NS-Raubkunst

Ehrmann: Schwabinger Kunstfund gehört auf die Agenda der Kulturpolitik

07.11.2013
Das Thema NS-Raubkunst werde Gegenstand der Koalitionsverhandlungen sein, sagt Siegmund Ehrmann, der kulturpolitische Sprecher der SPD. Man müsse sich einen Überblick verschaffen, bei welchen Werken der in München gefundenen Sammlung es Kaufverträge gegeben habe.
Katrin Heise: Die Kunstwelt weiß immer noch nicht so richtig, ob sie sich über den Sensationsfund in Schwabing freuen soll oder entsetzt ist: Rund 1400 Werke in der Privatwohnung eines gewissen Cornelius Gurlitt, dessen Vater für die Nationalsozialisten Kunstwerke einsammelte. Es mischt sich Wiedersehensfreude über verschollene Werke, über verbrannt geglaubte Kunst mit Begeisterung über Neuentdeckungen – und über allem liegt Zorn, Zorn über die Vorgänge damals und über das Umgehen damit heute. Es gibt Gemälde, den jüdischen Besitzern abgenommen, Raubkunst, die in so manchem Museum hängt, die kann – muss aber nicht – restituiert werden. Und das Gesetz der Nazis, mit dem sie die „entartete Kunst“ aus den Museen holte, das ist bis heute nicht infrage gestellt.
Heute am Koalitionsverhandlungstisch wird es auch um das Thema Kultur gehen. Mit dabei ist Siegmund Ehrmann, bisher SPD-kulturpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und Mitglied im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, wie das weitergeht, das zeigt ja die nähere Zukunft. Ich konnte mit ihm vor der Sendung sprechen. Herr Ehrmann, schönen guten Tag.
Siegmund Ehrmann: Einen wunderschönen guten Tag, Frau Heise.
Heise: Ist Ihnen eigentlich wohl bei dem Gedanken, dass nach wie vor ein Gesetz über „entartete Kunst“ aus dem Jahr 1938 nicht infrage gestellt ist?
Ehrmann: Na, es ist also wirklich ein ganz großes Problem, und Sie haben das ja eingangs beschrieben, diese Ambivalenz: Es ist etwas Unglaubliches passiert, die Freude, auch bei mir, ist groß, dass es diese tollen Werke gibt, aber auch das Erschrecken darüber, wie stumpf wir sind in den Instrumenten, das, was wir moralisch empfinden, auch rechtlich sauber zu gestalten. Diese Ambivalenz trage ich auch.
Heise: Bleiben wir mal bei dieser „entarteten Kunst“, da kann man ja argumentieren: Wenn sich Deutschland damals selbst entleibt, also große Kunst um der Devisen willen aus dem eigenen Museum geholt hat – ja nun, dann ist das eben so. Wobei die Museen sich ja auch scheinbar nicht sicher sind: Die Stadt Mannheim prüft beispielsweise gerade, ob sie einzelne gefundene Kunstwerke von Ernst Ludwig Kirchner, 37 als „entartet“ beschlagnahmt, nicht doch zurückfordern kann. Da besteht also Unsicherheit.
Ehrmann: Genau. Wir müssen uns ganz intensiv mit diesem ganzen Komplex auseinandersetzen. Ich habe persönlich noch gar keine richtige Einschätzung, was es eigentlich auch jenseits der historischen Dimension, was das auch privatrechtlich … was da passiert ist. Also es sind Werke, die in öffentlichen Museen ausgehangen haben, der Staat hat damals – dieser Unrechtsstaat – entschieden: Die verticken wir, wir geben das vier Händlern und die sollen gucken, dass sie das zu Kohle machen. Im Grunde genommen hat der Staat, haben die Museen aus ihrem Eigentum diese Werte veräußert und das Geld kassiert. Zivilrechtlich, privatrechtlich sind das Verträge, die da abgeschlossen wurden.
Heise: Die noch gelten.
Ehrmann: Die noch gelten. Das sind Kaufverträge, die da abgeschlossen wurden, die wirksam gewesen sind. Das Motiv und das, was uns alle entsetzt und was uns ja wirklich auch bis eben in die künftigen Generationen betäubt, ist dieses unglaubliche Unrecht und diese Zivillosigkeit, dieser Kulturbruch, der auch in diesen Folgen ja wieder mal deutlich wird. Das spielt für diesen eigentlich vertragsrechtlichen Vorgang, also diesen kaufvertragsrechtlichen Vorgang, also sehr steril formuliert, zunächst mal keine Rolle.
Aber die Frage ist: Ist das die Geschichte dieser Werke, dieser 1500 oder 1400 Werke? Oder sind das auch Raubkunstobjekte, die wieder ganz anders zu bewerten sind? Und ich glaube, das muss man sich sehr genau angucken. Ich habe persönlich da noch keine Einschätzung, und wir brauchen eine saubere juristische Bewertung und auch eine politische Debatte darüber, wie wir auch die Vorgänge angemessen weiter handhaben.
Heise: Was diese rund 1400 Werke angeht, wird das ja tatsächlich auch geprüft, und wie Sie sagen, es sieht bei Raubkunst ganz anders aus: Da gilt das sogenannte Washingtoner Abkommen von 1998.
Ehrmann: Ja.
Heise: Da wird die Restitution aus moralischen Gründen vorgesehen, so die Werke in Museen hängen. Das ist aber auch kein Gesetz. Jedes Mal, wenn da Einigungen anstehen – darum wird hart gerungen. Muss das nicht aber geändert werden?
Ehrmann: Also wir haben dieses Washingtoner Abkommen verlängert für uns und es gibt eine Vereinbarung auf der staatlichen Ebene zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, dass innerhalb der öffentlichen Institutionen diese Restitution und die Provenienz der Werke vorgenommen wird. Das ist Aufgabe und das ist auch Praxis, das geschieht. Das ist ein mühsamer Prozess. Und das Regelwerk ist zwar jetzt nicht in ein formales Gesetz geflochten, aber das hat eine Bindungskraft und geschieht. Was aber vollkommen offen ist, ist die Frage: Wie ist das eigentlich im privaten Bereich?
Heise: Da gibt es eine gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern aus dem Jahr 99, wo eben auch aufgefordert wird, ähnlich zu verfahren.
Ehrmann: Genau, appellativ.
Heise: … also auch nur dieser Aufforderungscharakter.
Ehrmann: Genau so. Und das ist alles ein bisschen, also ich will nicht sagen, dünn, also das müssen wir sauber abarbeiten und bewerten, und ich sehe da durchaus Handlungsbedarf, wo wir also auch im Bereich der Kulturpolitik uns sehr intensiv damit auseinandersetzen müssen. Und das ist ein markanter Vorgang. Das müssen wir bewältigen und das Thema auch annehmen.
"Gesetzgeberische Defizite identifizieren"
Heise: Siegmund Ehrmann, SPD-kulturpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion bisher, sitzt heute mit am Verhandlungstisch der eventuell nächsten Regierungskoalitionäre. Herr Ehrmann, da wäre das doch eigentlich ein gutes Thema heute, wo es um Kultur geht, weil Sie sagen, es muss diskutiert werden. Könnte man ja direkt auf die Agenda nehmen.
Ehrmann: Genau so, das wird auch so sein. Also es ist jetzt nicht so, dass wir jetzt einfach da drüber wegträumen. Das ist ein Thema, was mich auch bewegt, ich will auch zugeben, auch aufwühlt, das hake ich nicht so ab, und ich weiß aber auch, dass es eben auch unseren Gesprächspartnern der Union ein Anliegen ist, darüber zu reden. Und wir werden einfach überlegen, gemeinsam überlegen müssen, wie wir das für uns handhabbar machen. Meine Vorstellung ist, dass wir uns einen sehr guten Überblick verschaffen und dann auch das rechtlich bewerten lassen, auch gesetzgeberische Defizite identifizieren, und dann eben überlegen, wie wir das adäquat auch rechtlich lösen.
Aber dieser privatrechtliche Bereich, das in der Rückschau, also diese reinen Kaufvertragsgeschichten, das ist eine Riesen-Baustelle, das theoretisch rückabzuwickeln. Aber weil es so komplex ist, heißt es aber nicht, dass man es ignoriert, das Problem, sondern da besteht natürlich auch zu Recht eine große Anforderung, dass wir gerade als Staat und als Kulturpolitik auch im Kontext des historischen Vermächtnisses einfach da angemessen mit umgehen.
Heise: Denn die Chance ist ja gerade jetzt ganz gut gegeben, da an diesem Verhandlungstisch eben nicht nur CDU, CSU und SPD sitzen und damit eine große politische Bandbreite da schon abgedeckt ist, sondern eben auch Bund und Länder. Wenn ich Sie richtig verstehe, wird darüber heute gesprochen werden?
Ehrmann: Das wird zumindest als Thema aufgerufen. Ob wir das heute dann auch zu Ende verhandeln, das vermag ich nicht einzuschätzen. Wir haben uns in der ersten Verhandlungsrunde Themen gegeben, die wir systematisch abarbeiten. Wir werden über den gesamten Komplex des Gedenken und Erinnerns, also der Geschichtspolitik, und im weitesten Sinne ist das kein Unterfall, um Gottes Willen, aber das gehört da rein in diesen Kontext, auch der Folgen, und das würde dann am Freitag zu vertiefen sein. Aber es wird heute auf jeden Fall genannt werden müssen.
Heise: Und wenn ich Sie richtig verstehe: In Vorgesprächen, die Sie geführt haben, ist man sich da im Grunde auch einig?
Ehrmann: Ja, also dass wir da auf jeden Fall gegenseitig auch sensibel sind, das will ich gerne bestätigen. Worauf wir uns dann verständigen, wie wir das handhabbar machen, ich habe gerade meine Vorstellungen unterbreitet, aber dass wir da einen qualifizierten Prüfauftrag vornehmen und einfach uns das aufbereiten lassen und dieses Thema zeitnah – sofern dann die Regierungskoalition tatsächlich zustande kommt – auf die Agenda der Kulturpolitik heben, das halte ich für zwingend geboten.
Heise: Zeitnah, damit geben Sie ein Stichwort für einen anderen Kompex: Wie sehen Sie als aktiver Kulturpolitiker eigentlich momentan das Verhalten der Behörden in Bayern in Sachen Transparenz bei der ganzen Geschichte?
Ehrmann: Ich hätte mir da ein bisschen mehr Transparenz gewünscht, um das noch sehr vorsichtig auszudrücken. Ich kenne die Ermittlungsgründe nicht, ich weiß nicht, was die Staatsanwaltschaften veranlasst, diese Strategie zu fahren, die sie gefahren haben.
Heise: Na, ein Argument war beispielsweise, dass man eventuellen Eigentumsrechten, die da angemeldet werden, die aber nicht nachzuweisen sind, entgegenwirken möchte.
"Alle Bilder einfach veröffentlichen"
Ehrmann: Das ist ja ein Punkt. Aber offenbar gibt es ja strafrechtlich relevante Sachverhalte, die zu diesen Ermittlungen geführt haben. So. Und was da alles hinter hängt, das weiß ich nicht. Also es kann durchaus eine Choreografie geben, aber die will ich nicht bewerten. Ich möchte nur etwas sagen, was ich gerne mir gewünscht hätte: Ich hätte mir gewünscht, dass man das sehr schnell öffentlich macht und ich könnte mir auch durchaus vorstellen, dass man alle Bilder einfach auch veröffentlicht. Dann mögen doch Menschen Rechte geltend machen – das erleichtert doch das Verfahren, diese Ansprüche zu klären. Das heißt, wer behauptet, er habe Eigentumsrechte oder würde unter den Schutz von Washington oder welcher Anspruchsnormen auch immer fallen, der muss das ja auch belegen, und das würde Prozesse der Klärung beschleunigen. Ich gebe zu, das würde einen Wust von Impulsen auslösen, aber ich hätte da persönlich keine Scheu.
Heise: Auf der anderen Seite würde es eventuell hochbetagten jüdischen Besitzern, die seit Jahrzehnten den ihren Familien geraubten Kunstwerken hinterherforschen, die Gelegenheit geben, dort Einblick zu nehmen.
Ehrmann: Genau so, und das ist ja nicht nur ein Wertgegenstand, sondern es sind sehr, sehr viele Emotionen und Schmerzen und Erinnern und Tränen mit verbunden. Also ich hätte mir da eine ganz andere Vorgehensweise vorstellen können.
Heise: Da die Justiz in Bayern aber unabhängig ist, gibt es da keine Einflussmöglichkeit.
Ehrmann: Nein, aber ich bewerte das als Staatsbürger und Kulturpolitiker so, und es gibt das Rechtsfeld der Justiz und der Staatsanwaltschaften, die müssen das natürlich in eigener Verantwortung auch machen, und da haben wir Gott sei Dank auch die Funktionsteilung der Staatsgewalt. Aber als Parlamentarier möchte ich das trotzdem so bewerten.
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