Halluzinogene Pilze

Lassen sich schwere Depressionen im Rausch therapieren?

06:43 Minuten
Vier Psilocybin Pilze liegen auf einem neutralen Hintergrund.
Psilocybin ist ein Wirkstoff, der auch als Droge missbraucht wird und in sogenannten Zauberpilzen vorkommt. © imago / PantherMedia / Martina Kovacova
Von Maximilian Brose · 11.08.2022
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Psychotherapie und Medikamente: Diese gängige Kombination hilft vielen Menschen, die unter schweren Depressionen leiden. Aber was tun, wenn Antidepressiva nicht wirken? Der bewusstseinsveränderte Wirkstoff Psilocybin könnte eine Alternative sein.
„Schon seit zwei Jahren merkte ich, dass etwas nicht mit mir stimmte. Ich hatte starke Kopfschmerzen, lag Nächte lang wach, die Gedanken kreisten“, erzählt Christoph. Gedankenkreise um Ängste, Sorgen und das Gefühl, alles wird so schlecht ausgehen, wie nur irgendwie möglich. Depressionen können zu einem Sog werden, aus dem viele ohne professionelle Hilfe nicht rauskommen.
Christoph hat seine Erfahrungen der Deutschen Depressionshilfe berichtet. Er schreibt von der Erschöpfung, davon, dass er sich einsam und leer gefühlt hat. „Es war wie eine Faust, die mein Herz ständig umkrallte, und ich sehnte mich, alleine zu sein, nichts mehr zu spüren von den quälenden Gefühlen.“
Christoph findet nach einiger Zeit Antidepressiva, die bei ihm wirken. In Kombinationen mit einer Therapie bekommt er nach Jahren seine Depressionen in den Griff. Doch das gelingt nicht bei allen. Einige Depressionspatient:innen gelten als therapieresistent.

Was tun, wenn Antidepressiva nicht wirken?

„Von Therapieresistenz spricht man schon dann, wenn zwei Antidepressiva nicht wirksam waren. Die Patienten, die zu uns in die Studie kommen, die haben zum Teil sehr, sehr viel mehr, verschiedene Antidepressiva versucht zum Teil zehn oder auch mehr verschiedene Substanzen, zum Teil über Monate“, sagt Gerhard Gründer zu den Patient:innen seiner Studie.
Der Psychiater untersucht am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim zusammen mit der Charité Berlin gerade einen neuen Ansatz zur Behandlung hartnäckiger Depressionen, und zwar mit einer Substanz, die in Deutschland als illegale Droge eingestuft ist.

Die Patienten bekommen morgens ihre Kapseln so zwischen neun und zehn Uhr und dann dauert die ganze, wir sagen die psychedelische Reise, fünf bis sechs bis maximal acht Stunden. Das heißt, am späten Nachmittag ist in der Regel die Substanzwirkung abgeklungen.

Gerhard Gründer

Psilocybin – ein Wirkstoff aus Pilzen

Die Substanz ist Psilocybin. Der Wirkstoff aus sogenannten Zauberpilzen hat psychoaktive Effekte, die mit LSD vergleichbar sind. Die Wahrnehmung verändert sich, Sinneseindrücke werden gekoppelt, Halluzinationen sind möglich.
Damit das in einem sicheren Setting passiert, begleiten in der Studie zwei Therapeut:innen die Patient:innen. Sie bleiben nach der Einnahme in einem wohnzimmerartigen Therapieraum mit Musik.
Ihre Erfahrungen seien sehr unterschiedlich, sagt Gerhard Gründer: „Dass Patienten das Gefühl haben, sie sind eins mit dem Universum. Ihre Grenzen lösen sich auf, die erleben das als enorm beglückend, bis zu sehr angstbesetzt. Wir hatten einen Patienten, der am Ende des Tages gesagt hat, er habe acht Stunden den puren Horror erlebt.“
Der Patient sei aber durch Gespräche auf diesen Horrortrip, diese Komplikation vorbereitet gewesen. Nach anschließenden therapeutischen Sitzungen seien seine Depressionen verschwunden. Ein ähnliches Setting, also begleitete Psilocybin-Einnahme, die in eine Kurzzeittherapie eingebunden ist, untersucht eine Studie an der Universität Zürich.
Kathrin Preller forscht daran mit: „Wir hoffen, dass Psilocybin diesen therapeutischen Prozess stark unterstützen kann. Die genauen Mechanismen, wie das funktioniert, sind noch nicht ganz klar.“

Studien erforschen die genaue Wirkung

Dass Psilocybin bei schweren Depressionen hilft, deuten mehrere Studien der vergangenen 15 Jahre an. Allerdings: Es waren Untersuchungen mit wenigen Teilnehmenden.
„Die Studien, die jetzt im Moment durchgeführt werden, das sind klassische Phase zwei Studien. Da reden wir von etwa 60 Teilnehmern, von denen die Hälfte eben in die aktive Gruppe, also in die Psilocybin-Gruppe kommt, die andere Hälfte in die Kontrollgruppe“, erklärt sie.
An der Mannheimer Studie von Gerhard Gründer nehmen sogar 144 Depressionserkrankte teil. Beide Studien begleiten die Patient:innen langfristig. Kathrin Preller will so auch herausfinden, wie Psilocybin eigentlich gegen Depressionen wirkt.

Die Hypothesen zu dem klinischen Mechanismus reichen im Moment von rein biologischen Mechanismen wie eben Veränderungen in der Art und Weise, wie das Gehirn intern kommuniziert, zu Dingen wie induzierte Neuroplastizität, also ein erleichtertes Lernen oder Vergessen, bis hin zu mehr psychologischen Hypothesen.

Kathrin Preller

Am wahrscheinlichsten sei eine Kombination aus verschiedenen Mechanismen vermutet Preller. Aktuell werden schwere Depressionen in der Regel mit einer Kombination aus Therapie und Antidepressiva behandelt. Die werden aber häufig über einen langen Zeitraum genommen.
Bei einigen Erkrankten verlieren sie dabei ihre Wirkung, sagt Gerhard Gründer. Bei Psilocybin brauche es hingegen im Idealfall nur wenige Anwendungen: „Das ist ein ganz anderes Therapie-Paradigma: Ich versuche, einen Prozess, einen Veränderungsprozess in Patienten zu induzieren, der dazu führt, dass er eine Dauertherapie eben gerade nicht braucht.“

Warnung vor einem Hype

Tatsächlich gibt es seit Jahrzehnten kaum neue psychiatrische Ansätze zur Behandlung von schweren Depressionen. Das sieht auch Andreas Reif als Problem. Darum begrüßt der Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt die aktuellen Psilocybin-Studien.
Er selbst forscht nicht zu dem Pilzwirkstoff, sagt aber, dass seine Wirkung bei schweren Depressionen in der Wissenschaft ein heiß diskutierter Ansatz sei. Gleichzeitig warnt Reif vor dem Hype in Akademien und Medien. Der würde viele Hoffnungen wecken, von denen eventuell nicht alle erfüllt werden könnten.

Ich würde eher prophezeien, dass diese Substanzen sicherlich ihren Platz in unserem therapeutischen Arsenal finden werden. Aber es ist wahrscheinlich auch keine Wunderdroge, die alles und jedem hilft und von heute auf morgen die Welt vom psychischen Leid befreit.

Andreas Reif

Auch Gerhard Gründer und Kathrin Preller sagen, dass es weitere Studien brauche. Um etwa zu klären, ob Psilocybin tatsächlich besser wirkt als andere Psychopharmaka.
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