Young Adult & New Adult
Mehr als 25 Millionen mit dem Hashtag BookTok empfohlene Bücher wurden 2024 in Deutschland verkauft - mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr, so der Börsenverein des Deutschen Buchhandels © picture alliance / Jan Woitas
Zwischen Sozialen Medien, Kitsch und Selbstermächtigung

Große Gefühle, viel Romantik, dazu Abenteuer und Sex: So funktionieren Liebesromane. Young und New Adult knüpfen an diese Traditionen an – und machen doch vieles anders. Was genau zeichnet das Genre aus und warum ist es so erfolgreich?
"Die Jugend prägt die Frankfurter Buchmesse 2024", titelte die Frankfurter Rundschau im vergangenen Jahr. Der Hype um die Young- und New-Adult-Romane hält seitdem an, Verlage haben eigene Sparten für die oftmals eher einfach gestrickten Liebesromane gegründet. Der wirtschaftliche Erfolg macht Young und New Adult für die Buchbranche so interessant. Dazu kommt, dass plötzlich eine Klientel das Lesen entdeckt hat, die zuvor nicht regelmäßig Bücher gekauft hat – und die in Zukunft vielleicht auch in andere Literatursparten überwechselt.
Liebe, Sehnsucht & Sex: Bausteine eines Genres
Eine junge Frau trifft einen jungen Mann, und der ist selbstverständlich gut aussehend und muskulös, oft vermögend. Sie gewinnt ihn für sich: Das ist das Grundschema eines Young Adult- oder New-Adult-Romans. Die Liebesgeschichte kann sich dabei in einem wahlweise mysteriösen oder idyllischen Setting abspielen, Elemente anderer Genres wie beispielsweise Fantasy werden oft hineingemischt.
Unabhängig vom Schauplatz geht es jedoch vor allem um Liebe, um das Erwachsenwerden junger Frauen - und um explizit dargestellten Sex: Unterhaltungsliteratur, die die Sehnsüchte der jungen Leserinnen erfüllt. Young Adult hält dabei Angebote für die unter 18-Jährigen bereit, während sich New Adult eher an die über 18-jährigen richtet – wegen expliziter Sexdarstellungen.
Die neuen Facetten des Liebesromans
Es ist eine neue Form von Liebesroman, denn Young und New Adult fügen dem Genre weitere Facetten hinzu. So geht es in den Romanen oft um seelische Gesundheit, Depressionen oder Angststörungen. Damit kann das Genre jungen, weiblichen Erwachsenen vermitteln, dass sie nicht allein mit ihren psychologischen oder emotionalen Problemen sind.
Auch die Auseinandersetzung mit der Rolle von Medien im Alltagsleben sei ein häufiges Motiv in Young und New Adult – sei es nun das Lesen oder das Bingen von Serien oder Aktivitäten in den sozialen Medien, betont die Autorin Kathinka Engel, die den Bestseller "Finde mich. Jetzt." veröffentlicht hat.
Unerfahrene Frau trifft auf erfahrenen Mann
Dennoch bleibt das Muster in der Regel konventionell: sexuell unerfahrene, zarte Frau trifft auf selbstbewussten, erfahrenen Mann, der sie in die Welt der Sexualität einführt. Für Kritiker vermittelt das konservative Rollenbilder. Tatsächlich werden viele der erfolgreichen Romane aus dem Amerikanischen übersetzt. So landen dann mitunter auch religiöse Weltbilder aus den USA auf dem Nachttisch von jungen Leserinnen in Deutschland.
Diesen sei das oft gar nicht bewusst, sagt Christine Lötscher, Professorin für populäre Literaturen und Medien an der Universität Zürich. Allerdings, so Lötscher, gebe es auch ironische Texte, feministische Herangehensweisen, queere Erzählungen sowie solche von Liebesbeziehungen unter mehreren Beteiligten, die das heteronormative Schema erweitern.
Die Autorin Kathinka Engel beschreibt ihre Bücher als „sexy Liebesromane, aber immer mit einer empowernden, feministischen Note“. Ihr sei eine offene Darstellung von Sexualität wichtig, so Engel - sie selbst sei noch in einer Generation aufgewachsen, in der es keine Sexszenen zum schambefreiten Konsum gegeben habe. Junge Frauen mussten sich Wissen und Vokabular über Sexualität allein und heimlich aneignen.
Schließlich geht das Genre auch optisch eigene Wege: Die Bücher sind meist aufwendig gestaltet, mit Farbschnitt, mit vielen Blumen, Glitzer und Schmetterlingen, Pastellfarben oder geheimnisvollen Motiven wie dunklen Wäldern.
Gewinn in schweren Zeiten für den Buchhandel: der Markt
Young- und New Adult-Romane sind bei jungen Zielgruppen stark nachgefragt. Im Buchhandel fallen sie in die Gruppen Belletristik und Kinder- und Jugendbuch. In beiden Warengruppen gab es im Jahr 2024 nach Angaben des Börsenblattes des Deutschen Buchhandels steigende Umsätze – bei der Belletristik um 4,3 Prozent, bei den Kinder- und Jugendbüchern um 0,6 Prozent.
Eine Hoffnung für Verlage und den Buchhandel, denn diese Entwicklung verläuft gegen den Trend. Am Beispiel der Verlagsmarke "Lys" von Bastei Lübbe lässt sich die Bedeutung von Young und New Adult zeigen: Der börsennotierte Verlag, der die Bestseller von Mona Kasten herausgebracht hat, konnte 2023 eine Umsatzsteigerung von zehn Prozent vorweisen - getrieben vor allem von Büchern für junge Erwachsene.
Die neue Zielgruppe wird dementsprechend umworben: Bereits auf der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr wurde der jungen Leserschaft eine eigene Messehalle mit rund 8000 Quadratmetern gewidmet.
Sich online inspirieren lassen, das Buch in gedruckter Form kaufen, lesen, auf der Buchmesse von der Lieblingsautorin signieren lassen, davon dann begeistert mit dem Hashtag BookTok berichten – das sei für die jungen Leser kein Widerspruch, so Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Die Generation bewege sich auch beim Thema Buch ganz selbstverständlich zwischen analoger und digitaler Welt.
Leserinnen als Kritikerinnen: Young Adult und die sozialen Medien
BookTok ist spätestens mit Beginn der Coronapandemie zu einem Treiber des Buchmarkts geworden. Auf der chinesischen Kurzvideo-Plattform TikTok werden unter diesem Hashtag Bücher diskutiert, die sich hauptsächlich an junge Leserinnen und Leser richten. Viele der bekannten Autorinnen sind selbst auch BookTokerinnen und haben dem Genre auf eigenen Accounts zum Erfolg verholfen. Ein Drittel der unter 30-Jährigen erhalte Anregungen zur Lektüre über die Sozialen Medien, so Schmidt-Friderichs vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Im Jahr 2024 gab es nach Angaben von TikTok mehr als 65 Millionen Beiträge zu Büchern weltweit. Mittlerweile verleiht die Plattform im dritten Jahr den TikTokBookAward – dabei beteiligt sind gewählte Jurymitglieder, vor allem aber auch die Fan-Community. Schon 2022 schrieb die "New York Times", BookTok sei eine bestimmende Kraft auf dem Buchmarkt geworden. Hier entstehen Bestseller – auserwählt vom lesenden Publikum und oft im Genre Young und New Adult.
Kontroverse Debatten auf BookTok
Die Auseinandersetzung mit Büchern in den Sozialen Medien sei vielfältiger als allgemein angenommen, sagt Christine Lötscher, Expertin für populäre Kulturen: Es gehe zwar auch um Emotionalität und die Selbstinszenierung, doch gleichzeitig gebe es auch sehr kontroverse Debatten um die Bücher.
Während in der professionellen Literaturkritik nur wenige Kritikerinnen und Kritiker gehört würden, sei auf BookTok jede Leserin aufgerufen, Kritikerin zu werden – das erweitere den Austausch, betont Margit Schulze, Programmverantwortliche für Forever beim Ullstein Verlag.
Es geht auch um Showtalent
So habe sich, zunächst über Blogs und YouTube, dann mit Podcasts und auf TikTok beziehungsweise BookTok eine digitale Szene gebildet und neue Räume für Literaturkritik erobert, erklärt der Bibliothekar und Buchblogger Marius Müller.
Zwar seien das oft Fan-Foren, in denen die Auseinandersetzung mit Büchern eher schwärmerisch stattfinde, so Müller. Doch seien sie als Einstiegswelten in die Literatur nicht zu unterschätzen: „Solche Plattformen bringen gerade jungen Menschen das Lesen näher, die sonst vielleicht selten zu einem Buch greifen würden.“
Events wie die BookTok-Awards seien mit dem herkömmlichen Literaturkritik-Begriff nicht zu erfassen, meint der Autor und Literaturkritiker Volker Weidermann. Er saß auch schon in der BookTok-Jury zur Wahl der Autorin oder des Autors des Jahres: Es gehe dabei auch um Showtalent und um Fragen wie: "Wer bin ich in dem Buch? Wie spreche ich über mein Buch und über andere Bücher?"
Blick in die nahe Zukunft: Wie KI den Erfolg von Young Adult optimieren könnte
Bestseller auf Bestellung, hohe Gewinne, geringe Kosten – das verspricht die Software DemandSense. Sie soll die Verkaufsprognosen für Bücher verbessern. Entwickelt wurde sie vom Marktforschungsunternehmen Media Control, das dafür Künstliche Intelligenz (KI) einsetzt. Für Verlage und Buchhandel soll das Tool berechnen, welche Bücher Menschen voraussichtlich kaufen und lesen wollen.
Das Unternehmen erstellt auch die BookTok-Charts. „Wir verfügen da über viele Informationen", sagt Media-Control-Geschäftsführerin Ulrike Altig. Daher könne die KI beim Genre Young Adult und New Adult Prognosen zum Erfolg des Buches verifizieren, neue Produkte könnten entsprechend optimiert werden.
Ob die Verlage künftig neben garantierten Bestsellern auch neue Autorinnen und Autoren oder sperrige Themen fördern, wenn die KI keinen oder geringen wirtschaftlichen Erfolg vorhersagt? Das sei eine Frage, die hauptsächlich die Verlage beantworten müssten, meint Altig.
csh