Kibbuz-Neugründung in Israel

Aufbruch in der Wüste

07:14 Minuten
Ein gutes Dutzend Menschen lacht in die Kamera. Hinter ihnen breitet sich die hügelige Negevwüste aus: mit ihren braunen Steinen und unendlichen Mengen von Sand.
Gründergeist in der hügeligen Negevwüste: Hier soll ein neuer Kibbuz entstehen. © Neri Shutan
Von Judith Poppe · 18.01.2023
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Die letzte Gründung eines Kibbuz in Israel ist rund 25 Jahre her. Jetzt soll ein neuer gebaut werden – nahe der Stadt Arad in der Wüste Negev*, nicht auf besetztem Gebiet. Dass es ein säkularer Kibbuz werden soll, könnte die Genehmigung erschweren.
Neri Shutan sitzt in seinem Büro der Kibbuzbewegung in Yakum, einem Kibbuz etwas nördlich von Tel Aviv. Er ist der politische Koordinator der Organisation – in seinen Händen liegt derzeit eine große Aufgabe: Die Gründung des ersten neuen Kibbuz seit rund 25 Jahren.
Shutan holt sein Handy hervor und sucht nach einem Foto des Ortes, an dem in der Zukunft die Häuser des Kibbuz stehen sollen. Ein gutes Dutzend Menschen lacht in die Kamera. Hinter ihnen breitet sich die hügelige Negevwüste aus: mit ihren braunen Steinen und unendlichen Mengen von Sand. „Nichts. Überhaupt gar nichts gibt es hier. Nur Sand und Sand und Sand. Hier ist ein Militärstützpunkt. Sonst nichts. Das war‘s“, sagt er.
Neri Shutan im Büro der Kibbuzbewegung in Yakum.
Neri Shutan im Büro der Kibbuzbewegung in Yakum - in seinen Händen liegt derzeit die große Aufgabe der Neugründung des Kibbuz.© Judith Poppe
Die damalige israelische Regierung beschloss im Jahr 2011, dass fünf Wohnansiedlungen in der Nähe der Wüstenstadt Arad entstehen sollen. Die Kibbuzbewegung meldete Interesse für eine davon an – doch viele Jahre zogen ins Land, bis die Regierung unter dem letzten Ministerpräsidenten Yair Lapid schließlich im März des vergangenen Jahres das OK gab.

Keine illegale Siedlung

Dem Kibbuzmanager Shutan ist wichtig zu betonen, dass die neue Ansiedlung nicht im besetzten Westjordanland gelegen ist – mit einer nach internationalem Recht illegalen Siedlung jenseits der grünen Linie hat sie also nichts zu tun.
In der Negevwüste leben rund 160.000 Beduinen. Das Verhältnis zwischen ihnen und den jüdischen Israelis der Gegend ist mitunter angespannt. Die Kibbuzbewegung will einerseits jüdische Ansiedlung in den Gebieten bestärken und gleichzeitig ein gutes Verhältnis zu den arabischen Beduinen in der Negevwüste aufbauen. Und so haben Shutan und seine Kollegen zuvor gründlich geprüft, dass das Gelände für den Kibbuz nicht auf Privatland von Beduinen liegt. In dem Bauprojekt ist auch eine Wohnsiedlung für Beduinen eingeplant, außerdem eine für Ultraorthodoxe.

Aufbau ist harte Arbeit

Doch es gibt nicht nur diese politischen Herausforderungen. Der 40-jährige Shutan ist selber in einem Kibbuz im Zentrum Israels aufgewachsen und als junger Erwachsener in einen gerade gegründeten Kibbuz gezogen. Er weiß um die Schwierigkeiten, die eine solche Neugründung mit sich bringt.
„Eine neue Ansiedlung aufzubauen ist sehr, sehr hart. Besonders wenn man vorher in der Stadt gelebt hat. Wenn man dann aufs Land zieht, muss man plötzlich an solche Dinge denken wie daran, dass es einen Wächter am Eingangstor geben muss, jemand aus der Gemeinschaft wird das machen müssen. Man muss das Gras mähen. Ich glaube, es wird hart, auch weil in der Wüste harte klimatische Bedingungen herrschen. Aber das Ganze steckt eben auch voller Möglichkeiten. Beim vergangenen Treffen hat der Direktor der Kibbuzbewegung gesagt, dass das Einzige, was er versprechen kann, dies ist: ‚Tränen, Schweiß und Sand.‘ Den Rest müssen sie selber aufbauen.“

Zusammenhalt als A und O

Die Kibbuzbewegung wird den zukünftigen Bewohnern der neuen Ansiedlung bei all dem zur Seite stehen. Nicht zuletzt auch bei der Bildung der Gemeinschaft. Denn das A und O eines jeden Kibbuz – so Shutan – sei der Zusammenhalt der Gemeinschaft.
Ashchar Ben Hur scheint genau der Richtige für dieses Projekt. Der 30-Jährige lebt in einer Wohngemeinschaft in Afula, einer Stadt im Norden Israels.
Porträt von Ashchar Ben Hur
Ashchar Ben Hur ist in einer Kulturbewegung aktiv, die den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft durch Kultur und Kunst stärken möchte, insbesondere in der Peripherie des Landes. © Judith Poppe
Im Wohnzimmer seiner WG, in der auch seine Frau und ihr gemeinsamer dreijähriger Sohn leben, steht ein Klavier für den Musiker. Der Projektmanager für Ausbildungsformate für arabische Jugendliche ist seit mehr als zehn Jahren in der sogenannten Tarbut-Bewegung aktiv, auf Deutsch: „Kulturbewegung“. Die Bewegung will den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft durch Kultur und Kunst stärken, insbesondere in der Peripherie des Landes.

Geteilte Ökonomie

Tarbut ist eine von drei Organisationen, die den zukünftigen Kibbuz stemmen sollen. Neben Tarbut die sozialistische und zionistische Jugendorganisation HaShomer Hatzair und ein Zusammenschluss junger Kibbutznikim.
„Schon seit Jahren versuchen wir in der Peripherie mit der Tarbut-Bewegung über Kunst und Kultur Menschen zusammenzubringen und Gruppen für alle Altersstufen zu gründen. Hier bietet sich jetzt diese Möglichkeit, das auszuweiten und die Infrastruktur dafür zu schaffen. Wir können dort alternative Formen von Bildungsinstitutionen aufbauen und Unternehmen, die ökonomisch anders funktionieren. Für all das sehe ich die Möglichkeit dort.“
Ben Hur weiß, was geteilte Ökonomie in der Praxis bedeutet. Die Tarbut-Bewegung hat – mit unterschiedlichen Abstufungen – eine gemeinsame Kasse. Tausende von Menschen sind daran beteiligt.

Herzstück der zionistischen Linken

Die israelischen Kibbuzim waren lange das Herzstück der zionistischen Linken. Doch ihre sozialistische Lebensform hat in ihrer gut einhundertjährigen Geschichte zahlreiche Veränderungen durchgemacht. Ende der 1970er-Jahre beschlossen die Kibbuzim, die Kinder zum Schlafen aus den Gemeinschaftshäusern in die elterlichen Wohnungen zurückzuholen. Einige Jahre später sorgte die Wirtschaftskrise auch für einen ökonomischen Privatisierungsschub, viele der Wohnungen wurden schließlich auch privatisiert.

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Wie genau der zu gründende Kibbuz organisiert sein wird – ob als Modell der klassischen Kibbuzim oder als erneuerte Version – entscheiden die Gründer selbst. In diesem Monat wird das erste gemeinsame Treffen mit allen Beteiligten stattfinden.

Regierung muss Pläne bewilligen

Ob der Kibbuz in Arad ein Neuanfang für die Kibbuzbewegung sein kann, hängt nun auch von der neuen, extrem rechten Regierung ab. Die muss die Pläne erneut bewilligen.
Es ist ein hartes Ringen, schließlich ist es ja kein Geheimnis, dass Israel derzeit von einer rechten Regierung geführt wird. Sie wollen ihre eigenen Leute unterbringen, vor allem religiöse. Und wir bauen einen säkularen Kibbuz. Es ist also schwer, ein Kampf. Aber wir werden ihn gewinnen“, ist Neri Shutan überzeugt.
*Eine Ortsbezeichnung wurde korrigiert.
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