Nowak: Bei Schröder zeigt sich „nackter Machtanspruch“
Der ehemalige Kanzlerberater Wolfgang Nowak hat das Verhalten des Bundeskanzlers nach der Wahl als erschreckende Demonstration eines „nackten Machtanspruchs“ kritisiert. In der so genannten Elefantenrunde habe sich Schröder selbst „zur Kenntlichkeit entstellt“, sagte Nowak, der heute als Sprecher der Geschäftsführung der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft für Internationalen Dialog tätig ist.
Brink: Die Bundestagsmehrheit ist dahin, doch der Kanzler will Kanzler bleiben. Gerhard Schröder sei seit der Verkündung des Wahlergebnisses im Rausch, befinde sich in einem Zustand völliger Unzurechnungsfähigkeit, schreibt Arno Wittmann gestern in der Berliner Zeitung. Der Auftritt des Kanzlers in der Berliner Runde der Parteivorsitzenden sei das Gespenstigste gewesen, dass man jemals im Deutschen Fernsehen gesehen habe, das meinte der einstige TAZ-Chefredakteur Wittmann.
Im Studio ist jetzt Wolfgang Nowak, bis 2002 Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeskanzleramt, dort unter anderem auch spiritus rector des so genannten „Schröder-Blair-Papiers“, das eine neue Mitte definieren wollte, heute Sprecher der Geschäftsführung der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft für internationalen Dialog. Herr Nowak, Sie kennen Gerhard Schröder aus nächster Nähe. Noch ist vielen Menschen auch nicht klar, warum hat er so vehement reagiert. Ist das Realitätsverlust oder Kalkül, was meinen Sie?
Nowak: Es ist ein Rausch, in dem er sich gesteigert hat, nachdem er den Erfolg, den er erzielt hatte, vergleicht mit dem, was eben vor Monaten die Institute vorausgesagt haben.
Aber es geht ihm auch darum, die CDU mit diesem unglaublichen, knallharten Machtanspruch zu konfrontieren und dann abzuwarten, ob sie unter diesem Machtanspruch mit den üblichen Illegalitäten gegenüber Frau Merkel und anderen beginnt, um dann einen Zerfallsprozess bei der CDU zu stimulieren und dann den Machtanspruch auf seiner Seite, um vielleicht die CDU damit zu locken, dass er sagt, in zwei Jahren könnt ihr dann Kanzler werden, nachdem ich zwei Jahre war. Auf jeden Fall setzt er darauf, den Gegner – und das ist die CDU – zu zerstören. Es geht ihm im Augenblick um nichts anderes als um sich selbst, um seine Macht, und die CDU zu demütigen.
Brink: Also nackter Machterhalt?
Nowak: Ich bin sehr erschrocken. Tatsächlich kann man sagen mit Ernst Bloch, er ist selbst zur Kenntlichkeit entstellt. Ich war erschrocken, als ich diesen Mann sah, wie er hemmungslos Macht lebte, mit Blicken, mit Unterbrechungen da etwas demonstrierte, dass man – ich muss es leider sagen, ich habe für den Man mal gerne gearbeitet – gesagt hat, um Gottes Willen, für diesen Mann möchte ich nicht arbeiten, und darf ein solcher Mann, der eine solche nackte Macht verkörpert, bei der keine Spur Verantwortung zu spüren war, Deutschland regieren? Ich glaube, hätte man diese Szene vor der Wahl gesehen, manch einer hätte es sich überlegt.
Brink: Sie sagen, Sie sind überrascht. Kennen Sie das von ihm früher nicht? Sie haben ja lange für ihn gearbeitet.
Nowak: Nein, ich habe früher sogar einen selbstironischen, selbstkritischen, teilweise sich von sich selbst distanzierenden Mann erlebt, und die Gespräche mit ihm waren sehr angenehm, zumal er zuhören konnte und auch ein Mann des Dialogs, des Gesprächs war.
Brink: Apropos Kommunikation im Gespräch, er ist eigentlich als Medienkanzler gestartet, und, Sie haben das selbst gesagt, jetzt verwundert, dass er mit den Medien eigentlich nicht mehr kooperiert. Im Gegenteil: Er wendet sich sogar ab, er beschimpft die Medien.
Nowak: Ich glaube, das ist ein Grundfehler der SPD und auch sein Grundfehler. Als er Kanzler wurde, hat man diec Medien eingeteilt. Die eine Seite waren die Medien für die Rechten, das ist natürlich die Springer-Zeitung gewesen, das „Handelsblatt“, der Holtzbrink-Konzern.
Auf der anderen Seite waren die guten Medien für die SPD, angefangen von der „Zeit“ bis zum „Stern“ und zum „Spiegel“. Nur ist jetzt eine Generation von Redakteuren eingetreten, die um die 40 sind, die diese alte klischeehafte Bindung, ich bin rechts oder ich bin links, mit Ausnahme vielleicht der TAZ, nicht mehr haben, die Ergebnisse sehen wollen und mit einem Politiker Bündnisse auf Zeit eingehen, wie es am Anfang die Medien mit ihm gemacht haben.
Und er erwartet aber, wenn er sich mit jemandem duzt, wenn er sie mit ins Flugzeug nimmt, erwartet er, dass die Leute dann nett über ihn berichten.
Brink: Also Wohlverhalten?
Nowak: Nicht in dem Sinne Wohlverhalten, dass sie Pfötchen geben, aber wenn es darauf ankommt, nämlich im Wahlkampf, dass sie an seiner Seite kämpfen. Dieser Riss zwischen Alt und Jung ging durch alle Redaktionen. Im „Stern“ gab es Diskussionen, in der „Zeit“ geht der Riss durch, in allen Zeitungen, auch in der „Süddeutschen“, sieht man, dass da eine etwas ältere Redaktionsgruppe im Widerstreit liegt mit jüngeren über die Frage, ob man sich nun so festlegen kann. Die Medien sind nicht mehr festlegbar, die floaten genauso wie der Wähler, und das wirft ihnen Schröder vor, und es ist falsch, ihnen das vorzuwerfen.
Brink: In den meisten Medien ist auch ein bisschen von seinem präsidialen Stil die Rede, das heißt, er hat sich gewandelt vom Medienkanzler ein bisschen über den Umweg eines Volkstribuns – er spricht dem Volk nach dem Mund –, macht jetzt eine präsidiale Haltung, drückt sich ja auch aus in der Negierung von Zahlen, nach dem Motto, was sind schnöde Zahlen, ich will der Kanzler bleiben.
Nowak: Dieser Stil zu einem präsidialen Kanzler ist nicht ein Schrödersches Phänomen. Das finden Sie in vielen europäischen Ländern, das finden Sie in Schweden, in England, Sie sehen nur den Regierungschef. Das ist ein Produkt der Medien. Sie können in den Medien nicht das ganze Kabinett immer präsentieren, sondern alle Aufmerksamkeit fokussiert sich auf den Regierungschef. Er ist der, den man sieht, der, den man spricht, und der, der für alle sprechen darf.
Und allmählich glaubt man diese Rolle, die man annehmen muss, und hält sich auch für denjenigen, der alles kann, und er ist überzeugt, er hat die Wahl 2002 gegen Stoiber für sich entschieden, und er ist überzeugt, er hat gegen eine zitternde SPD, gegen alle anderen diese Wahl für sich gewonnen. Daran glaubt er jetzt, und die SPD folgt ihm ja blindlings, weil sie weiß, wenn sie nicht mehr in der Regierung ist, zerfällt sie.
Brink: Man könnte ja sagen, angesichts der Verunsicherung in diesem Land braucht man vielleicht so einen präsidialen Stil. Hat er nicht vielleicht mit dem, was er tut, Recht?
Nowak: Das ist ein bisschen schwierig, vorgestern einen präsidialen Stil zu entdecken. Vorgestern war es ein nackter Machtanspruch, ein ungezügelter, hemmungsloser Machtanspruch. Aber zu einem präsidialen Stil gehört auch, dass man Verantwortung hat, und bei ihm war es der nackte Wahlkämpfer, der auf die Angst der Bürger gesetzt hat vor einem Kirchhof, den es nicht gibt.
Ich glaube, es ist nicht präsidialer Stil, es ist ein Anspruch, den er immer gehabt hat, er oder ich, und jetzt geht es eben um ihn oder die CDU oder die Merkel, es ging um ihn oder Lafontaine, es geht um ihn oder Stoiber. Auf diese Auseinandersetzungen zwischen zwei Menschen, in denen er, der gelernte Fußballspieler, immer Sieger bleibt, reduziert er die Welt.
Brink: Aber die Leute finden das doch toll. Sie sind ja von ihm begeistert, dem Übervater. Er hat es richtig gemacht.
Nowak: Ich finde es schrecklich, wenn sie von ihm begeistert sind, dass der Übervater es richtig gemacht hat. Das zeigt ja, in was für einer Gesellschaft wir leben, dass wir uns nach dem Übervater, nach dem großen Macker sehnen. Die Frage ist doch, was hat die SPD für eine Vision für Deutschland zu bieten? Also ich bin vorgestern wirklich fast vom Stuhl gefallen, als ich diese brutale Machtkonfrontation erlebt habe, die man allerdings auch im Wahlkampf schon bemerkt hat. Er kämpft für sich, und er kämpft um seine Existenz.
Brink: Sie haben es angesprochen, hat denn die SPD die richtigen Themen? Schröder hat ja im Wahlkampf so getan, als ob Hartz IV des Übels wäre. Er hat es fast gar nicht in den Mund genommen, hat auf soziale Sicherung, auf Wärme gesetzt. Warum hat er das erst jetzt entdeckt, und war das überhaupt das richtige Thema?
Nowak: Schröder ist ein Mann, der Situationen erkennt. Er ist kein Mann, der lang anhaltende Planungen liebt, und schon dass man ein Programm mit Hartz bezeichnet und nicht mit Regierungsprogramm I, zeigt, dass man sich von dem immer ein bisschen distanziert hat. Aber zunächst hat er das Programm hochleben lassen im letzten Wahlkampf, da wurden ja Tausende Arbeitsplätze plötzlich versprochen, und dann ist er jetzt gegen Hartz, weil er spürt, die Stimmung ist gegen Hartz.
Er ist vielleicht jemand, der früher als andere Stimmungen erkennt, egal welche, sie aufgreift und für seine Politik nutzbar macht. Insofern ist er ein idealer Wahlkämpfer. Ob man mit Stimmungspolitik regieren kann, ist eine ganz andere Frage, und die Ergebnisse, was die Arbeitslosigkeit anbetrifft, zeigen ja, dass es an langfristigen Konzepten gefehlt hat. Aber als Stimmungspolitiker ist er unschlagbar.
Brink: Aber wenn er das als Stimmung erkannt hat, dass die Leute, wie die Wahl ja auch zeigt, eine Wahl von vielen verunsicherten Wählern eher, eigentlich auf soziale Sicherung statt Arbeitsmarktpolitik setzen, warum hat er das so spät erkannt?
Nowak: Es ist ihm eingefallen bei der Wahl. Vorher konnte er es nicht, weil es Teil der Agenda 2010 war. Das kann man ihm nicht sagen, so spät, das ist in der Situation, er ist ein Mann des Augenblicks. Nein, ich glaube, das ist nicht die Frage, dass er da wochenlang nachdenkt, was mache ich im Wahlkampf, sondern es passiert.
Zunächst waren sie auch bei Kirchhof alle sehr erschrocken, und dann, als man da merkte, da kann man ein Feindbild daraus bilden, hat man Kirchhof als Feind erkannt und ist auf ihn losgegangen, und zwar so, dass dem armen Kirchhof Augen und Ohren vergingen. Ich glaube, ein Journalist hat geschrieben, es wurde ein Dackel geboten, und die SPD machte einen Kampfhund aus ihm. Das war eine Situation, aber das kann er. Auch bei Konferenzen ist er jedem überlegen. Er ist der gelernte Anwalt, der eine Situation im Gerichtsraum riecht und dann die Geschworenen rumkriegt.
Brink: Braucht er so eine Situation, um zur Bestform aufzulaufen?
Nowak: Ja. Er ist ein Mann der Krise. Er ist ein Mann, wenn er mit dem Rücken an die Wand steht, dann kann er kämpfen, wie bei der Flut, dann kann er etwas zeigen. Nur: Wenn das vorbei ist, dann sackt alles zusammen, dann muss man wieder einen neuen Kanzler erfinden, auf eine neue Krise warten. Das ist das Problem überhaupt seiner Regierung, diese Aufs und Abs, die ja alle an ihm festgemacht werden.
Brink: Jetzt haben wir ja die Krise. Kann er überhaupt da rausführen, sehen Sie eine Chance?
Nowak: Gut, ich habe ihnen ja vorhin gesagt, wie er versuchen wird das zu machen. Er setzt seinen Machtanspruch gegen den Machtanspruch diesmal nicht eines Mannes, sondern einer Frau. Es ist in diesem Land noch nie eine solche Konfrontation mit einer Frau erfolgt wie diesmal, und ich glaube, an einer Frau wird er zerbrechen, weil es ist kein Gegner, mit dem er umgehen kann.
Brink: Also hat Angela Merkel richtig reagiert?
Nowak: Ich glaube, ja. Sie ist kein Stoiber, kein Wulff, kein Fischer. Damit kann er umgehen, da kann er seine Brutalität einsetzen. Er wird an ihr scheitern, weil er mit einem solchen Gegner nie in seinem Leben zu tun gehabt hat.
Brink: Letzte persönliche Frage: Sie haben gesagt, Sie sind von ihm enttäuscht. Wäre das jetzt der Punkt, wo Sie sich von ihm abwenden würden? Sie haben ja bis 2002 für ihn gearbeitet im Bundeskanzleramt.
Nowak: Ich habe gern für ihn gearbeitet, aber ich hätte große Schwierigkeiten, meinen Freunden, aber auch mir selbst zu erklären, warum ich für einen Mann arbeiten könnte, der sich so hemmungslos brutal im Fernsehen zeigt. Ich könnte es nicht.
Brink: Vielen Dank für das Gespräch.
Im Studio ist jetzt Wolfgang Nowak, bis 2002 Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeskanzleramt, dort unter anderem auch spiritus rector des so genannten „Schröder-Blair-Papiers“, das eine neue Mitte definieren wollte, heute Sprecher der Geschäftsführung der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft für internationalen Dialog. Herr Nowak, Sie kennen Gerhard Schröder aus nächster Nähe. Noch ist vielen Menschen auch nicht klar, warum hat er so vehement reagiert. Ist das Realitätsverlust oder Kalkül, was meinen Sie?
Nowak: Es ist ein Rausch, in dem er sich gesteigert hat, nachdem er den Erfolg, den er erzielt hatte, vergleicht mit dem, was eben vor Monaten die Institute vorausgesagt haben.
Aber es geht ihm auch darum, die CDU mit diesem unglaublichen, knallharten Machtanspruch zu konfrontieren und dann abzuwarten, ob sie unter diesem Machtanspruch mit den üblichen Illegalitäten gegenüber Frau Merkel und anderen beginnt, um dann einen Zerfallsprozess bei der CDU zu stimulieren und dann den Machtanspruch auf seiner Seite, um vielleicht die CDU damit zu locken, dass er sagt, in zwei Jahren könnt ihr dann Kanzler werden, nachdem ich zwei Jahre war. Auf jeden Fall setzt er darauf, den Gegner – und das ist die CDU – zu zerstören. Es geht ihm im Augenblick um nichts anderes als um sich selbst, um seine Macht, und die CDU zu demütigen.
Brink: Also nackter Machterhalt?
Nowak: Ich bin sehr erschrocken. Tatsächlich kann man sagen mit Ernst Bloch, er ist selbst zur Kenntlichkeit entstellt. Ich war erschrocken, als ich diesen Mann sah, wie er hemmungslos Macht lebte, mit Blicken, mit Unterbrechungen da etwas demonstrierte, dass man – ich muss es leider sagen, ich habe für den Man mal gerne gearbeitet – gesagt hat, um Gottes Willen, für diesen Mann möchte ich nicht arbeiten, und darf ein solcher Mann, der eine solche nackte Macht verkörpert, bei der keine Spur Verantwortung zu spüren war, Deutschland regieren? Ich glaube, hätte man diese Szene vor der Wahl gesehen, manch einer hätte es sich überlegt.
Brink: Sie sagen, Sie sind überrascht. Kennen Sie das von ihm früher nicht? Sie haben ja lange für ihn gearbeitet.
Nowak: Nein, ich habe früher sogar einen selbstironischen, selbstkritischen, teilweise sich von sich selbst distanzierenden Mann erlebt, und die Gespräche mit ihm waren sehr angenehm, zumal er zuhören konnte und auch ein Mann des Dialogs, des Gesprächs war.
Brink: Apropos Kommunikation im Gespräch, er ist eigentlich als Medienkanzler gestartet, und, Sie haben das selbst gesagt, jetzt verwundert, dass er mit den Medien eigentlich nicht mehr kooperiert. Im Gegenteil: Er wendet sich sogar ab, er beschimpft die Medien.
Nowak: Ich glaube, das ist ein Grundfehler der SPD und auch sein Grundfehler. Als er Kanzler wurde, hat man diec Medien eingeteilt. Die eine Seite waren die Medien für die Rechten, das ist natürlich die Springer-Zeitung gewesen, das „Handelsblatt“, der Holtzbrink-Konzern.
Auf der anderen Seite waren die guten Medien für die SPD, angefangen von der „Zeit“ bis zum „Stern“ und zum „Spiegel“. Nur ist jetzt eine Generation von Redakteuren eingetreten, die um die 40 sind, die diese alte klischeehafte Bindung, ich bin rechts oder ich bin links, mit Ausnahme vielleicht der TAZ, nicht mehr haben, die Ergebnisse sehen wollen und mit einem Politiker Bündnisse auf Zeit eingehen, wie es am Anfang die Medien mit ihm gemacht haben.
Und er erwartet aber, wenn er sich mit jemandem duzt, wenn er sie mit ins Flugzeug nimmt, erwartet er, dass die Leute dann nett über ihn berichten.
Brink: Also Wohlverhalten?
Nowak: Nicht in dem Sinne Wohlverhalten, dass sie Pfötchen geben, aber wenn es darauf ankommt, nämlich im Wahlkampf, dass sie an seiner Seite kämpfen. Dieser Riss zwischen Alt und Jung ging durch alle Redaktionen. Im „Stern“ gab es Diskussionen, in der „Zeit“ geht der Riss durch, in allen Zeitungen, auch in der „Süddeutschen“, sieht man, dass da eine etwas ältere Redaktionsgruppe im Widerstreit liegt mit jüngeren über die Frage, ob man sich nun so festlegen kann. Die Medien sind nicht mehr festlegbar, die floaten genauso wie der Wähler, und das wirft ihnen Schröder vor, und es ist falsch, ihnen das vorzuwerfen.
Brink: In den meisten Medien ist auch ein bisschen von seinem präsidialen Stil die Rede, das heißt, er hat sich gewandelt vom Medienkanzler ein bisschen über den Umweg eines Volkstribuns – er spricht dem Volk nach dem Mund –, macht jetzt eine präsidiale Haltung, drückt sich ja auch aus in der Negierung von Zahlen, nach dem Motto, was sind schnöde Zahlen, ich will der Kanzler bleiben.
Nowak: Dieser Stil zu einem präsidialen Kanzler ist nicht ein Schrödersches Phänomen. Das finden Sie in vielen europäischen Ländern, das finden Sie in Schweden, in England, Sie sehen nur den Regierungschef. Das ist ein Produkt der Medien. Sie können in den Medien nicht das ganze Kabinett immer präsentieren, sondern alle Aufmerksamkeit fokussiert sich auf den Regierungschef. Er ist der, den man sieht, der, den man spricht, und der, der für alle sprechen darf.
Und allmählich glaubt man diese Rolle, die man annehmen muss, und hält sich auch für denjenigen, der alles kann, und er ist überzeugt, er hat die Wahl 2002 gegen Stoiber für sich entschieden, und er ist überzeugt, er hat gegen eine zitternde SPD, gegen alle anderen diese Wahl für sich gewonnen. Daran glaubt er jetzt, und die SPD folgt ihm ja blindlings, weil sie weiß, wenn sie nicht mehr in der Regierung ist, zerfällt sie.
Brink: Man könnte ja sagen, angesichts der Verunsicherung in diesem Land braucht man vielleicht so einen präsidialen Stil. Hat er nicht vielleicht mit dem, was er tut, Recht?
Nowak: Das ist ein bisschen schwierig, vorgestern einen präsidialen Stil zu entdecken. Vorgestern war es ein nackter Machtanspruch, ein ungezügelter, hemmungsloser Machtanspruch. Aber zu einem präsidialen Stil gehört auch, dass man Verantwortung hat, und bei ihm war es der nackte Wahlkämpfer, der auf die Angst der Bürger gesetzt hat vor einem Kirchhof, den es nicht gibt.
Ich glaube, es ist nicht präsidialer Stil, es ist ein Anspruch, den er immer gehabt hat, er oder ich, und jetzt geht es eben um ihn oder die CDU oder die Merkel, es ging um ihn oder Lafontaine, es geht um ihn oder Stoiber. Auf diese Auseinandersetzungen zwischen zwei Menschen, in denen er, der gelernte Fußballspieler, immer Sieger bleibt, reduziert er die Welt.
Brink: Aber die Leute finden das doch toll. Sie sind ja von ihm begeistert, dem Übervater. Er hat es richtig gemacht.
Nowak: Ich finde es schrecklich, wenn sie von ihm begeistert sind, dass der Übervater es richtig gemacht hat. Das zeigt ja, in was für einer Gesellschaft wir leben, dass wir uns nach dem Übervater, nach dem großen Macker sehnen. Die Frage ist doch, was hat die SPD für eine Vision für Deutschland zu bieten? Also ich bin vorgestern wirklich fast vom Stuhl gefallen, als ich diese brutale Machtkonfrontation erlebt habe, die man allerdings auch im Wahlkampf schon bemerkt hat. Er kämpft für sich, und er kämpft um seine Existenz.
Brink: Sie haben es angesprochen, hat denn die SPD die richtigen Themen? Schröder hat ja im Wahlkampf so getan, als ob Hartz IV des Übels wäre. Er hat es fast gar nicht in den Mund genommen, hat auf soziale Sicherung, auf Wärme gesetzt. Warum hat er das erst jetzt entdeckt, und war das überhaupt das richtige Thema?
Nowak: Schröder ist ein Mann, der Situationen erkennt. Er ist kein Mann, der lang anhaltende Planungen liebt, und schon dass man ein Programm mit Hartz bezeichnet und nicht mit Regierungsprogramm I, zeigt, dass man sich von dem immer ein bisschen distanziert hat. Aber zunächst hat er das Programm hochleben lassen im letzten Wahlkampf, da wurden ja Tausende Arbeitsplätze plötzlich versprochen, und dann ist er jetzt gegen Hartz, weil er spürt, die Stimmung ist gegen Hartz.
Er ist vielleicht jemand, der früher als andere Stimmungen erkennt, egal welche, sie aufgreift und für seine Politik nutzbar macht. Insofern ist er ein idealer Wahlkämpfer. Ob man mit Stimmungspolitik regieren kann, ist eine ganz andere Frage, und die Ergebnisse, was die Arbeitslosigkeit anbetrifft, zeigen ja, dass es an langfristigen Konzepten gefehlt hat. Aber als Stimmungspolitiker ist er unschlagbar.
Brink: Aber wenn er das als Stimmung erkannt hat, dass die Leute, wie die Wahl ja auch zeigt, eine Wahl von vielen verunsicherten Wählern eher, eigentlich auf soziale Sicherung statt Arbeitsmarktpolitik setzen, warum hat er das so spät erkannt?
Nowak: Es ist ihm eingefallen bei der Wahl. Vorher konnte er es nicht, weil es Teil der Agenda 2010 war. Das kann man ihm nicht sagen, so spät, das ist in der Situation, er ist ein Mann des Augenblicks. Nein, ich glaube, das ist nicht die Frage, dass er da wochenlang nachdenkt, was mache ich im Wahlkampf, sondern es passiert.
Zunächst waren sie auch bei Kirchhof alle sehr erschrocken, und dann, als man da merkte, da kann man ein Feindbild daraus bilden, hat man Kirchhof als Feind erkannt und ist auf ihn losgegangen, und zwar so, dass dem armen Kirchhof Augen und Ohren vergingen. Ich glaube, ein Journalist hat geschrieben, es wurde ein Dackel geboten, und die SPD machte einen Kampfhund aus ihm. Das war eine Situation, aber das kann er. Auch bei Konferenzen ist er jedem überlegen. Er ist der gelernte Anwalt, der eine Situation im Gerichtsraum riecht und dann die Geschworenen rumkriegt.
Brink: Braucht er so eine Situation, um zur Bestform aufzulaufen?
Nowak: Ja. Er ist ein Mann der Krise. Er ist ein Mann, wenn er mit dem Rücken an die Wand steht, dann kann er kämpfen, wie bei der Flut, dann kann er etwas zeigen. Nur: Wenn das vorbei ist, dann sackt alles zusammen, dann muss man wieder einen neuen Kanzler erfinden, auf eine neue Krise warten. Das ist das Problem überhaupt seiner Regierung, diese Aufs und Abs, die ja alle an ihm festgemacht werden.
Brink: Jetzt haben wir ja die Krise. Kann er überhaupt da rausführen, sehen Sie eine Chance?
Nowak: Gut, ich habe ihnen ja vorhin gesagt, wie er versuchen wird das zu machen. Er setzt seinen Machtanspruch gegen den Machtanspruch diesmal nicht eines Mannes, sondern einer Frau. Es ist in diesem Land noch nie eine solche Konfrontation mit einer Frau erfolgt wie diesmal, und ich glaube, an einer Frau wird er zerbrechen, weil es ist kein Gegner, mit dem er umgehen kann.
Brink: Also hat Angela Merkel richtig reagiert?
Nowak: Ich glaube, ja. Sie ist kein Stoiber, kein Wulff, kein Fischer. Damit kann er umgehen, da kann er seine Brutalität einsetzen. Er wird an ihr scheitern, weil er mit einem solchen Gegner nie in seinem Leben zu tun gehabt hat.
Brink: Letzte persönliche Frage: Sie haben gesagt, Sie sind von ihm enttäuscht. Wäre das jetzt der Punkt, wo Sie sich von ihm abwenden würden? Sie haben ja bis 2002 für ihn gearbeitet im Bundeskanzleramt.
Nowak: Ich habe gern für ihn gearbeitet, aber ich hätte große Schwierigkeiten, meinen Freunden, aber auch mir selbst zu erklären, warum ich für einen Mann arbeiten könnte, der sich so hemmungslos brutal im Fernsehen zeigt. Ich könnte es nicht.
Brink: Vielen Dank für das Gespräch.