Nils Wülker: "Decade"

Ein Live-Album als neue Herausforderung

Jazztrompeter Nils Wülker
Die Magie des Live-Moments einfangen – darum ging es Nils Wülker bei seinem neuen Album. © Imago / Christoph Worsch
Von Sara Walther · 27.09.2018
Nach Experimenten im Hip-Hop, Funk und Pop bringt der deutsche Jazztrompeter Nils Wülker mit "Decade" sein zehntes, aber erstes Live-Album heraus. Darauf zu hören: das Beste aus vier Studioalben an drei Konzertabenden in zwei Jahren.
"Das hört man natürlich immer wieder: 'Ja, Live-Alben verkaufen sich nicht'. Um ehrlich zu sein, ich hab da jetzt noch gar nicht so drüber nachgedacht, was das jetzt kommerziell macht. Für mich war das jetzt irgendwie ein künstlerisch wichtiger Schritt, das Album zu machen", sagt Nils Wülker.

Gut eingespielte Musiker

Es ist sein zehntes Album und gleichzeitig das erste, das vollständig aus Live-Aufnahmen besteht: "Decade" von Nils Wülker. Begleitet wird der Jazz-Trompeter von teils langjährigen Weggefährten: dem Gitarristen Arne Jensen, dem Keyboarder Jan Miserre oder dem Sänger Rob Summerland.
Songs aus vier Studioalben befinden sich auf "Decade", die besten Aufnahmen aus drei Konzertabenden der vergangenen zwei Jahre. Aber dass es sich um einen Zusammenschnitt handelt, fällt nicht auf. So gut sind die Musiker aufeinander eingespielt. Es könnten Studioaufnahmen sein. Leider.
Wülker hält natürlich dagegen: "Also die Stücke sind natürlich in Studioversion vorher irgendwie schon erschienen, aber es ist einfach ‘ne andere Energie, die Stücke haben oft auch eine ganz andere Dramaturgie, sie haben andere Bögen. Ein Stück ist halt ein bisschen wie eine Geschichte und die wird jetzt ein bisschen anders inszeniert. Insofern dokumentiert es halt vor allem einfach ‘ne Art der Kommunikation der Band und wie wir spielen, die es halt vorher so in den Stücken nicht gab."

Studioähnliche Perfektion und die Magie des Live-Moments

Es stimmt ja: Auf dem Live-Album gibt es mehr Platz für Jams und ausgedehnte Soli. Die elektronischen Sounds und Samples der Studioproduktionen dagegen treten in den Hintergrund. Gereift klingen viele der Songs im direkten Vergleich, aber ohne die Soundtüfteleien auch nackt. "You cannot imagine" beispielsweise wird in der Studioversion von satten Beats dominiert, die das eigentliche Soloinstrument, die Trompete, fast überdecken:
Ganz anders ist dagegen die Live-Version von "You cannot imagine": Akustisches Schlagzeug statt Drum Machine, weniger Elektronik, dafür mehr Dynamik.
Für Wülker besteht genau darin die besondere Herausforderung eines Live-Albums. Zum einen will er studioähnliche Perfektion abliefern und sich zum anderen ganz auf die Magie des Live-Moments einlassen: "Das Paradoxe an einem Live-Album ist ja eigentlich das: Ich geh auf die Bühne mit einem Gefühl von ‚Das, was wir da machen, ist nur für den Moment‘. Das heißt, das ist eigentlich ein schöner flüchtiger Moment, den man dann aber doch irgendwie für die Ewigkeit festhalten muss."
Doch es ist nicht nur die Band, die bei einem Auftritt für die richtige Atmosphäre sorgt, meint Wülker: "Mein Publikum nehme ich eigentlich immer sehr wahr, die sind sehr gute Zuhörer. Also die Leute lassen sich sehr auf die Musik ein. Und wir als Band – das ist einfach hohes Maß an Spielfreude und auch sich eben einlassen auf Atmosphäre."

Ein Hasten von Titel zu Titel

Atmosphäre kann man den einzelnen Titeln zwar nicht absprechen, echte Live-Magie kommt trotzdem nicht auf. Aber wie auch – dem Album wurden immerhin jegliche Live-Elemente im Nachhinein genommen. Zu kurz sind zum Beispiel die Applauspausen. Das Album hastet von Titel zu Titel, was etwas lieblos wirkt. Das macht man im Konzert doch auch nicht, oder?
"Für mich war es gar nicht so wichtig zu sagen, ‚Ich möchte jetzt möglichst viel Live-Atmosphäre, also möglichst viel Publikumsatmosphäre einfangen‘, sondern für mich war das Wichtigste, einzufangen, was da musikalisch passiert."
Und damit ist "Decade" von Nils Wülker mehr eine Dokumentation vergangener Auftritte als ein tatsächliches Live-Erlebnis. Die Magie der Konzerte nachzuspüren, fällt jedenfalls schwer, sofern man nur das Album zur Hand hat. Einen Vorteil hat die pragmatische Aneinanderreihung der Titel aber doch: Die Songs lassen sich sehr gut in Playlisten integrieren, ohne dass das Geklatsche zu sehr nervt.

"Decade" erscheint am 28.09.2018.

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