum Offenlegen von Käufer und Verkäufer zu verpflichten. © dpa / picture-alliance
Von Christiane Habermalz  · 12.04.2019
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Aufklärung sei das Mindeste, was seine Familie den Nachfahren der Opfer schuldig sei, sagt der Jurist und Autor Ferdinand von Schirach. Er ist einer der wenigen Privatleute, die aus eigener Initiative den Kunstbesitz ihrer Familie erforschen lassen.
Henriette von Schirach, frühere Sekretärin von Adolf Hitler und Freundin von Eva Braun, war eine geschäftstüchtige Frau. Nach dem Krieg gelang es ihr, fast den gesamten Kunstbesitz der Familie aus den Depots des "Central Collecting Points" in München zurück zu erhalten. Nach Kriegsende hatten die Amerikaner dort die zusammengeräuberten Kunstsammlungen der Nazis und das Vermögen aus dem Besitz der NSDAP-Führer gesammelt – mit dem Ziel, es an die ursprünglichen, zumeist jüdischen Besitzer oder deren Familien, so sie überlebt hatten, zurückzugeben.

53 Kunstwerke zurückerhalten

Doch Henriette von Schirach ließ nicht locker. Sie bombardierte die Amerikaner und später das zuständige bayerische Finanzamt mit Rückgabeanträgen. Das Ergebnis: Von 60 von den Allierten beschlagnahmten Kunstwerken erhielt sie 34 ohne Gegenleistung zurück, 19 durfte sie für einen geringen Preis vom Staat zurückkaufen. Ebenso verhielt es sich mit dem größten Teil der 68 eingezogenen Möbelstücke aus dem Wohnsitz der von Schirachs, dem luxuriösen Schloss Aspenstein in Kochel.
"Wenn man diese ganzen Zahlen zusammenfasst, kommt man zu dem Ergebnis, dass ungefähr 92 Prozent dieser zum Zwecke der Restituierung eingezogenen Objekte eigentlich wieder in Familienbesitz kamen", erklärt Provenienzforscherin Theresa Sepp. "Allerdings ist in dieser sehr hohen Anzahl noch nicht mit einberechnet, dass Henriette von Schirach auch aus dem ehemaligen Besitz von ihrem Vater, Heinrich Hoffmann, ebenfalls Werke ankaufen durfte."

Die zweite Schuld der Großmutter

Henriettes Vater Heinrich Hoffmann war der Leibfotograf Hitlers gewesen. Auch er hatte, wie sein Schwiegersohn, der Reichsjugendführer der NSDAP Baldur von Schirach, während der NS-Zeit eine umfängliche Kunstsammlung angehäuft.
Die ursprünglich 132 Objekte umfassende Schirach-Sammlung stammte zum großen Teil aus jüdischen Sammlungen, die in Wien von der Gestapo beschlagnahmt wurden, bevor deren Besitzer ins Exil oder in den Tod getrieben wurden – oder von Kunsthändlern der Nazis, die mit Raubkunst aus dem besetzten Frankreich oder den Niederlanden handelten. Für den Schriftsteller Ferdinand von Schirach, Enkel von Henriette, ist das Agieren seiner Großmutter aus heutiger Sicht besonders unerträglich:
"Es ist letztlich so, dass Henriette und Teile meiner Familie nach 1945 eine zweite Schuld auf sich geladen haben und noch einmal den Raub an diesen Familien durch das Herausverlangen dieser Kunstwerke wiederholt haben."

Forschung auf eigene Kosten

Ferdinand von Schirach ist einer der wenigen Privatleute, die aus eigener Initiative den Kunstbesitz ihrer Familie erforschen lassen. Über das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, das nach dem Gurlitt-Fund von Bund und Ländern in Magdeburg gegründet wurde, können nicht nur Museen, sondern seit zwei Jahren auch Privatleute Anträge auf Forschungsgelder und Unterstützung stellen. Von Schirach hat allerdings den größten Teil des Projektes selber finanziert.

Die Täter halfen sich gegenseitig

Dass es Täterfamilien wie den Schirachs so leicht fiel, nach ein paar Jahren ihr beschlagnahmtes Vermögen zurückzuerhalten, sei keine Ausnahme gewesen, erklärt Uwe Hartmann, zuständiger Fachbereichsleiter vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Besonders tiefgründig sei damals nicht geprüft worden, wo die Objekte eigentlich herkamen.
"Und vor allen Dingen, es war Gang und Gäbe, sich die Persilscheine gegenseitig auszuteilen bei der Entnazifizierung, und so ging das weiter, man fragte Händler wie Weinmüller, also die involviert waren in der Nachkriegszeit nach dem Krieg nach der Provenienz, und die typische Antwort war: 'Nach meiner Erinnerung alles alter arischer Besitz!' Und dann sind die Sachen eigentlich herausgegeben worden."

Aufklärung sei das mindeste

Heute befinden sich keine Kunstwerke mehr in Familienbesitz, sagt von Schirach. Seine Großmutter habe alles, was sie zurückerhalten habe, sofort zu Geld gemacht. Doch Aufklärung sei das mindeste, was seine Familie den Nachfahren der Opfer schuldig sei.
Bei vier Objekten der Schirach-Sammlung konnte der jüdische Vorbesitz eindeutig nachgewiesen werden – darunter eine Madonnendarstellung von Lucas Cranach und ein Tafelbild von Pieter Bruegel dem Älteren. Dessen Spur verliert sich erst im Jahr 2013 endgültig, als es beim Auktionshaus Lempertz versteigert wurde. Käufer unbekannt. An diesem Punkt enden leider viele der Provenienzrecherchen, klagt Hartmann.

Von Schirach fordert Gesetze

Und Ferdinand von Schirach, selber Jurist, verbindet das Fazit seines Projekts mit einem Appell an die Politik, endlich den Kunsthandel bei konkretem Raubkunstverdacht zum Offenlegen von Käufer und Verkäufer zu verpflichten.
"An dem Punkt sehe ich es so, dass die Interessen der Forschung und die Interessen der Opfer die Interessen der früheren Eigentümer weit überwiegt. Und damit wären wir ein riesiges Stück weiter. Und man würde den Provenienzforschern enorm helfen."
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