NRW wirbt um Gründer

Start-ups in früheren Zechen

07:53 Minuten
Bäume wachsen auf dem Gelände der Zeche Zollverein, im Hintergrund ist der Förderturm zu sehen.
In der Zeche Zollverein in Essen im Ruhrgebiet gibt es ein Gründungs- und Unternehmenszentrum, das auch Gründungsberatung anbietet. © picture alliance/ dpa/ Oliver Berg
Von Vivien Leue · 09.10.2019
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Nordrhein-Westfalen will Start-ups von Berliner Hinterhöfen weglocken – auf stillgelegte Zechengelände zum Beispiel. Ziel des Landes: attraktiv für Gründer werden und so junge Menschen anziehen oder halten. Doch reicht die Förderung?
"Mein Name ist Judith Grünewald. Ich bin ein Teil des Gründerteams von Filmea, einem filialisierten Unverpackt-System."
"Ich bin Gizem Bulut und das Besondere an der Unverpackt-Kette, die wir anstreben, ist, dass wir das unverpackte Einkaufen der breiten Masse zugänglich machen wollen."
Düsseldorf – Wirtschaftsministerium. In einem Konferenzraum im 21. Stock, mit Blick auf den Landtag und den Rhein, stehen Judith Grünewald und Gizem Bulut zusammen mit rund 15 anderen Gründerinnen und Gründern an Stehtischen und erzählen von ihren Erfahrungen.
"Die erste Idee kam uns eigentlich schon vor zwei Jahren. Wir leben selber so nachhaltig wie wir können, aber scheitern dann auch an den Hindernissen, die sich uns in den Weg stellen."
Unverpackt einkaufen – das müsse doch einfacher möglich sein, dachten sich die beiden Frauen. Allerdings hatte die 26-Jährige Gizem Bulut noch einen Vollzeitjob, Judith Grünewald, 22 Jahre alt, stand mitten im Studium. Sollten Sie den Schritt in die Selbständigkeit wirklich wagen?
Vor dieser Entscheidung standen auch die anderen Existenzgründer im Raum – denn sich selbständig zu machen, das bedeutet immer auch, ein Risiko einzugehen, erzählt Theo Knepper. Er arbeitet gerade mit zwei Partnern an einer digitalen App für Soziale Dienste.
"Wir sind über 50 Jahre alt und für uns ist eigentlich das Entscheidende: Wie findet man einen Weg, die bisherige Tätigkeit, die man hatte, zu verlassen und trotzdem finanziell einigermaßen abgesichert zu sein, also eine Phase zu überbrücken, bis eine neue Firma Gewinn abwirft."

Start-ups als wichtige Impulsgeber

Theo Knepper, Gizem Bulut, Judith Grünewald und die anderen Gründerinnen und Gründer im Raum haben genau dafür jetzt ein Jahr lang eine Lösung gefunden: Sie erhalten das Gründerstipendium vom Land NRW – 1000 Euro monatlich.
"Ich freue mich sehr, dass sie da sind und wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag bei uns."
NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart hat das Stipendium vor eineinhalb Jahren ins Leben gerufen. Er wird gleich feierlich die 1000. Förder-Urkunde übergeben – und freut sich über so viel Interesse an dem Programm.
"Das ist genau das, was wir für NRW erreichen wollen: mehr Menschen die Chance geben, den Weg in die Selbständigkeit zu finden und dann auch mit innovativen Konzepten zu begeistern."
Gizem Bulut (l) steht an einem Laptop und vor einer Leinwand, auf welcher der Schriftzug "Von Kornfressern zu Gründerinnen" zu sehen ist. Judith Grünewald steht daneben vor einem Aufsteller mit der Aufschrift "Gründerstipendium NRW".
Unverpackte Ware einer breiten Masse zugänglich machen: Dieses Projekt präsentieren Gizem Bulut (l) und Judith Grünewald im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium© Deutschlandradio/Vivien Leue
Gerade für Nordrhein-Westfalen, einem Bundesland, das sich seit Jahrzehnten im Strukturwandel befindet, sorgten Start-ups für wichtige Impulse.
"Gründungen sind aus meiner Sicht sozusagen das Salz in der Suppe der Sozialen Marktwirtschaft und ökologischen Marktwirtschaft. Wir wissen, etablierte Unternehmen strengen sich auch an, innovativ zu sein, aber manchmal übersehen sie auch Entwicklungen oder verharren zu lange in ihren bekannten Produkten und Services."

Gründungsberater im Starter-Center

Das Bundesland versucht schon länger, sich für Start-ups als attraktiver Partner zu präsentieren: Vielerorts, wie auf ehemaligen Zechengeländen im Ruhrgebiet, gibt es günstige Büro- und Produktionsflächen, das Land wirbt mit einer guten Verkehrs-Infrastruktur mitten in Europa, mit vereinfachten Verwaltungsprozessen – und nun auch mit einer finanziellen Förderung für die Startphase.
"Da wäre es natürlich gut, wenn diejenigen, die einen Unternehmergeist in sich spüren und unternehmerischen Mut haben, aus ihrem Talent heraus dann auch das Thema Unternehmensgründung als eine Option für sich erkennen und diesen Weg wählen, wenn sie Spaß daran haben."
Wer diesen Unternehmergeist spürt, findet in Nordrhein-Westfalen 75 zertifizierte Existenzgründer-Beratungsstellen - sogenannte Starter-Center. Eines davon betreibt die IHK Düsseldorf. Mathias Meinke und sein Team helfen den Interessierten vor allem bei zwei Dingen: "Auf der einen Seite selbständig werden und selbständig bleiben. Zweites ist deutlich schwieriger als das erste, aber auch machbar und kann eine Menge Spaß machen."
Seiner Erfahrung nach fehlt es vielen Gründern nicht an innovativen Ideen, sondern eher an solidem unternehmerischem Know-How. "Die Finanzierung der Selbständigkeit ist ein ganz wichtiger Punkt im Businessplan, auch in der Beratung, damit nicht schnell das Geld ausgeht."
Nur weil ein Gründer zuvor in derselben Branche in gleicher Tätigkeit gearbeitet habe, sei er noch lange nicht als Selbständiger erfolgreich. "Es müssen viele unternehmerische und kaufmännische Tätigkeiten noch vermittelt werden. Und ganz wichtig: Vertrieb, Vertrieb, Vertrieb."
Gründungsberater Meinke rät deshalb dazu, entsprechende Seminare zu belegen – bevor sich die Interessierten dann wirklich selbständig machen. Um diese Anfangsphase des Unternehmensaufbaus finanziell zu überstehen, sei ein Gründungs-Zuschuss "sehr wichtig bis elementar. Gerade wenn Gründer sich vollkommen auf ihre Selbständigkeit konzentrieren möchten, haben sie keine Zeit, nebenbei noch zu arbeiten."

Mehr Arbeitsaufwand als im Worst-Case-Szenario geplant

Unterstützung für Start-Ups gibt es dabei aber nicht nur vom Land NRW. Bundesweit zahlen unter bestimmten Voraussetzungen auch die Arbeitsagenturen einen Existenzgründungszuschuss. Außerdem gibt es zum Beispiel von den landeseigenen Förderbanken günstige Darlehen, manche Institutionen übernehmen auch Bürgschaften. Hinzu kommen branchenspezifische Förderungen, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel die Meistergründungsprämie für das Handwerk. All diese Unterstützungen machen ein Start-Up aber noch nicht erfolgreich, sagt der IHK-Gründungsberater Meinke.
"Durchhaltevermögen ist wichtig und natürlich das Alleinstellungsmerkmal."
Zurück im Wirtschaftsministerium können die beiden Gründerinnen Judith Grünewald und Gizem Bulut die Erfahrungen vom IHK-Start-Up-Experten Meinke nur bestätigen. Vor allem der Arbeitsaufwand sei gerade jetzt in der Aufbauzeit "mehr als im Worst Case geplant. Man plant und rechnet schon damit, dass es sehr anstrengend und zeitintensiv ist. Aber dass es so viel Arbeit ist, damit hätte man auch im Worst Case nicht gerechnet."
Auch Gründer Theo Knepper sagt rückblickend über seine Entscheidung: "Da gehört viel Mut zu, weil man ja aus den alten Tätigkeiten heraus meistens abgesichert war, das ist man gewohnt und jetzt lässt man sich auf etwas Neues ein."
Das Gründungs-Stipendium ist deshalb eine große Erleichterung, sagt Judith Grünewald. "Man rechnet einfach nicht mit den ganzen Kosten, die auf einen zukommen, und da die eigenen Lohnkosten niedrig zu halten ist voll unterschätzt und superwichtig. Auch für uns privat natürlich entlastend, da kann man mit einem freien Kopf irgendwie besser arbeiten."
Mittlerweile hat NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart die Förder-Urkunden vergeben und blickt in fröhliche Gesichter. "Das sind alles sehr schöne Ideen und unglaublich viel Motivation und Umsetzungswillen hier im Raum." Er verspricht, dass das Land die Gründerszene auch weiter gut im Blick behält – schon aus Eigeninteresse.
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