Ein Stückchen Heimat in der Fremde

Von Josefine Janert · 16.11.2013
Sie kommen nach Cottbus wegen der guten Lehre, Studierende aus China, Indien und Afrika. Dass sie sich dort zu Hause fühlen, daran hat die Studentengemeinde einen großen Anteil. Und das war auch schon während der DDR-Zeit so - da mussten die Gläubigen aber noch etwas unauffälliger vorgehen.
"Ich komme aus Ghana. Im Zuge meines Promotionsprogramms hatte ich mich in Cottbus beworben. In Berlin angekommen, habe ich dann versucht, mit einer Frau im Bus ins Gespräch zu kommen, um zu erfahren, wie ich zum Bahnhof und wie ich mit dem Zug nach Cottbus komme. Sie fragte mich: 'Warum ausgerechnet Cottbus?' Und ich erwiderte: 'Da ist die Universität!'"

Seit anderthalb Jahren schon studiert Kofi Bempah Crentsil aus Ghana in Cottbus. Doch immer noch erinnert sich der Geologie-Student lebhaft an jenes Gespräch mit der deutschen Dame in einem Berliner Bus. Er war gerade frisch aus Afrika eingetroffen, hatte sie gefragt, wo er ein Zugticket nach Cottbus kaufen könne. Entsetzt habe ihm die Frau von der Fahrt abgeraten, meint der 31-Jährige.

"Die mögen dort keine Schwarzen!"
"'Wollen Sie da bleiben?' Ich sagte: 'Warum nicht?' Sie: 'Die mögen dort keine Schwarzen!' Es war die deutsche Dame, die mir sagte, dass sie dort keine Schwarzen mögen. Vielleicht ist in der Vergangenheit was passiert, aber uns ist nichts zugestoßen."

Nach Cottbus ist Kofi Bempah Crentsil wegen der guten Qualität der Lehre gekommen. Er besucht Vorlesungen auf Englisch – so wie viele Ausländer, die an der Uni Cottbus immatrikuliert sind. Als Christ hat er von Anfang an auch Kontakte zur Studentengemeinde geknüpft. Sie wird von dem evangelischen Pfarrer Reinhard Menzel und dem katholischen Priester Roland Elsner geleitet.

Heute hat sich Elsner mit Kofi Bempah Crentsil und Fernando Falcón aus Mexiko getroffen. Sie reden über eine Veranstaltung der Uni, die sie als Studentengemeinde mitgestalten wollen.
Mit am Tisch in den Räumen der katholischen Jugendseelsorge sitzt Rudolf Schirmer, ein pensionierter Ingenieur. Schon seit 1986 kümmert er sich um die Afrikaner in Cottbus. Zu DDR-Zeiten kamen junge Menschen aus Entwicklungsländern, um an der Parteischule der SED Marxismus-Leninismus zu studieren. Den sollten sie mit in ihre Heimat nehmen, so der Plan. Doch im Herzen waren sie Christen. Deshalb erschienen sie sonntags beim Gottesdienst in der katholischen Kirche, den auch Schirmer und seine Frau besuchten.

Rudolf Schirmer: "Und da hatte ich so bei mir gedacht: Das könnten auch meine Kinder sein. Wenn man zu DDR-Zeiten sehr fremd hier ist, dann braucht man irgendwo 'n Stückchen 'n Halt und irgendwo Kontakte. Da bin ich einfach auf die zugegangen. Fast jeden Sonntag bin ich mit dem Auto rausgefahren an die Parteischule, durfte aber nicht vor dem Tor halten, sondern musste 'n Stück abseits stehen. Dann habe ich die jungen Leute eingeladen, manchmal bin ich zwei, drei Mal gefahren. Dann hatten wir die nachmittags zum Kaffee bei uns. Meine Frau war in der Spremberger Straße im Schuhladen beschäftigt, und das wussten die. Und immer im Herbst, wenn die Tür beim Schuhladen aufging, kamen Neue herein. Da konnten wir sie gleich auffangen und in die Kirche mitnehmen. Wobei man sagen muss: Die Wenigsten waren katholisch, aber sie waren alles Christen, egal ob Methodisten oder Anglikaner."

Probleme mit dem DDR-Staat bekam Rudolf Schirmer nicht, sagt er:

"Das ist das Eigenartige! Ich hab meine Stasiakte nicht angesehen. Da wird sicherlich so einiges drinstehen."

Sie nennen ihn respektvoll "Opa"
Bis heute engagiert sich Rudolf Schirmer für die Studenten, unterhält privat und mit seiner Gemeinde Kontakte nach Afrika. Von den Studenten wird er respektvoll "Opa" genannt. Fünf Mal war seine Frau mit dabei, als afrikanische Studentinnen hier in Deutschland Kinder zur Welt brachten. Sie gehören mit zur Familie. Deshalb war das Ehepaar Schirmer auch so betroffen, als es in den neunziger Jahren in Cottbus zu Übergriffen auf Ausländer kam.

Rudolf Schirmer: "Ich hatte mich damals selber schon hier mit der Polizei in Verbindung setzen müssen, weil eben bis in die Unterkünfte der Studenten hinein die Studenten verfolgt wurden. Aber ich denke, seitdem das alles rekonstruiert ist und die Gebäude von außen zugeschlossen sind, hab ich eigentlich nicht mehr so etwas gehört."

Dass die Übergriffe deutlich abgenommen haben, zeigt auch die Polizeistatistik. Sie verzeichnet für 2012 drei Fälle rechter Gewalt – im Vergleich zu neun im Jahr 2008. Kofi Bempah Crentsil und Fernando Falcón sagen beide, dass sie und ihre Freunde bislang keine schlechten Erfahrungen gemacht haben.

Roland Elsner meint: "Aber natürlich sagen wir dann manchmal noch: Wenn ihr jetzt abends nach Hause geht, geht lieber zu dritt oder viert. Das ist dann doch schon so 'n bisschen im Hinterkopf: Seid vorsichtig, ja!?"

Der hochgewachsene Priester ist daran gewöhnt, dass ausländische Studenten staunen über die Kirche in Deutschland. So wie Kofi Bempah Crentsil.

Kofi Bempah Crentsil: "Als ich in Deutschland ankam, stellte ich fest, dass fast nur ältere Menschen in die Kirche gehen. In Ghana sind es vor allem junge Leute, in Deutschland genau das Gegenteil. Mit Pfarrer Elsner und den anderen Katholiken, die ich hier getroffen habe, habe ich viel Spaß. Unsere Beziehung ist sehr herzlich. In Ghana haben wir keinen so guten Draht zu den Priestern."

Fernando Falcón will noch ins Stadtzentrum, wo sich Mitglieder der Studentengemeinde jeden Dienstag zu einem offenen Abend treffen. Dann diskutieren sie über Religionen, Umweltschutz und andere aktuelle Themen.

Inzwischen liebt er das deutsche Essen
Es ist schon Fernando Falcóns zweiter Aufenthalt in Cottbus. 2007 kam er über ein Austauschprogramm, um Elektrotechnik zu studieren. Jetzt macht er seinen Master in Medizintechnik. Die gute fachliche Betreuung und das Studentenleben haben es ihm angetan. Anfangs fand er das deutsche Essen seltsam. Inzwischen liebt er Spätzle und Maultaschen und den Fußballclub Energie Cottbus.

Nach etwa 20 Minuten betritt Fernando Falcón ein Gebäude in der Schillerstraße. Im Erdgeschoss versammeln sich ein gutes Dutzend Studenten und Pfarrer Reinhard Menzel. Etwa die Hälfte der Anwesenden ist aus Deutschland, die übrigen sind aus Afrika und anderen Ländern. Fernando Falcón mag die internationale Atmosphäre. Und auch der deutsche Gottesdienst gefällt ihm.

"Wir finden es ganz schön, dass alle Leute hier singen zusammen in die Gottesdienste. Es klingt wunderbar. Bei uns in Mexiko, ich glaube, sonntags kommen mehr als 200 oder 300 Leute. Aber von diesen 300 oder 400 Leuten, sind vielleicht nur 50 Leute oder so, die singen. Nicht alle machen mit. Da hat man diese Doppelmoral. Also sie sind katholisch, weil alle Leute da auch katholisch sind. Das ist auch so wie ein Status, ein Sozialstatus."

In Deutschland sei das anders: "Aber ich sehe, dass die Leute, die da sind, sind einfach da, weil sie wirklich glauben. Da merke ich nichts von dieser Doppelmoral."
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