Der Literaturnobelpreis ist in diesem Jahr mit neun Millionen Schwedischen Kronen dotiert (etwa 940.000 Euro). Die Summe wurde vor kurzem um eine Million Schwedische Kronen erhöht. Das Auswahlgremium für die hohe Auszeichnung setzt sich aus 18 Mitgliedern der Schwedischen Akademie für Sprache und Literatur zusammen. Die Verleihung findet am 10. Dezember in Stockholm statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).
Ein großartiger Erzähler - und ein feiner Mensch
Der Nobelpreis für Literatur geht in diesem Jahr an den britischen Schriftsteller Kazuo Ishiguro. Eine Entscheidung, die von unserem Literaturkritiker Joachim Scholl vorbehaltlos befürwortet wird - und den Blessing Verlag in helle Aufregung versetzt.
Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an den britischen Schriftsteller Kazuo Ishiguro. Die Schwedische Akademie in Stockholm zeichnet Ishiguro für die starke emotionale Wirkung seiner Romane aus. Der 1954 geborene Autor wurde mit Werken wie "Damals in Nagasaki" und "Der Maler der fließenden Welt" bekannt. Am berühmtesten ist aber sein Roman "Was vom Tage übrig blieb", der 1990*) auf Deutsch erschien.
Von der Entscheidung überrascht
In Deutschland erscheinen die Werke Ishiguros beim Blessing Verlag. Dessen Programmleiter Holger Kuntze sagt im Deutschlandfunk Kultur, er sei von der Entscheidung sehr überrascht worden. In den vergangenen Jahren sei Ishiguro immer wieder bei den Buchmachern als Preisträger gehandelt worden, dieses Mal aber nicht.
"Das ganze Haus ist in heller Aufregung", berichtet Kuntze. Ein toller Autor habe einen tollen Preis gewonnen. Kuntze lobt den Schriftsteller als jemanden, der immer zentrale gesellschaftliche Themen behandelt und es schafft, diese jedes Mal in einem völlig neuen Setting darzubieten.
Ishiguro braucht Jahre für einen neuen Roman
Nur etwas schneller könnte Ishiguro arbeiten, würde es nach dem Programmleiter gehen: "Er braucht leider immer fünf bis sieben Jahre, oder auch mal zehn Jahre, um einen neuen Roman zu schreiben. Aber er ist ja auch noch jung und insofern freuen wir uns jetzt schon auf das, was da kommen mag."
Auch unser Literaturkritiker Joachim Scholl hat die Entscheidung für Ishiguro mit ungetrübter Freude aufgenommen. "Ich kann nur 'Jippie, Jippie, Jippie!' sagen" - so Scholl in einer ersten Reaktion auf Deutschlandfunk Kultur. Ishiguro sei einer der besten zeitgenössischen Autoren überhaupt.
Geschichten über Schicksale und Irrwege
Scholl schwärmt von der Originalität und der "wunderbaren Erzählweise" des Schriftstellers. Kazuo Ishiguro schreibe Geschichten über Schicksale von Menschen und über die falschen Entscheidungen, die man im Leben treffe, auf zarte und zurückhaltende Weise.
Weltberühmt wurde Ishiguro mit dem Roman "Was vom Tage übrig blieb", wo er einen britischen Butler porträtiert, der in seine Kollegin verliebt ist, es aber nicht schafft, aus seinen Konventionen auszubrechen. Für den Roman erhielt er 1989 den Booker Prize. Er wurde 1993 mit den Schauspielern Anthony Hopkins und Emma Thomson verfilmt.
Sein Roman "Alles, was wir geben mussten" wurde 2010 von dem US-amerikanischen Regisseur Mark Romanek verfilmt. In dem auf dem Buch basierenden Science-Fiction-Film geht es um Schüler, die als Organspender für erkrankte Menschen herhalten müssen.
Menschenfresser und Kobolde
In seinem letzten Roman "Der begrabene Riese" von 2015 erzählt Ishiguro von einem Britannien nach Ende der römischen Besatzung. Was sich anfangs wie ein von Menschenfressern und Kobolden bevölkerter Mythos ausnimmt, erweist sich bei genauerer Lektüre als ein großer zeitgenössischer Roman über eine von erbitterten Kriegen entzweite Welt, die sich ihrer schmerzvollen Vergangenheit stellen muss.
"Ishiguro trifft ins Herz der Zeit", sagt der FAZ-Kritiker Andreas Platthaus. Bei seinen Kollegen im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sei die Entscheidung des Nobelpreis-Kommitees ebenfalls uneingeschränkt positiv aufgenommen worden, berichtet er im Deutschlandfunk Kultur: "Alle in der Redaktion halten das für gerechtfertigt."
"Unglaubliche Präzision des Schreibens"
Platthaus lobt Ishiguro für dessen "unglaubliche Präzision des Schreibens", sein "fantastisches Formbewusstsein" und für die "Schärfe der Beobachtung". Der Preis sei in diesem Jahr nicht aus einer politischen, sondern einer literarischen Motivation heraus vergeben worden, betont Platthaus. Und dass alle über den Preisträger überrascht gewesen seien, zeige nur, "dass es überfällig war, das man auch einmal so entscheidet".
Das Gespräch mit Andreas Platthaus:
Überraschung beim Blessing Verlag
Lektorin Katrin Sorko vom Blessing Verlag ist die deutsche Lektorin des mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Schriftstellers Kazuo Ishiguro. Von der Ehrung sei sie vollkommen überrascht worden: "Dass das so schnell geschieht, zumal er ja noch recht jung ist für einen Literaturnobelpreisträger: Damit haben wir nicht gerechnet, dass das jetzt schon passiert."
Das Gespräch mit Katrin Sorko:
Ishiguro wurde 1954 im japanischen Nagasaki geboren. Er kam bereits mit sechs Jahren nach England. In seinen insgesamt sieben Romanen demaskiere er oft japanische Verhaltensweisen und Stereotype, sagt Scholl, der dem Autor auch schon persönlich begegnet ist - und ihn als "feinen, stillen, zurückhaltenden, höflichen Menschen" charakterisiert.
Überraschende Auszeichnung für Bob Dylan 2016
Im vergangenen Jahr war der US-amerikanische Sänger und Songwriter Bob Dylan überraschend ausgezeichnet worden. Es gab Lob und Lästereien für die Entscheidung. Dylan kam nicht selbst zur Preisverleihung, sondern ließ Patti Smith in Stockholm ein Lied von sich singen.
Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg, bezeichnet den Literaturnobelpreis als große Wundertüte:
(ahe/cosa)
*) In der vorigen Version hatten wir ein falsches Erscheinungsjahr gesetzt. Wir haben das korrigiert.
Die letzten zehn Preisträger:
2017: Kazuo Ishiguro (Großbritannien)
2016: Bob Dylan (USA)
2015: Swetlana Alexijewitsch (Weißrussland)
2014: Patrick Modiano (Frankreich)
2013: Alice Munro (Kanada)
2012: Mo Yan (China)
2011: Tomas Tranströmer (Schweden)
2010: Mario Vargas Llosa (Peru)
2009: Herta Müller (Deutschland)
2008: Jean-Marie Gustave Le Clézio (Frankreich)