Neues Album von Protomartyr

Soundtrack zur apokalyptischen Krisenstimmung

05:47 Minuten
Die US-Band Protomartyr bei einem Konzert im Jahr 2018: Die Bühne ist in rotes Licht getaucht.
"Post-Punk ist für uns keine Zwangsjacke", sagt Sänger Joe Casey zum neuen Album von Protomartyr. © picture alliance / Photoshot
Von Christine Franz · 16.07.2020
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Auf dem Album "Ultimate Success Today" der US-Band Protomartyr aus Detroit geht es um Krankheiten, globale Ängste, Polizeigewalt und den Kollaps des Kapitalismus, verpackt in düsteren Post-Punk. Entstanden ist es bereits vor einem Jahr.
Fast schon prophetisch klingt das Album, das Protomartyr aus Detroit dieser Tage veröffentlichen: "Das Ende rast auf uns zu wie ein wildes Tier. Eine fremde Krankheit, die an einen Strand gespült wird. Ein Dolchstoß in der Dunkelheit."
Auf "Ultimate Success Today" geht es um Krankheiten, globale Ängste, Polizeigewalt, Riots und Kapitalismuskollaps. Verpackt in düsteren Post-Punk entsteht dabei ein eindrücklicher Soundtrack zur apokalyptischen Krisenstimmung 2020.
Dabei war das natürlich alles andere als geplant, erklärt Sänger und Texter Joe Casey: "Die Vorstellung, in diesen Zeiten ein Album zu veröffentlichen, erscheint mir fast ein bisschen anmaßend." Das verbindende Thema der Platte sei ihm erst so richtig bewusst geworden, als sie fertig war und er ein bisschen Abstand dazu hatte.

Selbsthilfeguru mit fast seherischen Fähigkeiten

Der Titel "Ultimate Success Today" habe für ihn unterschiedliche Bedeutungen: "Wir verklären die Vergangenheit, weil es längst kein Zurück mehr gibt. Die Zukunft macht uns Angst, weil sie vielleicht nicht mehr lebenswert sein wird." Außerdem: Lebe den Moment, denn das sei alles, was uns bleibe. "Okay, ich klinge gerade wie ein Selbsthilfeguru, ich halte jetzt besser meine Klappe."
Ein poetisch-pessimistischer Selbsthilfeguru mit fast seherischen Fähigkeiten. Denn so aktuell und dystopisch das Album auch gerade klingen mag, entstanden ist es schon vor einem Jahr. Im heißen Sommer 2019 in einer umgebauten alten Holzkirche in den dichten Wäldern von Upstate New York. Eine Band-WG auf Zeit, als die Welt noch fast in Ordnung schien.
"Die politische Situation, in der wir gerade stecken, zeichnete sich letztes Jahr schon ab." Die Dinge seien seitdem nur noch schlimmer geworden, sagt Casey "Das Bild der Krankheit, das immer wieder auf dem Album auftaucht, bezieht sich auf meine eigene Krankheit im letzten Jahr."
Er habe damals das Gefühl gehabt, er sei der einzige in meinem Umfeld, dem es schlecht geht. Jetzt sei die ganze Welt krank. "Als wir die Platte letzten Sommer in Upstate New York aufgenommen haben, in dieser schönen Natur, ging es mir die ganze Zeit so schlecht, dass ich nicht mal vor die Tür gehen konnte, um in der Sonne zu sitzen. Das hier ist wohl das Protomartyr-Sommer-Album, wenn man so will."

Erstmals mit Jazz-Musikern gearbeitet

Mehr wollte er über seine Krankheit nicht verraten. Aber dennoch scheint es ein Album zu sein, das offenbar unter Schmerzen entstanden ist. "Ultimate Success Today" ist kein einfaches Album. Aber wenn man sich darauf einlässt ein tiefes, in dem man sich verlieren kann. In dem man mit jedem Reinstürzen Neues entdeckt.
Zum Beispiel Instrumente aus dem Jazz, die sich ganz vorsichtig unter die typischen Gitarrenwände mischen, die Protomartyr seit zehn Jahren auf allen Alben aufbauen. Erstmals haben sie zum Beispiel mit Jazz-Musikern wie den beiden Saxofonisten Jemeel Moondoc und Izaak Mills gearbeitet.
"Früher wollten wir immer diesen Gitarrenwand-Effekt erzeugen und haben viel mit Overdubs gearbeitet. Aber unser Gitarrist hat in letzter Zeit viel Jazz gehört und wollte den klassischen Protomartyr-Sound erweitern."
So hätten sie die Gitarren und Synthesizer reduziert und stattdessen Blasinstrumente und Streicher dazugeholt. "Für uns ist Post-Punk als Genre keine starre Zwangsjacke, in der man feststeckt."

Ende eines Kapitels in der Bandgeschichte

Das Album ist aber nicht nur eine behutsame Öffnung des klassischen Protomartyr-Sounds. Für Casey ist es auch so etwas wie das Ende eines Kapitels in der Bandgeschichte. Einer Band, die er vor zehn Jahren mit Mitte 30 und ohne jede Musikerfahrung gegründet hat, um den Tod seines Vaters zu verarbeiten.
"Das Bild meines sterbenden Vaters taucht auf all unseren Alben auf. Das ist quasi seit zehn Jahren meine Obsession. Eine lebenslange Belastung, mit der ich endlich abschließen sollte."
Er wolle sich jetzt neuen Themen widmen. "Die Band könnte sich jederzeit auflösen. Das liegt nun mal in der Natur einer Band." Ihnen sei es darum gegangen, diese fünf Alben als Einheit, als Ganzes zu sehen. "Jetzt ist die Zukunft offen für was Neues."
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