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Berufswechsel in der Coronakrise

29:49 Minuten
Zur Dekoration eines Standes bringt ein Messebauer zahlreiche bunte Luftballons an eine Wand an.
In vorherigen Jahren gut gebucht, mittlerweile selten angefragt, Messebauer wie hier auf der Buchmesse in Frankfurt am Main. © dpa / Boris Roessler
Von Manuel Waltz · 27.04.2021
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Corona hat Berufsbiografien zerschnitten, durchkreuzte Karriere-Pläne und Rücklagen, falls überhaupt vorhanden, wurden aufgebraucht. Ein Berufswechsel war oft unausweichlich. Für manche war der Neuanfang aber auch mit positiven Überraschungen verbunden.
"Ich hatte im Kalender, glaube ich, 34 Termine stehen, die schon bestätigt waren. Und das schon im März, Anfang März. Wo man dann davon ausgehen kann, dass im Verlauf des Jahres noch mal so viel dazukommt", erzählt Christian Schierwagen.
Auch bei Michael Schneider sah es zu Beginn des Jahres 2020 gut aus:
"Ja, das Jahr war voll. Wäre eigentlich ein recht sensationell gutes Jahr geworden."
Ebenso zuversichtlich war Daniel Allgeier: "Du musst dir vorstellen, bis zum September waren wir eigentlich ausgebucht. Non Stopp. Eigentlich muss ich zugeben, hatte ich fast schon… Angst habe ich jetzt nicht gehabt, aber das war ein straffes Programm. Wo du deine Arbeit sehr gut einteilen musst, dass das alles sehr gut läuft."
"Und dann wäre das einfach ein gutes Jahr geworden, sowohl in künstlerischer als auch in finanzieller Hinsicht, was ja nicht unwichtig ist für Selbstständige, dass man ein gutes Polster auch anlegt für schlechte Jahre wie dieses."
Meint Christian Schierwagen rückblickend. Er ist selbstständiger Musiker in Leipzig.

"Dann war klar, dass man etwas anderes machen muss"

"Und dann wurde alles abgesagt. Brutal, tatsächlich, du hast die fiesesten Vorstellungen gehabt", erzählt Daniel Allgeier aus Karlsruhe. Er ist ebenfalls selbstständig, verdient sein Geld vor allem mit der Planung, dem Design und dem Aufbau von Messeständen und Veranstaltungsräumen.
"Aber, ja, wat will man machen, ja?", fragt Michael Schneider aus Muggensturm bei Karlsruhe. Er ist Veranstaltungstechniker. Seine Firma verleiht Audio-Anlagen und Lichtsysteme, baut sie vor Ort auf und regelt sie bei den Veranstaltungen. Eigentlich.
Christian Schierwagen: "Ja und dann kam der erste Lockdown, da stand noch ein Auftritt auf einem Messeball an, hier in Leipzig, Buchmesse, genau, sollte dann in der Moritzbastei die Veranstaltung dann sein. Wurde dann kurzfristig abgesagt. Dann wurden alle möglichen Termine verschoben, wurden letztendlich auch abgesagt. Und bis auf die Messe Leipzig hatten wir auch keine Chance, Ausfallhonorare zu stellen."
"Es wurde halt ganz viel abgesagt. Und dann war halt klar, dass man was anderes machen muss", erzählt Michael Schneider.

Berufseinstieg als Yogalehrerin in Corona-Zeiten

Christian Schierwagen, Michael Schneider und Daniel Allgeier arbeiten seit Jahren in Berufen, die sie wegen der Pandemie innerhalb weniger Tage plötzlich nicht mehr ausüben konnten. Ein Schock. Keiner hatte mit dieser Entwicklung gerechnet. Corona hat Berufsbiografien zerschnitten, Pläne durchkreuzt. Das, worauf man sich verlassen konnte, brach weg.
Innerhalb weniger Tage wurden aus vollen Terminkalendern leere Seiten. Die Perspektive: unklar. So oder ähnlich ging es vielen Menschen in Deutschland. Auch Clara Fischer in Leipzig. 2019 war sie in Indien und machte eine Ausbildung zur Yogalehrerin.

"Ich habe schon vor der Rückreise einen Anruf bekommen, ich habe einen gut befreundeten Trainer, der ist so ein Kurskoordinator hier so gerade in der Leipziger Region, der in Fitnessstudios Lehrer sucht und die auch einteilt und die Kursplanung macht und so weiter. Und der hat mich angerufen und der meinte: ‘Du, wenn du jetzt fertig bist, ich bräuchte eine Yogalehrerin ganz dringend in verschiedenen Studios, willst du nicht einfach mal loslegen und wir gucken mal, wie es läuft.‘ Und letzten Endes: Ich kam zurück und habe sofort angefangen. Und das war ziemlich cool und es hat auch ziemlich Spaß gemacht."
Clara Fischer gab in verschiedenen Studios Kurse, parallel dazu auch selbst organisierte Kurse im Park. Und weil das gut lief, schaute sie sich auch nach einem Raum um, in den sie sich einmieten konnte:
"Aber da habe ich einfach so ein bisschen angefangen, mich umzugucken: Ok, wie funktioniert das richtig. Aber dann wollte ich eigentlich richtig loslegen, habe mich komplett umgemeldet, wollte mich komplett selbstständig machen und dann kam Corona."
Seit März 2020 konnte sie praktisch nicht mehr als Yogalehrerin arbeiten.
"Und dann war das letzten Endes so, dass ich dann einfach nur noch entweder online, an Leute, die ich eben schon hatte, Kurse gegeben habe. Aber ich habe erst angefangen und das war auch ein bisschen schwierig. Und dann im Sommer ging das ja halbwegs, ne? Wenn man dann auch nicht zu große Gruppen hatte, dass man dann schön ausgebreitet im Park die Kurse gegeben hat. Das hat dann ganz gut funktioniert. Aber jetzt den Winter über natürlich dann wieder nicht, weil, wer möchte bei Yoga dann liegend im Schnee irgendwie draußen die Zeit verbringen?"


Clara Fischers Glück war, dass sie sich gleich nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium, bei einem sogenannten Start-up-Accelerator beworben hatte, ein Unternehmen, das selbst Start-ups bei der Gründung, Finanzierung und bei der Kundenakquise unterstützt. Damals wurde daraus nichts. Aber ihre Bewerbung war scheinbar nicht im Papierkorb gelandet, denn plötzlich zeigte das junge Unternehmen doch noch Interesse an der 27-Jährigen.
"Das war direkt vor dem Lockdown, dass ich die Zusage bekommen habe, das war im März und ich habe angefangen dann mit dem Lockdown. Ich wurde dann online eingeführt in das Team und ja, dieses Einlernen war dann in dieser Zeit. Das war sicherlich nicht der leichteste Einstieg, aber es ging auf jeden Fall. Ich meine, das Team war auch relativ digital affin, deshalb ging es auch."
Seitdem arbeitet sie dort als PR-Managerin und Beraterin für die zu betreuenden Start-ups, halbtags. In der restlichen Zeit wollte sie eigentlich Yogastunden geben. Stattdessen hat sie sich weiter umgeschaut.
Eine junge Frau sitzt in einem Zimmer vor einem Computer.
Clara Fischer: "Das war sicherlich nicht der leichteste Einstieg, aber es ging auf jeden Fall."© Deutschlandradio / Manuel Waltz

Die Krankenversicherung war nicht mehr finanzierbar

Auch Christian Schierwagen, der Musiker in Leipzig, musste sich relativ bald etwas Neues suchen:
"Im Sommer ist meine Tochter geboren. Da hatte ich dann das Problem, dass ich mich halt irgendwie sozialversichern musste."
Christian Schierwagen spaziert durch sein Viertel im Leipziger Westen, erzählt von seinem Weg durch die Corona-Monate. Als selbstständiger Musiker war er in einer privaten Krankenversicherung. Mit seinen Einnahmen vor der Pandemie konnte er das gut finanzieren, auch wenn die Beiträge nicht günstig waren.
"Da hatte ich schon 470 Euro oder so bezahlt und mit meiner Tochter wären es dann 670 oder so geworden und das bei praktisch null Einnahmen war das natürlich nicht zu stemmen. Sodass ich geschaut habe, wo könnte ich einen Job finden, der mir noch so viel Flexibilität bietet. Wo ich zum Beispiel halbtags arbeiten kann und nicht gezwungen bin, jetzt acht dreiviertel Stunden zu arbeiten. Zum einen, weil ich mich eben weiter für die Musik fit halten wollte und dafür Zeit brauche und natürlich der wichtigere Grund war, Zeit für meine Tochter und für meine Familie zu haben, wenn die geboren ist."

Vom Bassisten zum Telefonisten

Der Musiker stieß dann auf die Anzeige eines Unternehmens für IT-Support. Das suchte für einen großen deutschen Pharma- und Chemiekonzern Menschen, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Computerproblemen telefonisch zur Seite stehen. Christan Schierwagen bewarb sich und wurde angenommen, wurde vom Bassisten zum Telefonisten. Das Mikrofon musste er mit dem Telefon tauschen, seine Bandkollegen trifft er kaum noch, seine Projekte liegen auf Eis, erzählt der Musiker:
"Auf Anhieb fallen mir drei ein, aber vielleicht habe ich auch noch ein anderes Projekt, in dem ich spiele. Das sind so recht unterschiedliche Sachen. Eine Sache, da machen wir wirklich eigene Sachen, das ist die Fortsetzung von einer Studentenband von vor 20, 25 Jahren, die damals auseinandergegangen ist aus verschiedensten Gründen und wir haben uns dann zufällig mal wieder getroffen und haben gesagt, wollen wir es noch mal probieren."
Das haben sie dann auch getan. Die anderen Projekte sind eine Coverband, ein Dienstleister, wie er es nennt, mit der er auf Unternehmensfeiern oder Hochzeiten spielt. Und noch eine Band für Galas, Bälle und Empfänge. Und eben das eher neue Projekt, die ehemalige Studentenband des heute 47-Jährigen.
"Letzten Sommer haben wir unsere erste CD herausgebracht, mit 25 Jahren Verspätung, wie gesagt. Die ist auch eigentlich recht gut angekommen."
Die geplante Tour fiel aus, es gab ein paar selbstorganisierte Konzerte in der Nähe von Leipzig, draußen und mit Abstand. Aber immerhin. Verdient hat er damit nicht viel. Vor allem für die Krankenversicherung brauchte er den neuen Job, sagt Christian Schierwagen.
"Ja, und dann habe ich diese Ausbildung erfolgreich absolviert, oder Trainingsmaßnahme besser gesagt, und arbeite seitdem für diese Firma mehr oder weniger halbtags und bin dadurch sozialversichert, habe jetzt auch ein paar von den Unterstützungsangeboten bekommen, die die Bundesregierung aufgesetzt hat."

Weniger Einkommen, mehr Kontrolle und Monotonie

Allerdings: Mit den staatlichen Corona-Hilfen und dem Einkommen aus dem neuen Job verdient er nur etwa ein Drittel von dem, was er vor Corona eingenommen hat.
"Und das ist auch wirklich anstrengend, selbst wenn man gar nicht voll arbeitet. Man ist die ganze Zeit am Reden mit Leuten, man muss bestimmte Etikette wahren, man hat ziemlich genaue Vorschriften, wie man sogenannte Tickets erstellen muss, wo das dokumentiert wird, was du gemacht hast. Weil, das müssen die natürlich abrechnen gegenüber dem Auftraggeber, und, und, und...
Und du kriegst auch Anschiss, wenn du es nicht richtig gemacht hast, weil es auch eine Qualitätsabteilung gibt, die das prüfen. Sowohl die Tickets, die du geschrieben hast, als auch können die sich in die Telefonate einklinken und hören halt, wie du das machst. Du musst den ganzen Tag fit sein, das läuft schon nach dem Stechuhrprinzip."
Im vergangenen Sommer ist er noch zum Arbeiten in die Leipziger Innenstadt gefahren, dort sind die Büros der Firma. Seit einigen Monaten aber arbeitet er nur noch im Homeoffice. Das macht die Arbeit noch eintöniger.
"Das ist kein Job, bei dem man alt werden möchte. Das ist ok, aber keine Erfüllung der Träume. Und da bin ich doch eher ein kreativer Mensch und würde das auch, wenn die Möglichkeit besteht, sein Geld anderweitig zu verdienen, würde ich das nicht ertragen, in dem Job gefangen zu sein, sondern müsste mich dann da irgendwann verabschieden."

Von einem Tag auf den anderen wurde aus Christian Schierwagen, einem gut gebuchten Musiker, ein Künstler ohne Einnahmen. Ohne eigenes Verschulden. Die Selbstständigkeit aber stellt er trotzdem nicht infrage:
"Gibt auch viele Firmen, die ihre Leute in Kurzarbeit geschickt haben oder ganz entlassen mussten, gerade in solchen Situationen wird ja ersichtlich, dass es weder hier noch dort eine Garantie für irgendwas gibt und schon alleine deshalb bin ich nicht zu einem Umdenken gekommen, sondern warte auf den Tag, an dem es wieder losgeht und meinetwegen stabil losgeht.
Ein Mann mit Basecap steht in einer Straße vor alten Mietshäusern und geparkten Autos.
Christian Schierwagen: "Das ist kein Job, bei dem man alt werden möchte. Das ist ok, aber keine Erfüllung der Träume."© Deutschlandradio / Manuel Waltz
Und ich die Chance habe, Auftritte zu akquirieren, Sachen zu erarbeiten, mit der Band voranzukommen und ja, natürlich letztendlich auch Geld zu verdienen und die Familie zu ernähren und mir ein paar schöne Dinge zu leisten. Es wäre ja Quatsch, wenn ich sagen würde, dass mir das nicht wichtig ist. Das ist mir natürlich wichtig."

Zurück in den erlernten Beruf

In Muggensturm, einer kleinen Gemeinde zwischen Baden-Baden und Karlsruhe gelegen, ging es Michael Schneider ganz ähnlich. Auch er lebt von Veranstaltungen, indem er dort die Musikanlagen stellt. Anfang 2020 sah es nach einem sehr guten Jahr für den 51-Jährigen aus:
"War dann schon irgendwie so ein bisschen ein Schock, ja, im März als dann das losging. Erst mal sich überlegen müssen, was macht man jetzt? Und dann habe ich halt meinen Meisterschein gesehen, den habe ich daheim schön auf dem Schrank stehen, habe ich gedacht, ah, das wäre doch was. Wenn gar nichts mehr geht."
In den 1990er-Jahren hat er Elektriker gelernt und schließlich auch den Meisterbrief gemacht. Seine Eltern wollten, dass er was Anständiges lernt, sagt er.
Eigentlich wäre er damals schon lieber in die Veranstaltungstechnik gegangen. Und jetzt, wo es keine Veranstaltungen mehr gibt, wurde er wieder Elektriker.
"Ja gut, ich habe halt ein bisschen Akquise betrieben. Und sagen wir mal, im Elektrobereich ist es relativ einfach, neue Kunden zu gewinnen. Alle suchen Handwerker, klar. Will ja keiner mehr machen. Und deswegen ist man da eigentlich ganz gut im Geschäft. Innerhalb von kurzer Zeit. So drei Monate, dann waren wir eigentlich schon so ausgelastet, dass ich noch Leute dazu gebraucht habe."

Michael Schneider steht in der Einfahrt seiner Lagerhalle. Hinten aufgereiht sind unzählige Lautsprecherboxen, gut eingepackt, sie stehen da jetzt schon eine ganze Weile ungenutzt herum. Manchmal wischt er den Staub ab, sagt er. Hier am Eingang hat er ein paar Schwerlastregale aufgebaut, in denen Kabel, Steckdosen und Werkzeug liegen. Das ist jetzt sein neues Standbein.
Normalerweise – also, wenn er Musikanlagen aufbaut – arbeitet er mit selbstständigen Veranstaltungstechnikern zusammen, die er für die einzelnen Projekte bucht. Auch sie können jetzt nicht in ihrer Branche arbeiten. Deshalb setzt Michael Schneider sie auf den Baustellen ein.
"Die Jungs sind alle froh, dass sie was zu tun haben. Das sind auch so Leute, die einfach nicht daheim hocken wollen. Die wollen was tun und haben hier die Möglichkeit. Ich bin froh, dass sie das machen und ich glaube, die sind auch froh, dass ich ihnen hier die Gelegenheit gebe."
Ein Mann mit Helm steht in einer Veranstaltungshalle.
Vor Corona war er Veranstaltungstechniker, jetzt bringt Michael Schneider die frühere Ausbildung zum Elektriker über die Corona-Zeit. © privat

An Aufträgen mangelt es nicht

Trotz Krise sind gute Handwerker knapp, deshalb konnte er so schnell in dem neuen Business Fuß fassen. An Fachkräften fehlt es schon seit Jahren und das führt dazu, so erlebt es Michael Schneider, dass manchmal die Qualität leidet. Er erlebt gelegentlich die unglaublichsten Dinge, wenn er Fehler von anderen Firmen korrigieren muss, erzählt er.
"Ich habe jetzt zum Beispiel letzte Woche was angeguckt, da ging der Herd nicht. Und dann habe ich da festgestellt, der Kollege hat halt irgendwie den Neutralleiter und die Phase vertauscht. Der Herd hing dann an 400 Volt. Und dazu war gleichzeitig noch der Kühlschrank parallel angeschlossen, der lief auch auf 400 Volt. Die Leute haben sich schon gewundert, warum der so laut ist. Ja, ich habe es dann repariert, aber war halt schon ein Erlebnis wieder."
Überhaupt unterscheidet sich sein mit Veranstaltungstechnikern besetzter Elektrobetrieb deutlich von den anderen Firmen, erzählt Michael Schneider:
"Ich glaube, die Leute merken, dass wir jetzt nicht der typische Handwerksbetrieb sind. Ich habe schon öfter gehört: Ha, ihr habt ja richtig Spaß auf der Baustelle und das ist so angenehm mit euch, ja. Wir haben halt ein bisschen mehr den Service-Gedanken, den wir vielleicht von der Veranstaltungstechnik mitbringen, gerade was so Deadlines angeht, dass man halt pünktlich da ist, pünktlich seine Arbeit fertigkriegt. Das ist bei uns, sagen wir mal, ziemlich tief verwurzelt und deswegen sind die Leute eigentlich ganz begeistert von dem, was wir machen. Wir werden auch weiterempfohlen, von daher sind da stetig neue Anfragen da."

Michael Schneider wollte nicht Elektriker sein, die Veranstaltungstechnik mag er lieber. Aber er sieht auch die guten Seiten an seiner neuen Arbeit:
"Ich habe Kunden, die wirklich Wert darauflegen, dass es qualitativ auch gut wird. Und denen ist das dann auch egal, ob es jetzt mal 500 Euro mehr kostet. Das ist irgendwie eine ganz neue Welt für uns oder für mich ganz persönlich. Das ist leider ein bisschen anders als im Veranstaltungsbereich, wo ganz viele einfach nur sehen, was unten für eine Zahl steht. Und, ja, ich komme ganz gut klar mit den Leuten."
Deshalb will er die Elektro-Firma weiterzuführen, auch dann, wenn es wieder Veranstaltungen gibt und er endlich seine Boxen, Kabel und Mischpulte wieder aufbauen kann. Der Elektro-Betrieb läuft gut. Und: Michael Schneider hat investiert:
"Das ist bestimmt irgend so ein fünfstelliger Betrag gewesen, ich kann es jetzt nicht genau sagen. Messgeräte alleine waren schon ein paar Tausend, dann Material, du musst ja ein bisschen was dahaben. Du willst ja dann nicht jedes Mal erst in den Großhandel und dann auf die Baustelle fahren, ein Fahrzeug haben wir uns noch geholt, stimmt. Das sind schon ein paar Euro gewesen. Es half ja nichts. Wir hatten ja schon ein bisschen, Rücklagen gab es ja, von daher ging das dann schon. Das war, glaube ich, ganz gut investiert."
Ein Mann sitzt vor einem Mischpult, im Hintergrund sitzen Menschen in einem Veranstaltungsraum.
Michael Schneider: "Ich glaube, die Leute merken, dass wir jetzt nicht der typische Handwerksbetrieb sind."© privat

Der Arbeitsmarkt ist eingefroren

Geld in die Hand zu nehmen und sich schnell mal ein neues Geschäftsfeld zu erschließen, das ist die Flucht nach vorn. Bei Michael Schneider ist die Rechnung aufgegangen, sein neuer Betrieb läuft. Allerdings ist er mit seiner Entscheidung eher die Ausnahme als die Regel, denn in Krisen sinkt die Risikobereitschaft der Unternehmen, das stellen die Industrie- und Handelskammern jetzt auch wieder fest, wie der Präsident für Leipzig, Kristian Kirpal, bestätigt.
"Das ist für die Unternehmen jetzt schwer, in dem Bereich noch mehr Risikofreude an den Tag zu legen. Man merkt das an einem Indikator, den wir als Kammern erheben, das ist im Bereich der Investitionsbereitschaft, der ist massiv gesunken. Da reden wir ja nicht nur von Investitionen von irgendwelchen Produktionshallen oder Ähnlichem, sondern auch von Investitionen in Geschäftsmodelle. Hängt aber auch ein stückweit damit zusammen, dass durch die Coronakrise die Unternehmen finanziell so beeinträchtigt sind, dass sie dann kaum in der Lage sind zu investieren."
Und auch die Banken halten sich mit Krediten eher zurück. So ergibt sich eine gefährliche Mischung, denn damit verschärft sich der Abwärtstrend in der Wirtschaft. Bernd Fitzenberger ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung:
"Das Bild, wir haben jetzt ganz starke Veränderungen im Arbeitsmarkt, ist eigentlich das falsche. Das richtige Bild ist: Wir sehen einen Arbeitsmarkt, der im Moment eingefroren ist, wesentlich weniger Neueinstellungen auch weniger Entlassungen, auch weniger Wechsel. Viele Menschen wechseln ja auch den Arbeitsplatz, ohne arbeitslos zu sein, um einen Karriereschritt zu machen.
Auch das ist ausgebremst. Wir sehen weniger Neueinstellungen, wir sehen weniger Jugendliche, die in die Berufsausbildung gehen. Wir haben eher ein Bild, wo nichts wandert und eine Struktur ein bisschen eingefroren ist. Zum Glück kann man sagen, weil das den Aufwuchs von Arbeitslosigkeit verhindert, weil im Moment die Chancen einen neuen Job zu finden, generell niedrig sind."

Die Herausforderung für Selbstständige heißt Durchhalten

Vor allem wegen des Kurzarbeitergeldes spürt man die Krise am Arbeitsmarkt im Moment noch nicht. Allein im März dieses Jahres, ein Jahr nach dem ersten Lockdown, waren 2,7 Millionen Menschen in Kurzarbeit, acht Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Bei Selbstständigen greift dieses Instrument allerdings nicht. Bernd Fitzenberger:
"Aus wirtschaftlicher Sicht ist natürlich die Herausforderung, die Selbstständigen, die Betriebe, die Organisationen, die hier tätig sind, sind ja nicht schuld daran, dass sie jetzt schlechte Einnahmen, keine Einnahmen haben, sondern das ist der Effekt der Pandemie. Und sobald wirklich Lockerungen möglich sind, bin ich da eigentlich sehr optimistisch.
Aber da durchzuhalten! Viele der Einrichtungen, viele der Selbstständigen haben keine finanziellen Reserven gehabt, das ist eine Herausforderung hier durchzuhalten und da ist die staatliche Unterstützung, sobald sie geleistet werden konnte, natürlich auch sehr sinnvoll. Weil ich nicht glaube, dass diese Zweige, die Wirtschaftszweige, wenn man es wirtschaftlich jetzt beurteilt, dass die verschwinden werden. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass da es einen enormen Nachholeffekt geben wird nach der Krise."

"Dann habe ich die Visionen ausgegraben"

Auch Daniel Allgeier ist selbstständig und hat derzeit nicht allzu viel zu tun. Eigentlich plant und designt der 47-jährige Messestände und Räume für Veranstaltungen, setzt Produkte und Räume in Szene.
Im März 2020 hatte auch er einen vollen Terminplan, dann kam Corona und fast alles brach weg. Für einige Projekte hatte er schon Vorarbeiten geleistet, die konnte er abrechnen. Damit und mit einigen Corona-Hilfen kam er erst einmal über die Runden. Im Moment lebt er von kleinen Aufträgen und vor allem vom Angesparten. Das aber ist inzwischen auch so gut wie weg. Daniel Allgeier:
"Wir hatten dann wenig zu tun. Dann habe ich die Visionen ausgegraben. Und dann habe ich das Tiny House ausgegraben. Was vor Corona schon in meinem Kopf war aber ich mich nie... Deine Energie ist ja auch begrenzt und wenn du die ganze Zeit solche Dinger entwirfst und baust, bist du damit zufrieden. Irgendwann willst du auch was mit deinen Kindern machen, willst auch mal gemütlich zu Hause sitzen und willst nicht nur am Rennen sein. Die Realität war dann, dass ich für Sachen, die fiktiv sind, effektiv keine Zeit hatte."
Plötzlich aber hatte er sehr viel Zeit.

"Dadurch, dass dann plötzlich nichts mehr da war, hast du natürlich auch ein bisschen durch die Angst, oh fuck, ich muss jetzt gucken, dass ich irgendwo ein anderes Feld eröffne, habe ich halt dieses Tiny House gestalterisch, konzeptionell vorangetrieben. Weil mir dann eigentlich auch aufgefallen ist: Ok, wir haben eigentlich die perfekte Infrastruktur, um Tiny Häuser zu bauen. Wir haben eine kleine Werkstatt. Wir haben ein großes Lager.
Ein Mann sitzt in einem großen Raum auf einer Holztreppe.
Daniel Allgeier: "Mir ist dann auch aufgefallen: Ok, wir haben eigentlich die perfekte Infrastruktur."© Deutschlandradio / Manuel Waltz
Wir haben zwei Spitzen-Schreinereien, die uns mit Bauteilen beliefern können, nach unseren Vorgaben. Wir haben freischaffende Schreiner in unserem Netzwerk, die uns in unserem Lager nach unseren Vorgaben das ganze Zeug zusammenbauen können. Wir haben einen freischaffenden Statiker, der uns die Sachen berechnen kann. Et cetera, et cetera. Im Prinzip, die Herangehensweise ist nicht so weit weg, einen Messestand zu bauen, beziehungsweise ein Tiny House zu bauen."

Geschäftsmodell oder Alterssitz: Tiny-House

Daniel Allgeier hat einen DIN-A3-Bogen herausgeholt. Darauf zu sehen ist ein von ihm entworfenes Haus auf einem Anhänger. Außen besteht es aus Holz.
Auf dem 3D-Plan kann man auch in das Innere sehen: Zentral steht ein Ofen, das Ofenrohr führt nach oben aus dem Dach heraus, links ist eine Sitzgruppe, rechts das Bad und darüber ein Zwischengeschoss mit dem Schlafraum. In der Mitte ist die Küche. Daniel Allgeier:
"Wir verfolgen zwei Varianten. Wir verfolgen einmal das Tiny House auf dem Hänger, ist im Prinzip ein bisschen größer als der klassische Wohnwagen und auch ein bisschen schicker ausgebaut in dem Sinne, kannst du auch mit deinem Auto ziehen. Aber es ist eigentlich so schwer und so. Damit würde ich jetzt nicht in den Urlaub fahren in dem Sinne.
Sondern das Teil auf dem Hänger, das kannst du dir auf einem Campingplatz fest aufstellen oder auch deinen Bauplatz oder zum Kumpel irgendwo auf sein Gelände und kannst dann da Ferienhaus-mäßig drin wohnen. Kannst auch fest drin wohnen, dann brauchst aber wieder eine Baugenehmigung et cetera. Aber du hast trotzdem den Vorteil, dass du dir bezüglich Eigenheim, hast halt einfach nicht so viel Kohle-Aufwand."

Daniel Allgeier steht hinter dem Tresen in seiner Bürogemeinschaft. Oben in etwa dreieinhalb Meter Höhe auf einer breiten Galerie über dem Tresen sind die Schreibtische, hier unten finden die Besprechungen statt. Auch dieses sehr großzügige Büro hat er nach seinen Vorstellungen umgebaut. Holz dominiert, alles hat klare Linien. So ist auch das Tiny House designt:
"Wir haben es jetzt in keiner Weise neu erfunden, das sind immer Interpretationen. Wie du es empfindest. Es gibt viele, die machen es ähnlich. Grundsätzlich: Wir verfolgen den gesamtheitlichen Ansatz, dass es außen cool aussieht, dass es innen cool aussieht, und das ganze Ding gut zu nutzen ist. Und dann ist natürlich sau viel Geschmacksache mit drin. Und da sage ich jetzt mal, das ist dann halt unser Profil. So wie: Entweder dir gefallen unsere Arbeiten oder dir gefallen sie nicht."
Ein Mann mit T-Shirt steht vor einer Holzwand, auf der Blätter mit Bauentwürfen befestigt sind.
Wenn das alles nichts wird, dann soll das Tiny House eben die Altersvorsorge mit werden, sagt Daniel Allgeier.© Deutschlandradio / Manuel Waltz
Im Moment baut Daniel Allgeier eine Homepage auf und organisiert das Marketing. Dann will er sich darum kümmern, das Geld für einen Prototyp aufzutreiben, damit man ihn potenziellen Käufern zeigen kann.
"Und wenn das alles nichts wird, dann ist der Hintergrund, dass ich mein eigenes Tiny House als Altersvorsorge auf irgendein Baugrundstück stellen möchte."

Vorbereitung auf die Zeit nach der Pandemie

Auch Martin George und Daniel Wolle, beide 30 Jahre alt, haben sich etwas Neues überlegt, sie mussten und sie wollten es auch. Corona war der Auslöser. Sie stehen vor einem leeren Ladenlokal auf der Karl-Heine-Straße in Plagwitz, im Westen von Leipzig, einem Szeneviertel wie man sagt. Martin George:
"Wir hatten schon vor fünf Jahren noch mit einer Freundin zu dritt ein Catering gegründet und waren viel auf Festivals unterwegs im Sommer und haben da so Street Food verkauft und das haben wir auch eigentlich bis letztes Jahr noch gemacht. Bis dann das Saisongeschäft weggefallen ist, weil Festivals nicht stattgefunden haben. Aber in der Zeit ist die Idee schon mal aufgekommen, noch ein Ladenlokal zu eröffnen. Und letztes Jahr war es uns danach, das mal konkret anzupacken und da mal eine Idee und auch ein Konzept zu formulieren, wie wir das umsetzen könnten."
Vegetarisches und veganes Streetfood, das haben sie früher auf Festivals verkauft und das soll auch das Konzept für eine Kneipe auf der Karl-Heine-Straße sein. Es gibt hier sehr breite Gehwege, viele Menschen laufen die Straße entlang, flanieren. Hier würden sie gerne eröffnen.
"Das ist jetzt erst einmal die Wunschimmobilie", sagt Daniel Wolle und: "Wir haben uns mit dem Vermieter noch nicht geeinigt, aber die Karl Heine hier in Leipzig wäre unser Idealpflaster, wo wir das aufbauen wollen. Ja, wie es aussehen soll? Selbstgemacht, nicht zu durchdesignt, irgendwie aber trotzdem anziehend, mit einem schönen, großen Freisitz. Und na ja, wir wollen so einen Ort schaffen, wo man Lust hat, hier Bier zu trinken, nebenbei unser Essen zu essen. Das werden keine großen Gerichte sein, sondern eher mehr Sachen auf die Hand."
Gerade stehen sie viel in der Küche und probieren aus. Auf den Festivals haben sie immer das Gleiche serviert, weil es schnell gehen muss und es gut lief. Hier in einem festen Lokal könnten sie viel mehr variieren, hoffen die beiden.
Sie warten jetzt erst einmal ab, wie sich die Pandemie entwickelt und wenn Kneipenbesuche dann irgendwann wieder sicher möglich sind, dann wollen sie eröffnen, erzählt Martin George:
"Wir empfinden das auch ein bisschen als entspannt sozusagen. Wir können uns irgendwie gut positionieren, wenn es wieder losgeht und ich glaube, dass die Gastronomielandschaft wiedereröffnen wird und dass die Leute auch Lust drauf haben und vielleicht auch ein bisschen Geld zum Ausgeben zurückgehalten haben, steht, glaube ich, außer Frage. Und deswegen sind wir auch so optimistisch, dass wir das einfach auch so ein bisschen aussitzen können und dann hoffen, irgendwann eröffnen zu können, wenn die Situation sich verändert hat.

"Danach kann es gut laufen"

Die Yogalehrerin Clara Fischer in Leipzig, die seit dem ersten Lockdown halbtags in einem Start-up-Accelerator arbeitet, hat sich im vergangenen Jahr weiter umgeschaut, was sie noch machen kann. Yoga ging nicht. Deshalb hat sie sich noch ein anderes Standbein erarbeitet. Sie berät andere Start-ups, wie sie sich sozial und ökologisch gut aufstellen:
"Das ist dann letztes Jahr erst gekommen, in dieser Pandemiezeit, wo ich mir dachte: Ok, jetzt ist es noch wichtiger, dass wir auch darauf achten."
Über eine Onlinefortbildung hat sie eine Expertise zum Thema Nachhaltigkeit entwickelt und über verschiedene Onlineevents hat sie sich ein Netzwerk aufgebaut. Auch das ist in der Corona-Online-Welt möglich, so die Erfahrung von Clara Fischer:
"Inzwischen gibt es das eine oder andere Start-up, die sagen, ja, wir möchten das von Anfang an richtigmachen, uns ist das auch wichtig und dementsprechend habe ich angefangen, in diesen Bereich hineinzurutschen."
Das Ganze entwickelt sich gut, sagt sie, sie hat immer wieder neue Anfragen. Sie ist halbtags fest angestellt und in der übrigen Zeit arbeitet sie selbstständig. Eine gute Mischung aus Sicherheit und Eigenverantwortung sei das. Die Sicherheit gibt Clara Fischer die Ruhe, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen, auch jetzt, während der Corona-Pandemie.
"Wenn ich diese Feuerprobe bestehe, glaube ich schon, dass das dann auch danach sehr gut laufen kann. Ich merke einfach, auf persönlicher Ebene habe ich einfach einen besseren Kontakt zu Menschen. Es gibt ja Leute, die sind sehr, sehr froh, dass sie sich digital verstecken können auch, die sind vielleicht ein bisschen scheuer. Aber ich merke einfach, dass ich sehr gerne auf Leute zugehe und auch gerne ein Team um mich herum habe und gerne mit Leuten auch arbeite und ich glaube, dass das danach, wann auch immer das sein wird, wie auch immer das sein wird, dass das danach schon ganz gut laufen könnte und, ja, ich freue mich auch drauf."

Autor: Manuel Waltz
Sprecher: Oliver Urbanski
Regie: Roman Neumann
Technische Realisation: Hermann Leppich
Redaktion: Constanze Lehmann

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