Nordlink

Ein langes Stromkabel im Dienst der Energiewende

09:48 Minuten
Die Sonne scheint auf das Umspannwerk Wilster/West.
Das Umspannwerk Wiltser ist der Knotenpunkt für den Stromtransport vom Norden in den Süden. Dort kommt nach 623 Kilometern ein Kabel aus Norwegen an. © picture alliance / dpa / Frank Molter
Von Johannes Kulms · 24.03.2021
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623 Kilometer ist das Kabel lang und führt von Norwegen nach Deutschland. Mit Nordlink wollen die beiden Länder Öko-Strom hin- und herschicken, je nachdem, wer gerade zu viel davon hat. Im Probebetrieb hat sich das Projekt bereits bewährt.
Seit 2010 ist Manfred Boll Bürgermeister von Nortorf. Die 900-Einwohnergemeinde liegt in der Wilstermarsch, eine knappe Autostunde nordwestlich von Hamburg: "Alle wollen sie die Energiewende! Und das ist auch gut, das ist auch in Ordnung so! Aber man kriegt so was ja nicht zum Nulltarif!"
Die Region ist seit Jahrzehnten fest mit der Energiegewinnung verbunden. Nur wenige Kilometer entfernt von Nortorf fließt die Elbe. Dort stehen am Ufer in Brunsbüttel und in Brokdorf gleich zwei Atomkraftwerke.
Der Abriss der AKWs ist beschlossen beziehungsweise sogar schon im Gange. Das gleiche gilt auch für die Errichtung neuer Stromtrassen, die die Energiewende in Deutschland voranbringen sollen. Denn Nortorfs Bürgermeister Boll weiß: "Wer A sagt, muss auch B sagen!"

Nordlink - ein 623 Kilometer langes Kabel

Boll steht an diesem Vormittag an einer Landstraße am südlichen Ortsausgang. Am Horizont drehen sich die Windräder. Deutlich näher liegen die riesigen Strommasten, die Umspannwerke und ein großes, sperriges, grünes Gebäude. Es ist die Konverterstation für das Nordlink-Projekt.
Nordlink – dieser Name steht für ein 623 Kilometer langes Kabel, das in der norwegischen Gemeinde Tonstad beginnt und hier in Nortorf endet. Wie eine gigantische Batterie soll das Projekt helfen, Schwankungen im Netz auszugleichen und überschüssigen Strom zu speichern.
Es ist die Verbindung zwischen norddeutscher Windkraftenergiegewinnung und den südnorwegischen Wasserkraftwerken: "Die Idee ist, wenn wir hier zu viel Strom haben, dann können wir Strom nach Norwegen abgeben. Und die können dann in ihre Gebirgsseen ihr Wasser reinpumpen. Und wenn wir zu wenig Strom haben, dann lassen die das Wasser wieder ab, können da Strom erzeugen und schicken den hier wieder her."
Natürlich sei das grüne Konvertergebäude nicht besonders schön, meint Nortorfs Bürgermeister. Aber Manfred Boll freut sich über die Jobs und die Gewerbesteuer, die die Energiebranche seit Jahrzehnten der Gemeinde beschert.
Fünf Jahre lang hat Jan Kocksch als Projektleiter den Bau des Konvertergebäudes in Nortorf vorangetrieben. Wegen des feuchten schleswig-holsteinischen Marschbodens war die Vorbereitung aufwendig:
"Das ist ja hier so eine Art Schwamm. Und um unser Betriebsrisiko zu reduzieren, dass nicht das Gelände kurzfristig stark absackt, haben wir entsprechende Maßnahmen vorher getroffen. Wir haben uns dazu entschieden, hier eine Unmenge an Sand hinzukippen, um damit eine Überlast zu erwirken, die dazu führt, dass das Gelände vorher absackt und nicht während der Betriebszeit."

Der Probebetrieb läuft gut

2.200 Pfeiler aus Stahlbeton wurden zur Gründung in den Marschboden getrieben. Offenbar mit Erfolg, denn das grüne Konvertergebäude ist nicht nur fertig, sondern steht auch geradezu kerzengrade unter dem grauen norddeutschen Himmel. Seit drei Monaten ist das Nordlink-Kabel im Probebetrieb.
Der Testmodus ist fast abgeschlossen und Probleme habe es kaum gegeben, sagt Tim Meyerjürgens, Geschäftsführer des Netzbetreibers Tennet: "Ein Probebetrieb dient ja letztendlich dazu, einmal die Anlage auf Herz und Nieren zu testen. Und zu gucken, ob alle Einstellungen passen, ob die Schutzeinstellungen richtig vorgenommen wurden. Und da haben wir das eine oder andere noch mal nachjustieren müssen."

Meyerjürgens steht jetzt im Konvertergebäude. Dort kommt das Kabel aus Norwegen an. Der Großteil der 623 Kilometer langen Leitung verläuft am Meeresgrund. Lediglich die beiden circa 50 Kilometer langen Enden laufen auf norwegischer und auf deutscher Seite an Land per Erdkabel.
Das Bild zeigt das grüne Konvertergebäude der Nordlink Projekts.
Technik im Dienst der Energiewende: Tim Meyerjürgens steht vor dem Konvertergebäude des Nordlink-Projekts.© Johannes Kulms
In Deutschland basiere die Energieversorgung auf Wechselstrom, sagt Meyerjürgens. Doch bei einer langen Strecke würde es bei Wechselstrom hohe Transportverluste geben. Deswegen würden lange Seekabel wie das Nordlink-Projekt im Gleichstrommodus errichtet: "Das geht über sehr große Distanzen nahezu verlustfrei. Man hat nur den Aufwand am Anfang und am Ende, die Umwandlung dann wieder in Wechselstrom."
Genau deswegen stehen sowohl im norwegischen Tonstadt wie auch hier in Nortorf Konvertergebäude. In jeder der drei großen Hallen sieht es aus, als wenn ein Riese sich im Modellbaukasten bedient hätte, um hier überdimensionierte Zylinder und Metallgerippe zusammenzustecken.

Ersatz für ein ganzes Kernkraftwerk

Wegen Wartungsarbeiten sind die Anlagen an diesem Tag ausgeschaltet. Insgesamt hat das Nordlink-Kabel rund zwei Milliarden Euro gekostet. Die Kapazität liegt bei 1.400 Megawatt. Das reiche aus, um etwa 3,6 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen und ersetze von der Leistung her etwa ein Kernkraftwerk.
Das ist ein wichtiger Beitrag, und doch nur ein kleiner Schritt beim Megaprojekt Energiewende. Das weiß auch Tim Meyerjürgens: "Am Ende entscheiden wir nicht über die Transportrichtung, sondern wir geben die Anlage an den Markt. Und die Preisdifferenz zwischen dem norwegischen Markt und dem deutschen Markt, die bestimmt die Transportrichtung. Und beide Richtungen haben auch für uns ihren Mehrwert. Insofern ist das für beide Seiten Win-win."
Schon heute unterhält Norwegen bereits ähnliche Kabelverbindungen zu anderen europäischen Staaten - nach Dänemark und in die Niederlande. Auch für Großbritannien ist ein ähnlicher Stromaustausch angedacht.
Kaspar Vereide ist Projektentwickler bei einem norwegischen Wasserkraftbetreiber und Dozent an der Norwegischen Universität der Wissenschaft und Technology, NTNU. Ist das Nordlink-Kabel eine Win-win-Situation für alle Beteiligten? Ja, auf jeden Fall, sagt Vereide.

Höhere Strompreise in Norwegen

In der Wahrnehmung vieler Menschen in Norwegen führten die Kabelstränge durch die Meere aber nicht nur zu einer größeren Verbundenheit mit dem europäischen Stromnetz, sondern auch zu höheren Strompreisen. Tatsächlich waren wegen der Ölvorkommen und der vielen Wasserkraftwerke die Energiekosten in Norwegen bisher relativ niedrig. Doch Kaspar Vereide hält dem entgegen, dass höhere Stromkosten am Ende auch der Gesellschaft zugutekämen. Dadurch nämlich, dass die Anteile an den Kabelprojekten auf norwegischer Seite im staatlichen Besitz seien: "Then actually the profit of all these cables is going to the state."
Mit Blick auf das Nordlink-Projekt gebe es aber noch einen Vorteil, denn in Norwegen hat in den letzten Jahren die Planung für neue Windparkprojekte Fahrt aufgenommen. Die führen auch in Skandinavien zu vielen Diskussionen in der Bevölkerung. Mit dem neuen Kabel nach Deutschland bekämen die Norweger*innen nun die Chance, Windstrom aus der Bundesrepublik zu importieren, ohne dafür neue Windmühlen zu errichten.

Balance zwischen Wirtschaft und Ökologie

Neben dem energiepolitischen und dem wirtschaftlichen Aspekt gibt es allerdings auch noch die ökologische Ebene. Verschiedene Umweltorganisationen in Norwegen haben in den letzten Jahren immer wieder auf die Nebenwirkungen der Wasserkraftnutzung hingewiesen. Die sichert in Norwegen sage und schreibe 97 Prozent der Stromversorgung.
Doch tatsächlich verändert die Nutzung von Wasserkraft auch die Wasserzirkulation an der Küste, weiß Henning Wehde: "Und das beeinflusst natürlich die natürliche Umgebung für Fischarten, alles Leben in den Fjorden. Wenn auf einmal sehr viel frisches Wasser im Sommer dazu kommt, zerstört es den natürlichen Rhythmus und kann dazu führen, dass Laichprozesse von Fischen in Unordnung gebracht werden."
Der deutschstämmige Ozeanograph leitet in Bergen das Institut für Marineforschung. Wehdes Forschungsteam berät regelmäßig die norwegische Regierung bei Ölförderprojekten oder der Errichtung von Windparks auf hoher See.
Die Regierung in Oslo achte sehr auf die Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischen Belangen, sagt Wehde. Deswegen hält er die Auswirkungen des Nordlink-Kabels auf die Umwelt insgesamt für vertretbar: "Wenn man dann mehr Windkraft in Deutschland hat und die dann einführen kann nach Norwegen, könnte man natürlich weniger Wasserkraft in Norwegen produzieren."

Akzeptanz für die Energiewende

Zurück nach Norddeutschland. Dort führt Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens die Medienleute gerade über das Außengelände, das der Netzbetreiber in Nortorf errichtet hat. Der politische Widerstand gegen das Nordlink-Kabel war überschaubar. Das Projekt soll im Mai auch offiziell eingeweiht wird.
Andere Vorhaben wie etwa die Stromtrasse Südlink sind deutlich zäher umzusetzen, weiß Meyerjürgens: "Bei Südlink ist natürlich das dominierende Thema die Akzeptanz vor Ort. Wir müssen ja eine Kabeltrasse von Norddeutschland nach Süddeutschland durch stark bewohntes Gebiet planen. Wir können nicht zwischendurch einfach unterbrechen, weil dort ein Hindernis ist. Das heißt, wir müssen auch in schwierigen Bereichen einen Weg finden. Und das ist offshore natürlich ein bisschen einfacher, auf See ein Seekabel zu verlegen, da hat man technische Herausforderungen, aber wir haben jetzt keine großen Akzeptanzfragen da draußen."
Die Akzeptanz für die Energiewende ist bei Nortorfs Bürgermeister auf jeden Fall gegeben. Nur über eine Sache ärgert sich Manfred Boll bis heute: Die Konverterstation und das Umspannwerk tragen den Namen der benachbarten Gemeinde Wilster. Die ist deutlich größer und bekannter als Nortorf.
Aber die Einrichtungen stünden doch nun mal hier: "Ich werde keine Unterschriftenaktion starten, aber ich kämpfe dafür, für meine Gemeinde und den Namen Nortorf! Und ich habe das jetzt auch nach ein paar Jahren soweit zurecht gekriegt, dass die Adresse von Nordlink schon mal richtig ist! Das heißt denn schon mal zwei, fünf, fünf, vier, neun Nortorf bei Wilster, oder 'in der Wilstermarsch' kann man ja schreiben. Und dann Diekdorf 142. Das ist die genaue Adresse!"
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