Nobelpreis an Olga Tokarczuk

Wahlkampfhilfe für die polnische Opposition

04:00 Minuten
Die polnische Autorin Olga Tokarczuk geht im Vorfeld einer Lesung in Bielefeld durch die Stadtbibliothek vorbei an Bücherregalen.
Die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk gehört zu den Kritikern der rechtskonservativen PiS-Regierung. © picture alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Florian Kellermann  · 11.10.2019
Audio herunterladen
Für die PiS-Regierung ist der Literaturnobelpreis für die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk eher ein Ärgernis. Die Autorin steht der Opposition nahe und bat ihre Landsleute darum, bei der Parlamentswahl für die Demokratie zu stimmen.
Am Sonntag wählt Polen ein neues Parlament. Die Umfragen der vergangene Woche zeigen, dass die rechtskonservative PiS wieder stärkste Kraft werden dürfte. Wahrscheinlich landet sie sogar über 40 Prozent. Damit würde sie noch besser abschneiden als vor vier Jahren. Ob sie allerdings noch einmal die absolute Mehrheit der Sitze im Sejm erhält, hängt auch von weiteren Faktoren ab. Vor allem davon, wie viele der insgesamt fünf Wahlblöcke die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Als sicher gilt im Moment nur, dass neben der PiS die rechtsliberale "Bürgerplattform" wieder ins Parlament einzieht - und dass es dort wieder eine linke Fraktion geben wird.

Kritik an der PiS-Regierung

Nicht eingerechnet in die Umfragen ist allerdings die Wahlkampfhilfe für die Opposition, die gestern überraschend aus Stockholm kam: Der Literaturnobelpreis für die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk, nachträglich für das Jahr 2018. Für die PiS ist das unangenehm, denn Tokarczuk ist eine ausgewiesene Kritikerin der Rechtskonservativen und hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Die Regierung der rechtskonservativen PiS war kaum ein Jahr alt, da sagte Tokarczuk im Deutschlandfunk Kultur:
"Heute ist es die neue Ideologie in Polen, die wieder Geschichtsfälschung betreibt. Sie propagiert ein Polen, das sich angeblich von seinen Knien erhebt. Dieser Trend ist in vollem Gange und überrollt uns gerade wie eine Lawine. Wir müssen etwas tun, darüber reden, um diese Krankheit zu überwinden, unsere Vielfalt ist mir sehr wichtig."

Ein anderes Geschichtsbild

So wandte sich Tokarczuk schon vor drei Jahren gegen die Kultur- und Geschichtspolitik der PiS. Diese zielt nämlich darauf ab, nur die positiven Seiten der polnischen Geschichte herauszustellen. Über Polen, die sich am Holocaust beteiligt haben, soll lieber geschwiegen werden.
Das letzte Werk "Die Jakobsbücher" der polnischen Autorin Olga Tokarczuk in mehreren Ausgaben auf einem Stapel. 
Das letzte Buch der Literaturnobelpreisträgerin 2018, Olga Tokarczuk, trug maßgeblich zu ihrer Ehrung bei. © Friso Gentsch/dpa/picture alliance
Dass die Autorin ein anderes Geschichtsbild hat, zeigt sich auch in ihrer Literatur. Das Werk "Die Jakobsbücher", das gerade auf Deutsch erschienen ist, thematisiert auch die Verfolgung der Minderheiten in der polnischen Geschichte, insbesondere der Juden.
Dass Tokarczuk nun den Literaturnobelpreis bekommen hat, ist deshalb eine kalte Dusche für die Regierungspartei PiS auf den letzten Metern des Wahlkampfes. Die Spitzenpolitiker der Partei versuchten, so zu tun, als handele es sich bei der 57-Jährigen um eine unpolitische Autorin. Kulturminister Piotr Glinski sagte den polnischen Medien:
"Wir gratulieren Olga Tokarczuk. Das ist ein Erfolg nicht nur für sie, sondern auch für die polnische Kultur insgesamt. Es ist gut, wenn eine polnische Autorin auf der Welt anerkannt wird. Ich kann nur sagen, dass ich die Lektüre ihrer Bücher wieder aufnehmen werde. Diesmal hoffentlich mit mehr Erfolg."
Noch vor wenigen Tagen hatte Kulturminister Glinski öffentlich erklärt, er habe noch kein Buch der Schriftstellerin zu Ende gelesen. 2016 hatte das Kulturministerium unter Glinski damit aufgehört, Übersetzungen von Tokarczuk in andere Sprachen finanziell zu unterstützen.

Reaktionen auf die Auszeichnung

Mit der PiS verbundene Medien kritisierten die Autorin auch nach Bekanntgabe ihres Erfolgs. Talent habe sie vielleicht, aber ihre linksgerichtete Weltanschauung öffne ihr eben auch viele Türen, schrieb das Internetportal wpolityce.pl. Außerdem sei es weiterhin skandalös, dass sie Polen einmal als "Judenmörder" bezeichnet hatte.
Auch auf lokaler Ebene hatten PiS-Politiker immer wieder ihre Abneigung gegen Tokarczuk gezeigt. Als sie der Stadtrat von Waldenburg in Niederschlesien ehrte, verließen die PiS-Abgeordneten demonstrativ den Saal.
Vor allem die Kritiker der PiS verbanden die Entscheidung aus Stockholm mit den Wahlen am Sonntag. Die Regisseurin Agnieszka Holland sagte im Radiosender TOK FM: "Ich bin überglücklich. Die Nachricht hat mich einem Filmfestival in Südkorea erreicht. Ich hätte hier fast geweint vor Glück. Plötzlich fühle ich wieder, dass Polen zur Weltgemeinschaft gehört. Das zeugt auch davon, dass man gewinnen kann, dass sich die Wirklichkeit wieder zum Besseren wenden kann."
Tokarczuk selbst war bei einem Autorenabend in Bielefeld und sprach die bevorstehende Parlamentswahl an. Wenn sie den Preis jemandem widmen solle, sagte sie, dann sei es die polnische Nation vor dieser so wichtigen Wahl. Sie bitte die Polen darum, richtig zu wählen, für die Demokratie. In Polen dürfte jeder verstanden haben, dass sie damit zur Stimmabgabe gegen die Regierungspartei PiS aufforderte.
Mehr zum Thema