"Die eigene Abwicklung gehorsam selbst organisieren"
Der Priestermangel in der katholischen Kirche führt dazu, dass die deutschen Bistümer Gemeinden zu größeren Seelsorgeeinheiten zusammen fassen. Das Erzbistum Berlin geht diesen Weg besonders forsch. Kardinal Woelki hat seinem Diözese geradezu eine Rosskur verschrieben. Aus bisher 105 Pfarrgemeinden sollen bis zum Jahr 2020 rund 30 Großpfarreien werden.
"Wo Glauben Raum gewinnt" – für das Motto der pastoralen Leitlinien, die Kardinal Woelki im Oktober für den Umbau seines Erzbistums veröffentlicht hat, haben einige seiner Schäfchen nur beißenden Spott übrig. "Wo Glauben kaum gewinnt", fällt ihnen dazu nur ein. Kritiker wie der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Hans-Joachim Meyer, haben eine Petition an den Erzbischof verfasst, in der sie als Alternative zur Großpfarrei Pfarreigemeinschaften vorschlagen, in denen die bestehenden Gemeinden ihre Unabhängigkeit behalten.
"Die Sorge, die viele von uns umtreibt, ist: Kirche lebt in den Gemeinden. Wenn ein Modell kommt, das sehr unklar lässt, was für eine Rolle die bisherigen Gemeinden spielen sollen, das beunruhigt uns, und von daher unser Gesprächsangebot an den Erzbischof, dieses andere Modell jedenfalls in Erwägung zu ziehen."
Markus Weber kennt die Kritik an den Pastoralen Leitlinien. Doch die Befürchtungen, die Gemeinden würden quasi abgeschafft seien unbegründet, betont der Leiter der Stabsstelle "Wo Glauben Raum gewinnt".
"Wir trennen sozusagen Pfarrei und Gemeinde, d.h. die Pfarrei als Ebene der Verwaltung ... wird größer, und die Gemeinde soll erhalten bleiben. Es soll nicht eine der 105 Gemeinden geschlossen werden, und das ist das, was sehr schwer ist vor Ort zu verstehen: Wie kann denn das funktionieren? Was haben wir denn dann noch für ne Mitsprache? Gibt’s dann Ortsausschüsse, wie es in den Leitlinien drinsteht? Aber was bedeutet das, haben wir dann noch Mitspracherechte? Das sind Fragen, die die Menschen berühren, die ihnen Ängste machen und wo man genau gucken muss: Was bedeutet das?"
Welche Mitspracherechte hat eine Kirchengemeinde noch?
Auch bei einer Diskussionsveranstaltung über die Pastoralen Leitlinien in der St. Laurentius Gemeinde in Berlin Mitte wird die Frage immer wieder gestellt: Welche Mitspracherechte hat eine Kirchengemeinde noch, wenn nach der Fusion der neue Pfarrgemeinderat – kurz PGR – über die Finanzen aller Gemeinden entscheidet?
"Wenn ich z.B. lese, Aufgaben der Pfarreien: Verantwortung für den Finanzhaushalt hat die Pfarrei, die Gemeinden bekommen ein Budget für die pastorale Arbeit, aber unbeschadet der Gesamtverantwortung des Kirchenvorstandes, und drittens, der PGR legt fest, das ist der Abschlusssatz, wie weit die Kompetenzen der Ortsausschüsse reichen, Beschlüsse des PGR sind für die Ortsausschüsse bindend. Also ich arbeite in der Verwaltung, das ist so das Stärkste, wie man Leute sozusagen entmündigen kann."
Katharina Jany vom Pfarrgemeinderat Heilige Familie im Prenzlauer Berg – einer Gemeinde, die durch den Zuzug aus Westdeutschland keine Probleme mit dem Mitgliederschwund hat - formuliert es noch drastischer:
"Ich habe so das Gefühl, ja, mit diesem ganzen Pastoralplan sollen die Gemeinden dazu gebracht werden, ihren eigenen Abwicklungsprozess im vorauseilenden Gehorsam selbst zu organisieren."
Es gibt allerdings auch ganz andere Stimmen im Erzbistum. Antje Markfort hält die Befürchtungen der Fusionskritiker für übertrieben.
"Ich seh ganz anderes, dass wir uns ganz anders abschaffen, weil wir eigentlich den Glauben immer weniger nach außen tragen. Unsere Gläubigen vor Ort werden immer weniger, wir sprechen einen immer kleiner werdenden Kreis an, und wir beschäftigen uns letztendlich mit Strukturfragen, die nur um uns selbst kreisen, und das finde ich eine viel größere Gefahr als die Fusionswelle, die auf uns zuschwappt."
Zentrale versus lokale Entscheidungen
Dass sich Kirchengemeinden angesichts Priester- und Gläubigenmangels zu größeren Einheiten zusammenschließen müssen, daran lässt auch Hermann Wieh keinen Zweifel. Der Pfarrer aus Osnabrück berichtet in der Laurentiusgemeinde über die Fusionsprozesse in den Bistümern Hildesheim, Münster und Osnabrück. Die Entscheidungen für Großpfarrei oder Pfarreigemeinschaft seien ganz unterschiedlich ausgefallen.
"Bei Pfarreiengemeinschaften sind die Entscheidungsbefugnisse viel stärker vor Ort, bei Großpfarrei sind die Entscheidungsbefugnisse zentral, und man muss dann, so haben wirs gemacht, Vereinbarungen mit den einzelnen Gemeinden treffen, was wo Rechte sind, wer was da übernehmen kann, um die Leute vor Ort nicht mutlos zu machen. Wenn du von oben regierst sozusagen, dann fühlen sich die Leute unten nicht ernst genommen, und das muss man auf alle Fälle vermeiden."
Anders als viele Kritiker Woelkis fühlt sich Antje Markfort durch den Erzbischof ernst genommen. Die Vorsitzende des Pfarrgemeinderats in Maria Gnaden ist zugleich Vorsitzende des Pastoralverbundrates Reinickendorf Nord. Vor zwei Jahren haben sich hier drei sehr unterschiedliche Gemeinden zu einem Verbund zusammengeschlossen, um den Firmunterricht und andere Aktivitäten gemeindeübergreifend zu gestalten. Doch der Pastoralverbund ist nur der erste Schritt, bis 2016 wollen die beteiligten Gemeinden vollständig fusionieren.
"Das, was die anderen einfordern, den Gemeindeverbund, den haben wir für uns abgelehnt aus den Erfahrungen, die wir hier vor Ort gemacht haben, weil wir einfach sagen, wir werden von Gremiensitzungen erschlagen, wir können nicht im Verbund drei eigenständige Gemeinden und noch den Verbund zusammen handhaben."
Die Vielzahl an Gremien und Sitzungen sind auch für Erzbischof Woelki ein zentraler Grund, warum er das Modell der Pfarreigemeinschaft ablehnt. Das Gemeindeleben bleibe auch in seinem Modell bestehen.
Organisation und Verwaltung gemeinsam erledigen
"Je mehr es Gemeinden gibt und je lebendiger das ist, desto besser und attraktiver ist es, aber man kann vieles auch zusammen tun, z.B. vom Organisatorischen und von der Verwaltung her."
Als Beispiel nennt der leitende Pfarrer des Pastoralverbundes Reinickendorf-Nord, Norbert Pomplun, das gemeinsame Verbundsbüro – mit einem festangestellten Sekretär und Ehrenamtlichen in den Gemeindebüros vor Ort.
"Das regelt alles das, was die Pfarrbüros tun: Ausstellung von Urkunden, Anmeldungen zu Taufen und Trauungen, also all das, was nötig ist, auch der Publikumsverkehr, wobei wir es so geregelt haben: Die Menschen sollen auch in unsere Büros kommen, dafür sind unsere ehrenamtlichen Damen und Herren ganz wichtig, und der Verbundssekretär im Hintergrund, der regelt dafür sozusagen das Administrative im Hintergrund."
Doch die Frage nach Größe und Struktur der zukünftigen Pfarreien ist nicht der einzige Streitpunkt im Erzbistum. In ihrer Petition fordern die Kritiker, dass der Erzbischof als Alternative zur klassischen Eucharistiefeier Wortgottesdienste mit Kommunionsspendung durch Laien ermöglichen sollte, um so dem Priestermangel etwas entgegenzusetzen. Michael Höhle ist Pfarrer in der Kirchengemeinde Heilige Familie im Prenzlauer Berg.
"Wenn eine Gemeinde nicht mehr mit einem Priester besetzt werden kann, dann wäre es die Aufgabe des Bistums zu sagen, aber ihr seid Gemeinde, kommt am Sonntag zusammen, einer von euch muss es leiten, der braucht eine Ausbildung dazu, das kann er machen, wir unterstützen das, und auf diese Weise fördert man die Gemeinde und baut sie nicht ab."
Höhle erinnert damit an eine Tradition, die im Osten des Erzbistum weit verbreitet war.
"Vielleicht ist genau das der Punkt: Es gibt unterschiedliche Tradition in dieser ehemals geteilten Stadt, und der Osten hat eben die Tradition des Gottesdienstes mit Eucharistieausteilung gekannt, und von daher ist es ein großer Einschnitt, dass es jetzt nicht erlaubt ist, während wir Westler, gerade auch hier in unseren Gemeinden mit vielem Zuzug aus dem Rheinland und aus katholisch geprägten Gebieten hängen an der Eucharistiefeier."
Auch Kardinal Woelki ist ein Zuzug aus dem Rheinland und hält wenig von Wortgottesdiensten mit Kommunionsspendung. In den Pastoralen Leitlinien ist zwar von Sonderregelungen die Rede, doch grundsätzlich ist die klassische Eucharistiefeier für den Erzbischof alternativlos - trotz zurückgehender Zahl an Priestern und wachsender Entfernungen zum nächsten Gottesdienstort. Von einer Vision, wie sie der Titel "Wo Glauben Raum gewinnt" nahelegt, sei in den Pastoralen Leitlinien kaum etwas zu spüren, beklagt Pfarrer Höhle.
"Das ist ein kaltes Papier, technisch, ohne Leben, ohne Wärme, kalt, im Grunde aus einem Misstrauen, die Laien, die könnten wir nicht genug kontrollieren, also bilden wir lieben diese Großraumgebilde, wo wir alles noch in der Hand haben."
Wie Höhle hält auch der Pfarrer der St. Laurentius-Gemeinde, Ernst Pulsfort, die erzbischöflichen Vorgaben für die geplanten Fusionen für zu starr.
"Wir wünschen, mitgenommen zu werden, nicht einfach abgeschleppt zu werden wie so ein toter Hai oder wie ein Pottwal, wir möchten mitgenommen werden, und zwar in dem Tempo, in dem wir es verkraften können. Das ist ganz wichtig, sonst kann man nicht ja sagen."
"Die Menschen vor Ort sollen gestalten"
"Abgeschleppt gar nicht, es gibt nen Zeitrahmen, der ist, glaube ich, auch wichtig, weil in manchen Orten gibt es einfach keine Zeit mehr, also es gibt wirklich auch Orte, gerade auch der ländliche Raum, wo wir tatsächlich wenig Zeit haben, und trotzdem sagt der Bischof, ne, er sagt nicht, so und so soll es sein, sondern die Menschen vor Ort sollen gestalten, die drei Jahre Entwicklungsphase genauso wie die Findungsphase, auch da ist es ja nicht so, dass er sagt, die und die müssen jetzt miteinander den Weg gehen, also deswegen ist da schon sehr, sehr viel Offenheit, und trotzdem muss man irgendwann sagen, da ist ein Punkt."
Und dieser Punkt soll 2016 sein. Bis dahin haben die Gemeinden Zeit, sich freiwillig zusammenzuschließen, sonst wird der Steuerkreis um den Erzbischof über die neu zu gründenden Großpfarreien entscheiden. Das Ergebnis mag der sinkenden Zahl an Priestern und Gläubigen angemessen sein, und doch warnt der Osnabrücker Pfarrer Hermann Wieh davor, den einmal beschlossenen Prozess schlicht "durchzuziehen".
"Wir können nicht mit Gewalt die Dinge durchführen, auch nicht mit bischöflicher Gewalt. Das ist für den Glauben, und das ist ein außerordentlich sensibles Gut, kontraproduktiv. Es ist notwendig, zum Schluss zu entscheiden, aber es muss vorher ein echter Dialogprozess sein."
Und genau das vermisst auch der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Hans-Joachim Meyer.
"Der Kardinal ist davon überzeugt, dass sein Modell das richtige ist und wirbt dafür und lässt es vorstellen, aber ich habe bisher noch keine Situation erlebt, wo die Frage erörtert wird, was wäre denn nun der geeignete strukturelle Weg. Das eigene Modell muss sich im Gesprächsvorgang bewähren und kann sich dadurch auch verbessern, kann auch durch eine Alternative ersetzt werden, darauf muss man sich auch als Verantwortlicher einlassen, und das sehe ich nicht. Ich will jetzt nicht sagen, das geschieht nicht, aber in den mir bekannten Diskussionszusammenhängen hab ich das bisher nicht beobachtet."