NPD-Anträge

Besondere Würde und Ermessensspielräume

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (Baden-Württemberg), v.l. Sibylle Kessal-Wulf, Andreas Voßkuhle (Vorsitz) und Michael Gerhardt, verkündet am 10.06.2014 das Urteil zum Verfahren zur Wahl des Bundespräsidenten.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, v.l. Sibylle Kessal-Wulf, Andreas Voßkuhle (Vorsitz) und Michael Gerhardt, verkündet Urteil zum Verfahren zur Wahl des Bundespräsidenten. © picture alliance / dpa / Uli Deck
Von Stephan Detjen |
Zwei NPD-Anträge zur Wahl und Amtsführung des Bundespräsidenten wurden heute vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Die Gründe: der besonder Schutz der Würde des Amtes und der Spielraum zu dessen Ausübung.
Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit Wahl und Amtsführung des deutschen Staatsoberhaupts beschäftigt. Die Themen seien "weiße Flecken“ in der Verfassungsgeographie des Landes geblieben, hatte Gerichtspräsident Andreas Vosskuhle im Februar bei der ersten von zwei mündlichen Verhandlungen zu den NPD-Anträgen gesagt. Grauzonen aber sind nach Ansicht der Richter dabei nicht entstanden.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigt jetzt eine in 60 Jahren gewachsene Staatspraxis – auch in den Bereichen, in denen der Wortlaut des Grundgesetzes dürr ist und weiter Interpretationsspielräume für ganz unterschiedliche Amtsverständnisse lässt. Viel ist in den beiden Urteilen von der "Würde des Amtes“, "zeremonieller Bedeutung“ und einem dem "parteipolitischen Streit enthobenen“ Amt die Rede, so auch in dem Auszug aus der Urteilsbegründung, die Vosskuhle am Vormittag verlas:
"Autorität und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es vor allem auf die geistig-moralische Wirkung angelegt ist. Mit dieser Stellung des Bundespräsidenten korrespondiert das Verfahren seiner Wahl. Es soll nicht nur ein Ergebnis hervorbringen, sondern in seinen Abläufen die besondere Würde des Amtes unterstreichen."
Das Gericht zum Nachdenken gebracht
Deshalb, so lautet das erste der beiden heue verkündeten Urteile, durften die Anträge der NPD-Vertreter in früheren Bundesversammlungen abgelehnt werden, mit denen die Rechtsextremisten Rederechte für sich erzwingen und eine Vorstellungsrede ihres Präsidentschaftskandidaten durchsetzen wollten. Die Bundesversammlung sei kein Parlament wie der Bundestag, sagen die Richter, es gehe hier allein um die Sichtbarkeit eines symbolischen Wahlaktes. Das im Grundgesetz verankerte Ausspracheverbot bei der Wahl des Bundespräsidenten schütze insoweit die Würde des Amtes.
Dennoch sieht das Bundesverfassungsgericht im Bundespräsidenten keineswegs einen ganz unpolitischen Repräsentanten des Staates. Das wird im zweiten Urteil deutlich, in dem es um eine Äußerung von Joachim Gauck kurz vor der letzten Bundestagwahl ging. Vor Berliner Schülern hatte der Bundespräsident auf die Frage einer Schülerin nach dem Umgang mit der NPD geantwortet: "Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen“. 'Ein unzulässiger Eingriff in den Wahlkampf‘ sowie eine 'Verletzung der Neutralitätspflicht‘, die dem Bundespräsidenten gegenüber allen Parteien auferlegt sei, klagte die NPD und brachte das Gericht erkennbar zum Nachdenken.
Im Ergebnis billigen die Karlsruher Richter dem Bundespräsidenten einen weiteren Ermessensspielraum bei der Ausübung seines Amtes zu. Ob er sich am Leitbild des parteipolitisch neutralen Staatsoberhaupts orientiere oder nicht, zu welchen Themen er sich äußere und welche Kommunikationsform er dafür wähle, obliegen allein der Entscheidung des Bundespräsidenten und könne nicht gerichtlich überprüft werden. Lediglich wenn er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion als Repräsentant der staatlichen Einheit handle, sehen sich die Richter zum Einschreiten befugt. Mit der Bezeichnung der NPD als Spinner – so das Bundesverfassungsgericht – habe Joachim Gauck diese Grenze nicht überschritten.
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