Nicht-christlicher Religionsunterricht

Vielfalt oder Verwirrung?

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Drei Personen halten eine Bibel, einen Koran und ein Buch mit jüdischen Schriften.
Christlich, islamisch oder jüdisch: Religionsunterricht gibt es an deutschen Schulen inzwischen auch für weitere Glaubensrichtungen. Aber wie bekenntnisorientiert soll die Vermittlung sein? © picture-alliance / Godong / P Deliss
Von Christian Röther · 10.10.2021
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Religionsunterricht wird in Deutschland von religiösen Menschen erteilt, so will es das Grundgesetz. Ist das noch zeitgemäß? Während die Fachwelt darüber uneins ist, melden immer mehr Religionsgemeinschaften an den Schulen ihre Ansprüche an.
Es ist noch gar nicht so lange her, da teilten sich deutsche Schulklassen zum Religionsunterricht in evangelisch und katholisch. Dann wurden nach und nach auch Alternativfächer entwickelt für alle, die nicht am christlichen Unterricht teilnehmen wollten oder mussten: Fächer wie "Werte und Normen", "Ethik" oder "Lebenskunde". Inzwischen gibt es aber auch einige religiöse Alternativen: jüdischen Religionsunterricht, alevitischen und buddhistischen – und vor allem islamischen.

Weltanschaulich neutral oder bekenntnisorientiert?

"Neun Bundesländer bieten eine Form von islamischem Religionsunterricht an", sagt Fahimah Ulfat, Professorin an der Universität Tübingen und Leiterin des Instituts für islamisch-religionspädagogische Forschung. Die zwei Formen beim Islamunterricht in Deutschland sind: Islamkunde in staatlicher Verantwortung ohne Beteiligung von Religionsgemeinschaften – und bekenntnisorientierter Islamunterricht analog zum christlichen Unterricht. Bei der letzteren Variante haben Religionsgemeinschaften ein Mitspracherecht, erläutert Ulfat:
"Die Lehrpläne werden von den Religionsgemeinschaften und staatlichen Stellen gemeinsam entwickelt, und die religiösen Grundsätze des Unterrichts werden durch die Religionsgemeinschaften festgelegt."
Obwohl Modellversuche zum Islamunterricht schon vor über 20 Jahren begonnen wurden, gibt es noch immer eine Menge Probleme. Eine wesentliche Hürde: Der Staat sucht für den Religionsunterricht Kooperationspartner, die mit den christlichen Kirchen vergleichbar sind. Die gibt es im deutschen Islam aber nicht. Bis heute sind nur wenige islamische Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt.

Keine Abbildung des ganzen Spektrums

Also wurden vielerorts Behelfskonstrukte entwickelt: Beiräte aus islamischen Organisationen, die mit dem Staat zusammenarbeiten – und die in jedem Bundesland anders aussehen. Allerdings sind die Länder skeptisch gegenüber manchen Islamverbänden – allen voran der türkisch geprägten Ditib – und wollen mit ihnen nicht kooperieren. Für Ulfat ist das alles keine optimale Lösung:
"Diese Verbände repräsentieren ja auch nicht das gesamte Spektrum der muslimischen Positionen. Und von daher finde ich das halt schwierig, dass hier bestimmte Formen der religiösen Orientierung oder des religiösen Verständnisses repräsentiert werden, andere eben aber ausgeschlossen werden."
Fahimah Ulfat ist wichtig, dass an deutschen Schulen ausgewogene Islamverständnisse vermittelt werden. Wäre das in einer bekenntnisneutralen Islamkunde nicht besser möglich? Nein, meint Ulfat.

Angebote nur für jedes zehnte muslimische Kind

"Die Schülerinnen und Schüler sollen dabei begleitet werden, dass sie eigene Positionen entwickeln in Bezug auf die eigene religiöse Tradition, auf das eigene Gottesverständnis", erläutert Ulfat, "sie sollen verstehen, was Religion eigentlich auch für eine Bedeutung hat für die Gesellschaft, aber auch für das Individuum selbst. Und das ist eben möglich in einem bekenntnisgebundenen Religionsunterricht."
Wie ihn auch das Grundgesetz für staatliche Schulen vorsieht: Eltern haben ein Recht auf die religiöse Schulbildung ihrer Kinder. Die Bilanz beim Islamunterricht ist bislang allerdings ernüchternd: Laut aktuellen Studien besucht nur etwa jedes zehnte muslimische Kind den islamischen Religionsunterricht, weil das Angebot noch so gering ist.
Siri (v.l.), Mischa und Lena sitzen am 16.11.2015 vor kleinen Buddha-Statuen in der Schinkel-Grundschule in Berlin-Charlottenburg.
Buddhistische Religionsklasse an einer Berliner Grundschule: Ob Religion im Unterricht praktiziert werden sollte, darüber gehen die Ansichten von Expertinnen und Experten auseinander.© picture alliance / dpa / Vivian Chang
Dennoch sind das Zahlen, von denen andere Religionsgemeinschaften nur träumen können. Für Hindus oder Bahai oder Sikhs gibt es gar keinen staatlichen Religionsunterricht, und für Buddhistinnen und Buddhisten nur in Berlin. Das reicht nicht, meint Carola Roloff, ständige Gastprofessorin für Buddhismus an der Akademie der Weltreligionen in Hamburg: "Die Situation des Buddhismus an Schulen ist deutschlandweit leider nicht sehr zufriedenstellend."

Religiöse Minderheiten nicht exponieren

Roloff will mehr Buddhismus im Unterricht, spricht sich allerdings dagegen aus, die oft multireligiöse Schülerschaft für das Fach Religion aufzuteilen, wie es nach wie vor vielerorts gemacht wird. Religiöse Minderheiten würden damit exponiert, so Roloff:
"Gerade diese Stigmatisierung, von der wir ja eigentlich weg wollen, die wird eigentlich dadurch noch verstärkt, wenn man eben betont, man muss jetzt so einen konfessionell kooperativen Religionsunterricht machen, wo dann eben noch klar voneinander zu unterscheiden ist, wer welcher Religion angehört."
Besser findet Carola Roloff daher ein Modell wie in Hamburg: ein Religionsunterricht für alle. Da bleibt die Klasse im Fach Religion zusammen und wird abwechselnd von Lehrerinnen und Lehrern aus unterschiedlichen Religionen unterrichtet. Der Haken: Buddhistinnen und Buddhisten dürfen bisher nicht unterrichten beim "Religionsunterricht für alle". Carola Roloff schätzt den deshalb so ein: "Der ist eben für alle, aber nicht von allen."

Argumente für säkulare Religionskunde

Denn nur die Religionsgemeinschaften, denen zuvor Staatsverträge gewährt wurden, dürfen Lehrpersonal schicken. Carola Roloff meint, dieses Konzept stoße in einer multireligiösen Gesellschaft an seine Grenzen – zumal es in Hamburg mehr als hundert Religionsgemeinschaften gebe. Statt mit allen Einzelverträge zu schließen, spricht sich die Buddhismus-Professorin für eine gemeinsame staatliche Ausbildung aus: "Eine gemeinsame Religionslehrerinnen- und -lehrer-Ausbildung, die auch das Säkulare mit einbezieht – so dass dann auch Philosophie dazugehört –, das würde ich für wirklich sinnvoll halten."
Worin die Lehrkräfte ausgebildet werden und was dann in der Schule gelehrt wird, an der Entscheidung darüber sollten möglichst viele Religionsgemeinschaften beteiligt werden, fordert Roloff. Ein ähnliches Modell befürwortet auch die Religionswissenschaftlerin Wanda Alberts – allerdings ohne Einbeziehung von Religionsgemeinschaften. Die Professorin an der Universität Hannover plädiert für eine säkulares Fach Religionskunde:
"Ich denke in der Tat, dass der Gegenstand Religion zu wichtig ist, als dass er aus diesem säkularen Wissenskanon ausgeklammert werden sollte. Wenn es einen Raum gäbe, wo man wirklich gemeinsam aus säkularer Perspektive Wissen über Religion vermittelt bekommt und auch den Unterschied erkennt, was ist eigentlich religiöses Wissen über Religion und was ist religionswissenschaftliches oder eben auch religionskundliches Wissen, dann wäre das meiner Ansicht nach ein sehr sehr wichtiger Beitrag zu dem, was man als Schülerin oder Schüler in einer modernen Demokratie lernen sollte."

Grundgesetzänderung nicht in Sicht

Eine solche Religionskunde könnte wohl auch organisatorische Probleme lösen: Denn man bräuchte dann nicht immer neue Staatsverträge oder Beiräte oder andere Konstrukte, um der religiös pluralen Gesellschaft gerecht zu werden. Allerdings bräuchte es dafür politischen Willen und wohl auch eine Grundgesetzänderung, und beides ist nicht in Sicht, beobachtet auch Wanda Alberts:
"Wir bleiben weiterhin in diesem Paradigma oder in dieser Idee, dass man über Religion eigentlich nur aus religiöser Perspektive sprechen kann."
Doch zumindest hat sich diese religiöse Perspektive in den vergangenen Jahren erweitert. Nicht mehr nur die Kirchen schicken ihre Leute in die Schulen, sondern inzwischen auch muslimische, jüdische, alevitische und buddhistische Religionsgemeinschaften. Für manche ein Fortschritt – für andere eine Entwicklung in die falsche Richtung.
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