Nordafrikanisches Filmfest in Köln

Kino seit dem Arabischen Frühling

Jugendliche sitzen am 6.5.2015 in einer Bar in der Altstadt der tunesischen Hauptstadt Tunis.
Jugendliche in Tunis: Die nordafrikanischen Filmemacher wollen die Sehnsüchte der Menschen dokumentieren. © picture-alliance / dpa / Eric Lalmand
Von Michael Briefs · 13.06.2016
Tunesien, Marokko, Algerien: In den Maghreb-Staaten gibt es kein öffentliches Interesse an Dokumentarfilmen. Und es fehlt an finanzieller Unterstützung für unabhängige Filmemacher. Beim Nordafrikanischen Filmwochenende in Köln konnten dennoch einige von ihnen ihre Arbeiten zeigen.
"In meinem Kopf ein Kreisverkehr" ist der erste Lang-Film von Hassan Ferhani, einem algerischen Regisseur, der in Marseille lebt. Das Kammerspiel über das trostlose Arbeitsmillieu in einem Schlachthof im heutigen Algerien wurde mit Geldern französischer Kultureinrichtungen gesponsert.
Zu sehen sind junge und ältere Arbeiter bei der routinierten Verrichtung ihres Jobs oder beim Fußball vor dem Fernseher in den Pausen. Meist reden sie über die Liebe und das Heiraten. Das wirkliche Leben außerhalb erscheint ihnen wie "ein Kreisverkehr mit vielen Ausfahrten".
Genauso wenig wie die jungen Protagonisten das Leid der Tiere nicht mehr sehen, vermeiden sie Gespräche über Wege aus der eigenen Opferhaltung.

Verbotene No-Budget-Doku aus Tunesien

"Dieses Land widert mich an. Die Arbeit ist hart und gefährlich. Bevor ich im Knast lande, haue ich ab. 20 Dinar täglich und nichts zu fressen. In Paris könnte ich als Gepäckträger arbeiten. In M'Hammdia bleibe ich ein Nichts." (Szene aus "El Gort")
"El Gort", das Heu, so heißt der international preisgekrönte Dokumentarfilm des jungen tunesischen Filmemachers Hamza Ouni. In Tunesien war "El Gort" 2013 nur einmal im Kino zu sehen. Danach wurde der No-Budget-Film, der nur mit Hilfe von Freunden des Regisseurs realisiert werden konnte, verboten. Hamza Ouni dokumentiert darin den Alltag junger Männer, die sich als Tagelöhner in der Landwirtschaft durchschlagen.
Hamza Ouni: "Zwei junge Tunesier Anfang Zwanzig. Außenseiter, deklassiert. Wie viele Opfer des Ben-Ali-Regimes sind sie mit der Arbeitslosigkeit und der ökonomischen Armut aufgewachsen."
Die beiden Protagonisten träumen von einem besseren Leben in Italien oder Frankreich. Vergeblich. Der eine, Washwasha, landet im Gefängnis, und der kämpferische Khayri ...
"... mit Benzin übergossen und angezündet. Nichts mehr zu verlieren."
Hamza Ouni: "Khayris Selbstverbrennung hat mich schockiert. Ich wollte etwas für ihn tun. Also stoppten wir die Dreharbeiten, und der Film endete vorerst mit dem Bild von einem roten Plakat und Khayri, der von einem Bürgerkrieg spricht."
Seit den Unruhen 2011 attackieren radikale Anhänger der islamistischen En-Nahda Partei und mit ihnen verbündete Salafisten vielerorts in Tunesien Kulturzentren, Theater, Galerien und Universitäten. Die meisten der knapp 90 tunesischen Kinos wurden geschlossen. Wegen solcher Einschüchterungsversuche wollen viele Künstler und Intellektuelle das Land verlassen.

Die Probleme und Sehnsüchte der Menschen zeigen

Der tunesische Filmemacher Hamza Ouni hat den Volksaufstand gegen den Diktatur Ben Ali unterstützt. Heute dokumentiert er die Probleme und Sehnsüchte der Menschen, die in den einfachen Stadtvierteln leben:
"Ich rede nicht gerne von Revolution oder Arabischem Frühling. Eher von Herbst oder Winter. Tunesien ist nicht mit Libyen vergleichbar oder Katar. Auf dem Spiel stehen unsere offene Gesellschaft und die Gleichberechtigung von Mann und Frau."
Zusammen mit Regisseur Hamza Ouni ist auch Protagonist Khayri für die deutsche Premiere von "El-Gort" nach Köln gereist. Der Film hat sein Leben gerettet, sagt Khayri, der mittlerweile in den USA lebt. Viele Tunesier lieben die amerikanische Kultur. Es klingt daher auch wie ein amerikanisches Märchen, wenn der junge Tunesier heute von seiner Familie und seinen Freunden in seiner Heimatstadt M'Hammdia, einem Vorort von Tunis, erzählt:
"2005 gab es dort niemand, der einen Film oder ein Konzert sehen wollte. In M'Hammdia, wo Hamza und ich geboren sind, zählte nur eines: Arbeit, Geld und Familie. Dank Hamza sind viele meiner Freunde jetzt an Kultur interessiert. Alle wollen seinen Film sehen. Denn darin wird ihre eigene wahre Geschichte erzählt und nicht irgendein Drama."

Eine politische Macht außerhalb der Parteien

Engagierte Leute wie Hamza Ouni repräsentieren eine neue politische Kraft, die außerhalb der Parteien heranwächst. Sie wollen dem Ausland das wahre Gesicht ihrer Machteliten vor Augen führen. Und sie wollen den Menschen vor Ort dabei helfen, den Kräften zu widerstehen, die meinen, dass Demokratie ein Problem sei. Weil sie Journalisten und Künstlern ermöglicht, frei ihre Meinung zu sagen.
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