Norman Mailer

Immer in "betont männlicher, wilder, aggressiver Pose"

12:20 Minuten
Norman Mailer bei einem Interview in seinem Apartment in Brooklyn Heights, New York, am 28. Januar  2003.
Norman Mailer gehörte vor allem in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu den prominentesten und lautesten US-Autoren. Er prägte viele Debatten. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / KATHY WILLENS
Fabian Wolff im Gespräch mit Frank Meyer · 31.01.2023
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Norman Mailer wird vor allem mit dem Kriegsroman "Die Nackten und die Toten" von 1948 verbunden. Doch in Mailers Werk sei weit mehr zu entdecken, findet der Literaturkritiker Fabian Wolff. Zu seinem 100. Geburtstag ist es auffällig still um den Autor.
Für Verlage ist ein Jahrestag wie der am 31. Januar bei Norman Mailer oft Anlass, reihenweise Bücher von und über die Berühmtheiten aufzulegen oder wiederzuveröffentlichen. Hier nicht, obwohl Mailer lange Zeit einer der Mittelpunkte der US-amerikanischen Literatur und schon in jungen Jahren berühmt und erfolgreich war.
Mit seinem Antikriegsroman „Die Nackten und die Toten“ schuf Mailer einen Klassiker der Weltkriegsliteratur. Er wurde zwei Mal mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und erhielt den National Book Award für sein Lebenswerk.
Nach Einschätzung von Literaturkritiker Fabian Wolff ist Mailer einer der Autoren, die die Literaturwissenschaft, vielleicht auch die Lesenden insgesamt, in Begeisterung und Ablehnung teilt. Und selbst die, die von ihm und seinen Werken nicht loskommen, würden ihn gelegentlich hassen.

Ein Schlüsselerlebnis: Mailers Kriegsteilnahme

„Der große Schlüsselmoment ist, dass Mailer im Zweiten Weltkrieg im Pazifischen Kriegstheater kämpft und darüber dann auch unmittelbar nach Kriegsende einen großen Roman schreibt“, sagt Wolff mit Blick auf Mailers "The Naked and the Dead". Auf Deutsch erschien er unter dem Titel „Die Lebenden und die Toten“.
Der Roman wurde ein Kassenschlager, vor allem „wegen seiner ungeschönten, aber auch modernistischen Darstellungen des Kriegsunsinns", so Wolff.
Mailers nächste Romane seien allerdings vom Publikum eher "kalt empfangen" worden, so dass sich Mailer neu erfunden habe: Schriften, gespickt mit Philosophie und großer Theorie folgten, wie Wolff schildert.
Zu Mailer hätten auch immer seine „betont männliche, wilde, aggressive Pose“ gehört, so Wolff, die er auch in den literarischen und intellektuellen Diskurs“ eingebracht habe: Mailer wurde zu einem Medienstar.

Der Schriftsteller in Boxerpose

Ähnlich wie Ernest Hemingway habe sich Mailer immer gern in Boxerpose gezeigt: "Schriftsteller, betont ungegendert, sind Boxer, sind Gladiatoren. Sie steigen mit den großen Fragen, mit den großen Problemen, mit Sprache an sich, mit Kunst in den Ring und müssen gewinnen."
Entsprechend dieser Haltung habe Mailer mit Kollegen und Kolleginnen nicht einfach nur gestritten, sondern Streit gepflegt.
Laut Wolffsetzt sich mit dieser Haltung und mit dieser Rolle Mailers eine neue Biografie von Richard Bradford sehr gut auseinander („Tough Guy: The Life of Norman Mailer“). „Eine sehr giftige, betont dekonstruierende Biografie“, lautet Wolffs Urteil über das Werk, das bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt erschienen ist.

Baldwin und Mailer - Wertschätzung und Auseinandersetzung

Eine sehr wichtige Verbindung für Mailer war die zu James Baldwin. Beide Schriftsteller waren befreundet, sie hatten sich Mitte der 1950er-Jahre in Paris getroffen. „Eine Zeitlang zumindest haben sie sich auch literarisch beeinflusst“, so Wolffs Einschätzung.
Mailer habe etwa 1957 den Essay „The White Negro“ verfasst, ein „typisch krudes, apokalyptisches Post-Kriegs- und Post-Nachkriegs-Feuerwerk, irgendwie freudianisch, marxistisch“. Baldwin habe darauf mit einem eigenen Essay geantwortet, erklärt Wolff.

True Crime Obsession in seinen Spätwerken

Aber Mailers „beste Texte, seine besten Bücher“ seien seine Werke der 60er-Jahre, findet Kritiker Wolff: über die Bürgerrechtsbewegung, über die Studentenproteste, über die politischen Umbrüche in beiden Parteien. „Das sind Zeitzeugnisse, verwirrende, aber explosive, gewittrige." Sie hätten „alle möglichen Ideen, Stile und Tonfälle".

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Dass es nun so still ist rund um den 100. Geburtstag Mailers, ist für Wolff schwer zu erklären. Wolff sagt: „Man muss auch einfach sagen: Mailer war ein sehr unangenehmer Mensch, der unverteidigbare Dinge gesagt und vor allem getan hat und damit auch einfach Leid hinterlassen hat."
Als Beispiele dafür nennt Wolff die Messerattacke Mailers auf seine Frau oder seinen Kampf gegen den Feminismus. Selbst sein Ende habe Mailer in der Pose eines "alten, sterbenden Löwens" empfangen.
Allerdings sei er auch produktiv bis ins hohe Alter geblieben und passe mit mehreren seiner Spätwerke auch sehr gut in kulturelle Obsessionen der heutigen Zeit.

Werke von und über Mailer:

Norman Mailer "Gnadenlos. Das Lied vom Henker"
Langen Müller, München 2022
1000 Seiten, 28 Euro

"Mailers Epos über einen Mörder, der die Todesstrafe für sich verlangt, und die Zerstörung, die seine Morde hinterlassen haben – eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Gewalt ohne True-Crime-Kitsch"

Norman Mailer "Der Kampf"
Langen Müller, München 2021
256 Seiten, 16,00 Euro

"Mailers Leidenschaft fürs Boxen hat in Muhammad Ali ein perfektes Thema gefunden. Keine philosophische Studie, aber ein brennendes Porträt des Greatest of All Time"

Norman Mailer "Reklame für mich selber"
Langen Müller, München 2021
572 Seiten, 25 Euro

"Der Band aus Essays, Kurzgeschichten und kleinen Fragmenten läutet Mailers Ära als Superstar ein und ist immer noch aufregende und frustrierende Lektüre"

Steven Thomsen "Norman Mailer. Die Biographie"
Langen Müller, München 2022
300 Seiten, 25 Euro

"Mailer hat in Thomsen einen etwas zu begeisterten Biographen gefunden, der sich bemüht, Mailer als ewig hippen Vordenker zu präsentieren, und ihn zu oft in Schutz nimmt. Dabei gerät er leider auch in kulturkonservatives Geheule über Cancel Culture"

Richard Bradford "Tough Guy: The Life of Norman Mailer"
Bloomsbury, Dublin 2023
304 Seiten, 28 Dollar

"Der Tonfall von Bradfords Bio ist giftig, vielleicht zu giftig – aber das bildet gut den Hass ab, den auch eingefleischte Mailerolog*innen für ihn zwischendurch entwickeln"

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