Nick Bostrom: „Die verwundbare Welt. Eine Hypothese“

Risikofaktor Mensch

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Cover von Nick Bostrom "Die verwundbare Welt" vor Aquarell-Hintergrund
In "Die verwundbare Welt" bedenkt Nick Bostrom die Gefahr, dass die Menschheit sich selbst ein Ende bereitet. © Cover: Surhkamp / Collage: Deutschlandradio
Von Arno Orzessek  · 24.08.2020
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In seinem neuen Buch denkt der Philosoph Nick Bostrom darüber nach, wie sich die Menschheit auslöschen könnte. Seine Ansätze, wie sich die Apokalypse verhindern lassen könnte, stimmen nicht gerade hoffnungsvoll.
Spätestens seit der Offenbarung des Johannes befasst sich die abendländische Kultur mit dem Ende der Welt, wie wir sie kennen. Gegenwärtig gehört Nick Bostrom zu den prominentesten Denkern der Apokalypse. In "Superintelligenz" (2014) entwarf der Philosoph ein Szenario, in dem künstliche Intelligenz, die sich in puncto Leistung zum Menschen verhält, wie der Mensch zur Maus, plötzlich die Macht ergreift und uns nolens volens auslöscht.
In "Die verwundbare Welt" bedenkt Bostrom nun die Gefahr, dass die Menschheit sich selbst ein Ende bereitet. Im Zentrum steht die "Verwundbare Welt-Hypothese" (VWH), die besagt: Schreitet die technologische Entwicklung ungehemmt fort, erlangt die Menschheit Fähigkeiten, aufgrund derer die Verwüstung der Zivilisation "äußerst wahrscheinlich" wird. Einziger Ausweg: Die Menschen überwinden den herrschenden "semi-anarchischen Ausgangszustand".
Soll heißen: Sie werden fähig zur kollektiven Kooperation, um potentiell verheerende Technologien zu verhindern oder zu kontrollieren.

Eine Typologie der Schwachstellen

Bostrom will nicht beweisen, dass die VWH unbestreitbar richtig ist, sondern zur Reflexion über die grundsätzliche ("makrostrategische") Situation der Menschheit anstiften. Zur Verdeutlichung dient ihm ein kontrafaktisches Gedankenexperiment: Was wäre, wenn "jeder Trottel im Lauf eines Nachmittags einen tragbaren thermonuklearen Sprengkopf am Küchentisch zusammenbauen" könnte? Laut Bostrom fänden sich genügend Leute, die solche Sprengköpfe zünden würden. Er nennt sie den "apokalyptischen Rest" und zählt etwa islamistische Terroristen dazu.
Innerhalb von Bostroms planetarischer "Schwachstellen-Typologie" ist die Küchentisch-Atombombe eine "Typ-1-Schwachstelle." Außerdem fixiert er den Typ 2a: Technologie, die einen aussichtsreichen atomaren Erstschlag vor allem auf staatlicher Ebene ermöglicht; den Typ 2b: falls sich Klimawandel-Folgen aufgrund des ansteigenden Technologie-Niveaus zu vernichtender Potenz verdichten; und zuletzt die Schwachstelle vom "Typ 0", quasi die Wundertüte: eine Technologie, in der sich ein ungeahntes Risiko versteckt, das uns auslöscht.

Die Selbstvernichtung verhindern

Finden Sie das alles kalt, abstrakt oder gar wirr? Tja, Bostrom orientiert sich auf nicht immer überzeugende Weise an den Methoden formaler Erkenntnistheorie. Real-Geschichte und konkreter Gegenwartsbezug spielen da eine geringe Rolle. Entsprechend unerbittlich trägt er auch seine Folgerung vor: Nur durch weltweite "effektive präventive Polizeiarbeit" (inklusive präziser Überwachung jedes Einzelnen) und "starke Global Governance" lasse sich das Vernichtungspotential zukünftiger Technologien womöglich beherrschen.
Es entsteht der Eindruck, Bostrom plädiere für die Errichtung einer mehr oder weniger totalitären Weltregierung mit krassen Durchgriffsrechten. Dass er in diesem heiklen Punkt auch Bedenken hat, erschließt sich vor allem aus den Fußnoten.
Anschlussfähig dürfte dagegen Bostroms (wenig originelle) Einsicht sein, dass nicht jeder Fortschritt vorteilhaft und "völlige wissenschaftliche Offenheit" nicht immer das Beste für die Menschheit ist. Es geht natürlich um die produktive Balance. Bekommt der Homo sapiens das nicht geregelt, wird Bostrom zufolge seine letzte Erkenntnis eines Tages lauten: Apocalypse now!

Nick Bostrom: Die verwundbare Welt. Eine Hypothese
Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
112 Seiten, 12 Euro

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