Experimenteller Post-Punksound
06:35 Minuten
Dry Cleaning - der Bandname passt, denn der Sound des britischen Post-Punk-Quartetts klingt heiß und trocken. Die Songtexte und der Sprechgesang der Sängerin Florence Shaw wiederum erinnern an eine assoziative, surreale Erzählung.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Zugabteil - Ihnen Gegenüber eine Person, die unablässig auf Sie einredet. Ihre Gedanken schweifen von den Geschichten der Person raus zu der vorbeiziehenden Landschaft. Bald verdichten sich diese Eindrücke zu einer assoziativen, surrealen Erzählung über den Menschen und seine Entfremdung. So in etwa funktionieren die Songs von Dry Cleaning.
Das auffälligste Merkmal der Post-Punk-Band: Sängerin Florence Shaw singt nur selten, meistens spricht sie zu uns.
"Ich habe vor der Bandgründung nichts Vergleichbares gemacht. Ich habe weder Gedichte geschrieben noch Songs gesungen. Ich komme eigentlich von der bildenden Kunst. Als wir die erste Band-Probe hatten, habe ich das Mikrofon eingeschalten und wir hatten sofort unseren Stil", erzählt Shaw.
"Wenn ich mir das jetzt so anhöre, dann denke ich an Musik, die ich als Teenager gehört habe: Den Sprechgesang von Anne Clark etwa oder die Pet Shop Boys, aber ich habe mir nie vorgenommen, auch so zu performen."
Es begann in einer Karaoke-Bar
Die Bandgründung fand 2017 in einer Karaoke-Bar in South London statt. Bassist Lewis Maynard, Drummer Nick Buxton, Gitarrist Tom Dowse und Sängerin Florence Shaw kannten sich von diversen Musik- und Kunstprojekten.
Mit der Szene rund um den Windmill Club, der Bands wie Black Midi, Goat Girl oder Shame hervorgebracht hatte, haben Dry Cleaning nichts zu tun. Mit dem experimentellen Post-Punk-Sound, der diese Bands charakterisiert, schon.
"South London ist der einzige Stadtteil Londons, der noch halbwegs erschwinglich ist. Deshalb ist es ein Magnet für junge Kreative aus dem gesamten UK und so entsteht eine Szene", sagt Florence Shaw.
"Der Post-Punksound der Stunde ist viel rauer als beim letzten Revival vor gut 15 Jahren. Die Zeiten sind härter und das zeigt sich in der Musik", sagt Tom Dowse, der Gitarrist der Band. "Bands wie Franz Ferdinand und Bloc Party klangen wesentlich poppiger. Zwar gab es auch in den Nullerjahren Probleme, im Vergleich zur Gegenwart waren die Zustände jedoch paradiesisch. Der aktuelle Sound ist aggressiver, kantiger, auch nachdenklicher."
"Vielleicht steckt keine Bedeutung hinter den Texten"
Nach zwei von der Kritik gelobten EPs haben Dry Cleaning im ersten Lockdown ihr Debütalbum "New Long Leg" aufgenommen. In den Texten konstruiert Florence Shaw unzusammenhängende Gedankenketten aus Sätzen, Phrasen und einzelnen Wörtern. Im Song "Unsmart Lady" monologisiert Florence Shaw etwa "Don’t Cry. Drive. Good luck band. What have you been doing? Yeah."
Sie sagt darüber: "Ich schreibe sehr impulsiv und ich verwende auch Texte, die ich irgendwo aufgeschnappt habe. Die Themen kreisen um mich als Frau in dieser Welt, um die Beziehungen, die ich eingehe, und um die Art, wie wir unser Leben organisieren und ordnen. So genau weiß ich das aber auch nicht. Der tiefere Sinn wird sich mir wohl erst in einigen Jahren erschließen. Vielleicht steckt aber auch gar keine Bedeutung hinter den Texten."
Wie Deckel auf Topf
Der monotone Vortrag von Florence Shaw ist wie der Deckel auf einem Kochtopf. Darunter brodelt der Sound der Band, die exzessiv aufspielt. Man wartet, bis das Wasser überkocht, doch Dry Cleaning lassen es nie dazu kommen.
So entsteht vom ersten Song an eine fiebrige Spannung, die bis zum Ende des Albums nicht abreißt. "New Long Leg" ist der gelungene Versuch, das Chaos, das uns umgibt, in Musik zu fassen und auszubalancieren. Wenn uns das bloß im echten Leben gelingen würde.