Nicht für jeden etwas: Low-Carb-Diät

Welcher Stoffwechseltyp sind Sie?

Zum Erntedankfest hat die Gemeinde der katholischen Klosterkirche Pirna in Sachsen den Altarplatz mit Erntedankgaben geschmückt, aufgenommen 2006
Personen mit dem Stoffwechsel von Hirtenvölkern bekommen von Gemüse Kopfweh und Migräne, meint Kolumnist Udo Pollner. © picture alliance / Rainer Oettel/dpa-Zentralbild/ZB
Von Udo Pollmer · 12.05.2017
Wer Brötchen oder Pasta braucht, dem bringt die kohlenhydratarme Low-Carb-Ernährung eher Verdruss. Es gibt aber auch durchaus Personen, die mit der Diät Erfolge erzielen. Unser Kolumnist Udo Pollmer meint: Das liegt am Stoffwechsel - und plädiert für genaueres Hinschauen.
Das Magazin "Stern" hat mutig eine "Diäten-Lüge" entlarvt: es warnt vor "Low-Carb" – also einer Ernährung, die Kohlenhydrate durch Fett und Eiweiß ersetzt. Denn, so das Magazin: Die Idee, abzunehmen "ohne das bohrende Hungergefühl" sei einfach "zu schön, um wahr zu sein". Zu Vollkorn, Rohkost und Joggen gäbe es nun mal keine Alternative. Doch dieser Ratschlag ist, wie viele Abnehmwillige erfahren mussten, meist nicht von Erfolg gekrönt.
Inzwischen haben mehrere Forschergruppen die Effekte von Low-Carb auf das Körpergewicht untersucht. Doch bei der jüngsten Metaanalyse fanden die Statistiker nichts Greifbares. Dabei mangelt es nicht an glaubhaften Berichten, man habe durch mehr Fett und Eiweiß und weniger Brot, Nudeln oder Kartoffeln zehn und mehr Kilo verloren und komme mit dieser Kost gut zurecht. Sind das alles nur Hirngespinste? Wohl kaum, denn wurde diese Ernährung mit reichlich tierischer Kost, insbesondere mit Fetten wie Butter beibehalten, blieb das Gewicht meist unten. Die Erfolgreichen sind in aller Regel gerade keine Kalorienzähler oder Rohkostfreaks.

Low-Carb kann auch dick machen

Ist also Low-Carb das langgesuchte Geheimnis der schlanken Linie? Nein. Denn es gibt auch gegenteilige Resultate – die natürlich seltener preisgegeben werden als die Erfolge. Low-Carb kann von Fall zu Fall auch dick machen. Da Kohlenhydrate die Bildung von Serotonin im Gehirn stimulieren, macht sich ein Verzicht nicht selten mit einer Depression bemerkbar. So wie es Personen gibt, die durch Low-Carb 20 Kilo und mehr abgenommen haben, gibt es Menschen, die dadurch in gleicher Weise dicker wurden. Wer sich nach einer derartigen Erfahrung dazu durchrang, es mal mit dem Gegenteil zu probieren, also mit High-Carb mit reichlich Nudeln und Brötchen statt Wurst und Käse, erlebte so manches Mal eine heftige Gewichtsabnahme.
Jeder Mensch ist anders. Die Menschheit hat vom Polarkreis bis zu den Tropen alle Regionen besiedelt, sie lebt auf Inseln, in Savannen, Wäldern, Wüsten und Gebirgen und ernährte sich von den Produkten, die dort und nur dort gediehen. Viele Generationen lebten als Nomaden, oder als Jäger und Sammler und wieder andere als Ackerbauern. Jede der dieser Ernährungsweisen erfordert spezielle metabolische Anpassungen.
Personen mit dem Stoffwechsel von Hirtenvölkern nehmen mit Low-Carb ab, zumindest wenn sie sich vorher entgegen ihrem Verlangen eher fettarm und kohlenhydratreich ernährt hatten. Von ballaststoffreicher Stärkenahrung werden sie krank. Von Gemüse bekommen sie Kopfweh und Migräne. Bei einer typischen Jäger-und-Sammler-Genetik sind tierische Produkte und Gemüse optimal. Wer bereits an den Ackerbau angepasst ist, kommt dafür mit Stärke gut zurecht. Wer Brot "braucht", der profitiert meist auch davon.

Entgiftungsenzyme spielen Schlüsselrolle

Die Biochemie dieser Stoffwechselunterschiede ist in ihren Grundzügen durchaus bekannt. Eine Schlüsselrolle spielen Entgiftungsenzyme, die sekundäre Pflanzenstoffe unschädlich machen. Fehlen sie, ist tierische Kost vorteilhaft. Für Pasta, Brot oder Kartoffeln braucht es wiederum reichlich stärkeabbauende Enzyme sowie einen präabsorptiven Insulinreflex, der überschießende Blutzuckerspiegel verhindert.
Ohne Differenzierung nach Stoffwechseltypen, die oftmals an den jeweiligen Ernährungsvorlieben erkennbar sind, gehen viele Studien in die Binsen. Daher rührt auch das enttäuschende Ergebnis der eingangs genannten Metaanalyse: Die höchst variablen Effekte einer Kostform heben sich im statistischen Mittel auf. Wer mehrere Kinder hat, kennt dies nur zu gut: Das eine futtert sich durch eine Schlachtschüssel, das nächste isst vor allem Obst und Milchprodukte und das Dritte will Brot, Kartoffeln und Butter. Sonst gibt’s Tränen.
Wer Brötchen oder Pasta braucht, dem bringt Low-Carb eher Verdruss. Aber wem die Wurst auch ohne Brot schmeckt, fährt mit Käsefondue, Rührei mit Speck und Sahneheringen gewöhnlich besser. Doch viele Menschen sind weder mit Low-Carb noch mit High-Carb gut bedient, sondern mit einer Kost, die für sie – und nur für sie – bekömmlich ist. Mahlzeit!
Literatur:
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