Notfallseelsorge

Eine Stütze in der Katastrophe

06:01 Minuten
Ein Notfallseelsorger an einem Unfallort mit Warnweste.
Notfallseelsorger betreuen Menschen in Schockmomenten - etwa, wenn ein Angehöriger plötzlich gestorben ist. Vor allem geht es darum, die Ohnmacht zu überwinden, sagt Seelsorger Roebke. © imago / Arnulf Hettrich
Von Brigitte Jünger · 24.04.2022
Audio herunterladen
Wenn Polizisten Todesnachrichten überbringen müssen, sind oft Notfallseelsorger mit dabei. Viele sind auch hauptberuflich Seelsorger – so wie Pfarrer Albrecht Roebke. Aber ist ein kirchliches Angebot in solchen Situationen das richtige?
„Also im Normalfall gehen wir einfach mit, wenn die Leitstellen, Feuerwehr und Polizei uns anrufen und uns darum bitten, zu begleiten. Bei Gewalttaten ist es so, dass es meistens die Überbringung einer Todesnachricht ist, wo wir mitgehen. Oder über den Rettungsdienst, dass wir in die Situation kommen, zu einer Familie gerufen werden, wo Kinder sind. Und wenn wir wissen, dass es Kinder sind, gehen wir oft auch zu zweit. Dass einer sich um die Erwachsenen kümmern kann und einer Ansprechpartner, -partnerin für die Kinder ist“, erklärt der Notfallseelsorger Albrecht „Albi“ Roepke.
Der plötzliche Tod eines nahen Angehörigen, verursacht durch Unfall, Mord, Suizid, eine Natur- oder Verkehrskatastrophe, ist ein Schock für diejenigen, die damit konfrontiert sind.  

Kommt jetzt einer mit Gebetsbuch?

Eine Welt bricht zusammen und gleichzeitig stehen viele neue Anforderungen im Raum. Lauter Menschen erscheinen, die alle etwas wollen: die Polizei, vielleicht ein Notarzt, die Kripo, ein Bestatter – und dann ist da auch noch der Notfallseelsorger! So ging es auch Eva: „Meine Reaktion war wirklich: Notfallseelsorger? Nicht den auch noch, den will ich nicht. Ich will keinen. Ich brauche nichts mit der Kirche jetzt, will ich nicht.“
2013 wurde Evas Tochter Thea von einem pädophilen Nachbarn, mit dem die Familie gut befreundet war, ermordet. Der Notfallseelsorger, der damals auftauchte, stieß bei ihr auf große Vorbehalte. Albi Roebke weiß darum: „Was daran liegt, dass ich mir nicht vorstellen kann, was so jemand macht, weil ich vielleicht die Befürchtung habe, jetzt kommt jemand mit einem Gebetsbuch und einem Weihwasserbecken. Jetzt kommt jemand, der mich trösten will.“

„Ich bin jetzt einfach nur für dich hier“

Mit Vorurteilen haderte auch Eva bei ihrer ersten Begegnung mit einem Notfallseelsorger: „Und dann kam der tatsächlich. Und dann hat er gesagt: 'Ja, wollen wir mal vor die Tür gehen, ein bisschen spazieren gehen, so ein bisschen laufen. Ja, okay.' Und dann habe ich wirklich gesagt, so nach hinten abwertend: 'Sie sind doch von der Kirche!' So richtig, also wirklich abwertend. Hat er dann gesagt: 'Ja, ja, ich bin von der Kirche, das ist wohl wahr. Aber das tut ja nichts zur Sache. Ich bin jetzt einfach nur für dich hier und ich begleite dich nur. Und ich kann dir genau sachlich erklären, was hier passiert und wie es weitergeht.' Und dafür war ich sehr, sehr dankbar. Und er hat mir halt auch wirklich genau alles erklärt, warum die Polizei jetzt so lange brauchte und was dann noch alles passieren sollte und so weiter. Und ja, es war eine sehr, sehr, sehr, sehr große Stütze, dieser Notfallseelsorger.“
Albi Roebke sagt: „Notfallseelsorge heißt, die Leute wieder handlungsfähig zu machen. Die Leute sind einer Ohnmachtssituation. Im Moment des Schocks sind die Leute noch gar nicht trauernde, sondern einfach ohnmächtige Menschen. Was kann ich überhaupt noch in meinem Leben beeinflussen? Das Wichtige unserer Arbeit ist, Menschen wieder in Eigenmächtigkeit zu bringen.“

Kinder so ernst nehmen wie Erwachsene

Die alltägliche Routine und Vorhersehbarkeit des Lebens wird angesichts eines Schicksalsschlags außer Kraft gesetzt. Albi Roebke weiß, dass das auch für Kinder eine schwerwiegende Situation ist, die Fingerspitzengefühl erfordert.
„Was es für Kinder sehr schwer macht, ist, dass alle versuchen, die Kinder zu schonen. Und wenn Kinder von der Krise betroffen sind, sind die genauso wie ein erwachsener Mensch betroffen. Und Erwachsene meinen dann aber immer, man könnte die Kinder noch schützen oder man müsste sie vor etwas bewahren. Und das macht es für die Kinder meistens noch viel, viel schlimmer.“
Ein empathisches, sachliches Gegenüber brauchen Kinder in solchen Situationen genauso wie Erwachsene, sagt Roebke: „Im Schockmoment… ganz vieles ist ja erst mal auch Informationen, die ich brauche. Und da ist es eben ganz wichtig – und das checken Kinder aus: Ist mein Gegenüber stabil und ehrlich? Und wenn das so ist, dann fragen die ihre Fragen. Und es ist eben ganz wichtig, dass ich nicht die Grenzen des Kindes überschreite. Was das Kind nicht fragt, das hau ich ihm auch nicht um die Ohren. Aber ich pack eben auch nichts schön ein, was wirklich schlimm ist.“

Religiöser Trost lässt sich nicht überstülpen

Wenn alle Gewissheiten zerbrechen, gibt es keinen Trost und zumeist auch keine Erklärung, die beruhigen würde. Trost aus der Religion, sagt Albi Roebke, kann die betroffene Person sich nur selbst zusprechen, sie darf nicht übergestülpt werden. Sein eigener Glaube spielt für sein Tun allerdings schon eine große Rolle.
„Weil ich mich aus meinem Glauben heraus geschickt fühle, das Angebot für Begleitung zu machen. Und mein persönliches Bild sind die drei Menschen, die Jesus ans Kreuz begleiten. Die können Jesus nicht befreien, die können ihn nicht heilen, die können ihn nicht psychologisch begleiten. Aber es ist in der Bibel als Vorbild angezeigt, dass zwei Frauen und ein Jünger nicht abhauen, sondern das schwierige Stück Weg von Jesus einfach mitgehen und da sind.“

Eva erzählt vom Weg zurück ins Leben

Mit auf diesem Weg ist mittlerweile auch Eva. Wann und wo sie Albi Roepke begegnet ist, weiß sie gar nicht mehr so genau. Aber die Chemie stimmte, deshalb begleitet sie ihn heute oft bei Vorträgen und Fortbildungen und erzählt, wie sie zurück ins Leben gefunden hat. Denn das kann, auch nach schweren Schicksalsschlägen, tatsächlich gelingen, wie Albi Roebke erklärt: „Es bringt diesen Opferstatus hinein und ich finde, bessere Experten als die Betroffenen haben wir doch gar nicht. Und ganz wichtig ist mir das Signal, man darf das auch, man darf da auch durchkommen.“
Und Eva ergänzt: „Es ist immer mucksmäuschenstill, man kann die Nadel fallen hören und, wie gesagt, immer ein super Feedback. Also ich bin dann oft gefragt worden, ob das jetzt für mich so eine, so eine Bewältigung ist dieser ganzen Geschichte. Ich glaube das nicht. Also ich glaube, dass ich es durchaus anders bewältigt habe und dass ich da schon lange durch bin", sagt sie.
"Für mich ist es eher eine Sinngebung. Der Tod von meiner Tochter ist so sinnlos, das ganze Geschehen ist so sinnlos, man lernt nichts davon, gar nichts. Ich glaube, ich kann jetzt auch keinen Täter oder Pädophilen erkennen auf der Straße. Habe ich nicht gelernt, gibt's nicht. Aber je mehr Menschen von mir oder durch mich oder durch unsere Konstellation lernen, wie sie mit anderen Menschen in meiner Situation umgehen können, dadurch lebt Thea wieder. Und dadurch gibt es dem Ganzen einen Sinn.“
Mehr zum Thema