Windkraftanlagen

Keine Rotorblätter aus Rostock mehr

09:04 Minuten
Ein Kran hebt ein Rotorblatt für eine neue Windenergieanlage des deutschen Herstellers Nordex nach oben. Zwei Rotorblätter sind bereits an der Anlage.
Nordex will auch künftig die Rotorblätter für seine riesigen Anlagen selbst fertigen. Allerdings nur noch in Nicht-EU-Staaten wie den USA und der Türkei. © picture alliance/ dpa /dpa-Zentralbild / Sören Stache
Von Silke Hasselmann · 28.04.2022
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Mit Nordex verlagert der letzte deutsche Windkraftanlagenhersteller seine Rotorblattfertigung ins Ausland. Wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit vor allem aufgrund der neuen Kohlendioxidsteuer, so das Unternehmen. Zu kurz gedacht, findet so mancher.
Enttäuschung kann Menschen still machen. Oder aber laut. Für Letzteres entschieden sich kürzlich rund 200 Männer und Frauen, als sie sich pfeifend und trommelnd am Rostocker Werkstor von Nordex Energy trafen. In der großen Halle dahinter fertigten sie bislang Rotorblätter für die mittlerweile riesigen, mehr als 200 Meter hohen Nordex-Windmühlen. Damit ist jetzt Schluss. "Beschissen fühlt sich es an“, sagt einer der bisher hier Beschäftigten. „Ich bin über 20 Jahre hier. Man hat immer noch gehofft, dass es irgendwie weitergeht. Aber uns wurde der Zahn gezogen."
Bis zum 30. Mai will die Nordex Aktiengesellschaft, die ihren Geschäftssitz in Hamburg hat, den Rostocker Stammproduktionsstandort abwickeln. Dabei ist der Windparkbetreiber nicht etwa pleite. Nordex will auch künftig die Rotorblätter für seine riesigen Anlagen selbst fertigen. Allerdings nur noch in Nicht-EU-Staaten wie den USA und der Türkei, wo der Windmühlenbauer schon seit einigen Jahren entsprechende Werke betreibt.

Lohnkosten im Ausland: ungleich niedriger

Warum die letzte noch in Deutschland ansässige Rotorblattfertigung bald Geschichte sein wird? Der Hauptgrund ist ein finanzieller, den Unternehmenssprecher Felix Losada im NDR-Fernsehen so erklärt: "Manchmal sind die ökonomischen Drücke oder die Gründe so schwerwiegend, gerade vor dem Hintergrund, dass alle anderen Wettbewerber im Ausland günstiger produzieren. Und wir stehen nun mal mit denen im Wettbewerb."
So zählt die Nordex AG als zweitgrößter Industrie-Arbeitgeber zu den immer noch recht wenigen Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern, die gute Tariflöhne zahlen. Die Lohnkosten im Ausland: ungleich niedriger. Das gilt zunehmend auch für Strom-, Wärme- und Transportkosten des Unternehmens. Das Fass zum Überlaufen brachte hier die im vorigen Jahr eingeführte Kohlendioxid-Steuer. Damit belegt der deutsche Staat nicht nur Benzin, Diesel, Schmieröle, sondern auch den Ausstoß von CO2 bei der Herstellung von Gütern und Waren mithilfe von fossilen Brennstoffen wie Gas und Kohle. Weil auch die Anlagen für die Gewinnung erneuerbarer Energien nicht nur mit Sonne und Windkraft hergestellt und transportiert werden können, schlägt die CO2-Zusatzsteuer bei Nordex kräftig ins Kontor. Dazu jetzt die Preissteigerungen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine.
Die nüchterne Überlegung in der Hamburger Geschäftsleitung lautet: 600 Mitarbeiter in Rostock opfern und die Rotorblattfertigung ins Ausland verlagern, um die eigenen Windkraftanlagen zu einem halbwegs konkurrenzfähigen Preis anbieten und das gesamte Unternehmen erhalten zu können. "Denn wenn wir nicht mehr verkaufen können, dann haben wir ein Problem mit 8.600 Mitarbeitern“, erklärt Nordex-Sprecher Felix Losada. Das Unternehmen hat schon viele Berg- und Talfahrten miterlebt und überlebt. Doch die 100 Millionen Euro Verlust allein im vergangenen Jahr waren zu viel.
Beschäftigte demonstrieren vor dem Nordex-Rotorblattwerk in Mecklenburg-Vorpommern, das Ende Juni geschlossen werden soll.
Protest am Nordex-Produktionsstammsitz Rostock: 600 Beschäftigte werden entlassen – und fragen sich, wie das möglich ist angesichts der Energiewende und Plänen für einen enormen Windkraftausbau.© picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Dabei wird der durch Windkraft erzeugte Strom in Deutschland stark subventioniert. Windkraftanlagenbauern und -betreibern wird ein fester Preis pro eingespeister Kilowattstunde Windstrom garantiert, auch wenn über den Marktbedarf produziert wird. So will es das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Allerdings gilt diese Regelung nur 20 Jahre ab Inbetriebnahme einer Anlage. In dieses Alter kommen derzeit immer mehr der rund 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland, darunter knapp 2.000 in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn man weiß, dass sich die Einnahmen von Windparkbetreibern im Durchschnitt zu zwei Dritteln aus diesen EEG-Zuschüssen und nur zu einem Drittel aus dem Stromverkauf am Markt zusammensetzen, kann man sich leicht ausmalen, was das für die künftigen Bilanzen bedeutet.

Riesiger Stau in Genehmigungsverfahren

„Dann bauen wir eben neue Windparks! Wird ja von der Politik im Namen von Klimaschutz und Energieunabhängigkeit von Russland unbedingt gewollt!“, dürften sich Hersteller und Betreiber wie Nordex sagen. Das sei richtig, bestätigt Marcus Heinecke vom Nordex-Planungsbüro VossEnergy. Aber sie erlebten – wie auch schon in den vergangenen Jahren – einen „gewaltigen Stau an Genehmigungen über Leistungen von ungefähr 3,5 Gigawatt“. Das sei so viel wie etwa drei mittlere Atomkraftwerke produzieren.
Einen solchen riesigen Stau an Projekten, die in den Verfahren hängen, gibt es auch in Mecklenburg-Vorpommern, dem „Land der tausend Seen“. Hier will die rot-rote Landesregierung, dass bald auf zwei Prozent der bebaubaren Landesfläche Solar- und Windkraftanlagen stehen. Doch wegen des Widerstandes von Bürgerinitiativen und zunehmend auch Naturschutzvereinen kommt der Windkraftausbau hier seit einigen Jahren nicht mehr voran.
Bekanntlich will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen das Planungsrecht deutlich entschlacken, Bürgerbeteiligung zurückschneiden und Windkraftanlagen sogar in Naturschutzgebieten zulassen – bislang ein Tabu. Das müsste Musik in den Ohren von Windparkbetreibern und Anlagenbauern sein.

Mehr Akzeptanz der Bürger für Windkraftanlagen

Doch nicht nur in der Nordex-Zentrale dürfte man aufmerksam verfolgt haben, was der Umweltminister Mecklenburg-Vorpommerns, Till Backhaus, und Energieminister Reinhard Meyer zu Habecks sogenanntem "Osterpaket" sagten. Umweltminister Backhaus erklärte, er habe Robert Habeck selbst gesagt: „Wir brauchen fünf Sachen. Erstens: Handhabbares Gesetz.“ Das scheine vorzuliegen, das guckten sie sich in Ruhe an. „Wir brauchen Personal, um die Genehmigungen sauber durchführen zu können. Drittens: Wir brauchen Geld, um das Personal zu bezahlen.“ Viertens brauchten sie die Fläche. „Und wir brauchen, was meistens leider vergessen wird: Wir brauchen Akzeptanz in den ländlichen Räumen für diese Maßnahmen.“
Energieminister Reinhard Meyer äußerte seine Bedenken. „Wir müssten die Flächen mehr als verdoppeln. Und wir bekommen das nie hin mit der Energiewende, wenn es nicht die Akzeptanz der Mehrheit der Bevölkerung gibt.“ Seine Forderungen: „Die Kommunen müssen verpflichtend beteiligt werden an den Gewinnen, die durch Windenergieanlagen an Land gemacht werden. Gut wäre auch mehr Bürgerbeteiligung." Eine erstaunliche Aussage – denn die Schweriner Landesregierung rühmt sich, vor einigen Jahren in Mecklenburg-Vorpommern das erste Bürgerbeteiligungsgesetz Deutschlands erlassen zu haben.

Kostenvorteil falsch kalkuliert?

Wie auch immer: Nordex wird ein Standbein in Rostock behalten. In der Südstadt sollen weiterhin die Gondeln für die Windkraftanlagen gebaut werden, also für jenes Teil am oberen Ende des Turmes, das Generator und Getriebe beherbergt und an dem die Rotorblätter montiert sind. Doch Letztere werden ab Juli ausschließlich aus Ländern jenseits der Europäischen Union kommen, wo nicht nur die Arbeiter weniger kosten als in Rostock, sondern wo Material und Energie keiner CO2-Steuer unterliegen.
Das sei kurzsichtig, findet der Handwerksmeister Reinhold Hagen, der derzeit für die FDP im Bundestag sitzt. Der Mecklenburger ist sich sicher, dass Nordex und Co. auch künftig ihre Anlagen in Deutschland und anderen EU-Ländern aufbauen wollen – und dafür irgendwann die auswärts gefertigten Rotorblätter einführen müssen. "Jeder, der jetzt glaubt, er kriegt einen Kostenvorteil, indem er in Drittstaaten produziert und zum Beispiel günstiger Strom oder Material einkauft, weil keine CO2-Besteuerung da ist, der wird sich schnell umsehen, wenn er es nach Europa schafft.“ In den nächsten Jahren werde ein CO2-Grenzausgleichssystem aufgebaut in Europa. „Und deshalb ist dieser Preisvorteil vielleicht schneller weg, als der Vorstand das jetzt glaubt."
Für die Rostocker Rotorblattfertiger kommt dieses Argument zu spät. Ihnen kann es nur noch darum gehen, eine gute Abfindung zu erhalten, in eine von Nordex finanzierte Transfergesellschaft zu kommen und möglichst einen neuen Investor als Arbeitgeber zu finden, der ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten schätzt. Dass sie ausgerechnet mitten in der Energiewende nicht mehr für das Windkraftunternehmen Nordex arbeiten werden, wird ihnen wohl noch lange nachgehen; denn, so ein Mitarbeiter: „Wir haben immer gedacht: 'Es ist ein Leuchtturm. Die ziehen durch, gehen auch durch schwierige Zeiten, um dann irgendwann zu sagen: Der Markt ist wieder da, und wir können direkt hier auch mit relativ grünem Fußabdruck – kurze Transportwege und so weiter – produzieren.' Aber das scheint nicht so viel zu zählen.“

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