Neues Wanda-Album "Niente"

Auf der Suche nach einem besseren Leben

Die Wiener Band Wanda an einem Teich sitzend.
Mit Niente legt die Wiener Band Wanda in diesem Herbst das dritte Album in vier Jahren vor. © Wanda/Wolfgang Seehofer
Marco Michael Wanda im Gespräch mit Dirk Schneider · 06.10.2017
Er habe lange verzweifelt versucht, ein Leben aufzubauen, sagt Sänger Marco Michael Wanda. Spätestens jetzt dürfte er es geschafft haben: Mit seiner Band Wanda legt er das dritte Album in vier Jahren vor. Von Energieverlust keine Spur.
Dirk Schneider: Marco Michael Wanda, schön, dass Sie da sind, hallo!
Marco Michael Wanda: Auch schön, dass ich Sie begrüßen darf!
Schneider: Die Müllverbrennungsanlage Spittelau, das ist so ein Riesenkasten, vom Künstler Friedensreich Hundertwasser gestaltet, mit einem gigantischen Schornstein, der mit so einer großen goldenen Kugel verziert ist, und der sieht eigentlich eher aus, wie man sich den Fernsehturm einer chinesischen Provinzhauptstadt vorstellt. Vor diesem Turm posieren Sie jetzt, auf dem Cover Ihres neuen Albums mit dem Titel "Niente". Warum haben Sie sich dieses Motiv ausgesucht?
Wanda: Ich habe "Die unendliche Geschichte" gelesen zu der Zeit, die mir unser Bassist, der Ray, geschenkt hat – also ein Buch, das ich auch in meiner Kindheit aufgesogen habe –, und war besessen von dieser Idee, dass Fantasielosigkeit versus Intellekt oder Angst und Verdrängung und all diese Themen, die da angeschnitten werden, und das Ursymbol war dieser Elfenbeinturm, dieser letzte Ruhepunkt, um den herum Fantasien vom Nichts in der Geschichte verschlungen wird. Das wollten wir damit nicht ausdrücken, aber abbilden.
Schneider: Als Traum, träumen Sie sich in diesen Turm hinein oder sind Sie da oder wie steht dieser Turm zu Ihnen?
Wanda: Sagen wir es mal so, es war eine blödsinnige Idee von 100, die ich am Tag habe. Also es nichts Bestimmtes oder so.

Prägnante, leidenschaftliche Texte

Schneider: Dass Sie viele Ideen am Tag haben, das ist mir jetzt auch schon klar geworden. "Niente" ist Ihr drittes Album in vier Jahren, und das ist nicht irgendein Album, sondern es ist ein Wanda-Album, also ein Album, von dem man großartige, intensive Songs erwartet mit prägnanten, leidenschaftlichen Texten. Wenn es das nicht liefert, ist es eigentlich nichts. Es ist Ihnen schon wieder gelungen, und das ist, glaube ich, eine große Leistung, also das: in so kurzer Zeit drei Alben mit dieser Energie zu schaffen. Kommt Ihnen das selbstverständlich vor, also kommen die Songs so leicht zu Ihnen wie sie klingen?
Wanda: Diese Songs kann ich nur schreiben, weil ich von diesen vier fantastischen Menschen umgeben bin. Also das ist der einzige Grund, warum es diese Songs gibt. Wenn wir fünf uns nicht gefunden hätten, dann würde ich ganz andere Lieder schreiben, und ich glaube, sie wären wesentlich, wie sagt man, befindlicher oder so. Sie wären nicht so clever und nicht von so viel Leidenschaft getragen.
Die österreichische Band Wanda auf einer Veranda sitzend.
Leidenschaftlich aber niemals selbstzerstörerisch: die Wiener Band Wanda.© Wanda/Wolfgang Seehofer
Schneider: Diese Leidenschaft, wie funktioniert die innerhalb der Band, also auch über so einen langen Zeitraum? Das stelle ich mir … Das ist nicht selbstverständlich. Wie halten Sie es am Leben?
Wanda: Weil wir es am Leben halten, sind wir die größte Rock’n’Roll-Band im deutschsprachigen Raum. Also das ist der Grund. Rock’n’Roll ist Freundschaft, ist Verpflichtung, ist die Suche nach einem besseren Leben. Damit meine ich nicht sozialen Aufstieg, aber nach einem besseren Leben auf jeden Fall.
Schneider: Sie haben mal in einem Interview gesagt, Sie hätten früher immer verzweifelt versucht, ein Leben auf die Beine zu stellen. Das klingt so, als hätten Sie dieses Leben jetzt gefunden. Wie war das früher, also was wollten Sie, wonach haben Sie gesucht?

Die Rückspiegel abmontiert

Wanda: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, die Rückspiegel sind abmontiert mittlerweile. Ein Rückblick ist dann doch schwierig. Ich habe mich versöhnt mittlerweile mit meinem Leben vor dieser Band, aber ja, es hat sich nicht wie ein vollständiges Leben angefühlt. Alles, was ich jemals wollte, war, von lieben Menschen umgeben, Musik zu machen.
Schneider: Wenn man sowas erreicht, das ist ja auch immer das Schwierige, glaube ich, in der Kunst, in der Popmusik natürlich. Also man hat diese Sehnsucht, man möchte wohin, und davon ist ja auch ganz viel getragen, von dem, was man dann auch macht künstlerisch. Sie haben es jetzt erreicht. Ist das nicht auch ein Problem? Sie wollen ein tolles Leben, haben Sie das nicht eigentlich, und ist das dann nicht schwierig, diese Energie noch aufzubringen?
Wanda: Nein, ich habe das tolle Leben, und ich möchte es pflegen. Ich möchte es am Leben erhalten, dieses Leben. Im Gegenteil: Wissen Sie, wenn man zehn Jahre Musik macht in einer Stadt wie Wien im Anfang der 2000er-Jahre, wo sich – verzeihen Sie mir – kein Arsch für die Szene interessiert hat und keine Journalisten, keine Radios, keine Plattenfirmen, wenn man aus diesem Sumpf rauskommt, dann setzt das eine kreative Kraft frei, auf der wir für immer surfen werden.
Schneider: Jetzt gibt es natürlich auch Kritiker, die sagen, Ihre Songs, die sind zu einfach, eingängig, manche bezeichnen es als Schlager, was Sie machen, oder bezeichnen Ihre Musik schlicht als banal. Was entgegnen Sie solchen Vorwürfen?
Wanda: Das ist mein Gesellschaftsauftrag. Ich stelle meine Arbeit der Öffentlichkeit zur Verfügung, und der eine versteht es falsch und der andere richtig.

Moderne Klassiker

Schneider: Das Tolle an Ihren Songs ist, dass Sie einen in dem Moment, in dem man Sie zum ersten Mal hört, eigentlich vorkommen wie Klassiker. Man denkt beim ersten Mal ganz oft schon, das ist ein Evergreen, als hätte man diesen Song schon ganz oft gehört, was natürlich auch damit zu tun hat, dass Sie musikalisch jetzt keine großen Experimente wagen, Sie bauen auf klassische Songstrukturen, Gitarrensolo darf es auch mal sein. Gibt es eigentlich nie diese Momente, wo einer in der Band dann mal sagt, ey, wollen wir nicht mal was Neues ausprobieren, wollen wir nicht mal experimentieren?
Wanda: Zunächst mal herzlichen Dank für das Kompliment. Dass meine Arbeiten zu meiner Lebzeit Klassiker genannt werden, rührt mich fast zu Tränen.
Schneider: Ist aber ganz ehrlich so gemeint.
Wanda: Unglaublich, vielen Dank dafür! Was war die Frage? Der emotionale Moment hat mich jetzt …
Schneider: Ich habe jetzt natürlich das vergiftete Kompliment, das berühmte … Also Klassiker, große Songs, zeitlos ist ein doofes Wort dafür. Auf der anderen Seite kann man dann auch sagen, dass Sie musikalisch auch nichts groß ausprobieren, dass Sie nicht experimentieren. Gibt es nicht manchmal die Stimmen in der Band, die sagen, jetzt haben wir wieder so klassische Songstruktur gemacht, funktioniert super, aber wollen wir nicht mal ein Stück machen, das, weiß ich nicht, acht Minuten dauert und ein bisschen experimentell ist oder ist das gar nicht Ihr Ding?
Wanda: Unser Beruf besteht aus zwei Sphären, und die eine ist eine ganz klassische, wie Sie sagen, Arbeit im Tonstudio mit klassischen Songstrukturen, und die andere Sphäre ist der Kontakt zum Publikum und die Freiheit einer Bühnenperformance. Den Rekord haben wir mit einer 30-Minuten-Improvisation bis jetzt gezählt. Also da machen wir uns auf die Suche nach einer anderen musikalischen Kommunikation untereinander, nach einer vertieften Kommunikation, die aber auch unsere Freundschaft bedient in Wahrheit, und am Ende das Publikum. Das muss man geteilt sehen eigentlich.

Die Kerze an beiden Enden anzünden

Schneider: Sie sind jetzt 30. Bedeutet Ihnen diese Zahl irgendwas?
Wanda: Nein. Eigentlich nicht, aber ich bin halt nicht mehr 24. Das kann man schon sagen.
Schneider: Sie sind auch ein bisschen der Typ, würde ich sagen, der vielleicht gerne die Kerze an beiden Enden anzündet oder stimmt das nicht? Denkt man das nur bei Ihrer Musik, weil wenn man Sie im Gespräch hört, sind Sie ja auch eigentlich immer sehr, ich weiß nicht, also sehr geerdet.
Wanda: Das kann daran liegen, dass ich die Kerze gestern Nacht dann an beiden Enden verbrannt habe!
Schneider: Was haben Sie gestern gemacht?
Wanda: Wenn man den ganzen Tag Interviews gibt, dann stolpert man in diverse Cocktails natürlich am Ende.
Schneider: Dann wird das heute Abend wahrscheinlich auch wieder so aussehen.
Wanda: Heute gehe ich schlafen. Irgendwann muss ich auch schlafen!

Der Tod als sechstes Bandmitglied

Schneider: Okay, auch Sie gehen schlafen. Der letzte Song auf Ihrem neuen Album heißt "Ich sterbe". Der Wiener und der Tod, das ist so ein legendäres Verhältnis, über das ich jetzt auch nicht so viel weiß, da ich noch nie in Wien war, aber der Journalist Rainer Reitsamer, der hat einen sehr schönen Begleittext zu Ihrem Album geschrieben, und darin sagt er, der Sensenmann sei das sechste Bandmitglied bei Wanda. Liegt er da richtig?
Wanda: Ich habe mehr das Gefühl, "Ich sterbe" ist gemeint als "ich sterbe vor Lachen". Am Ende dieser Platte habe ich mir einen Witz erlaubt.
Schneider: Trotzdem, der Tod spielt bei Ihnen eine Rolle. Also ist das auch ein …
Wanda: Ja, als Gegenspieler. Insofern ist das gar keine abwegige Deutung, das zumindest ein Bandmitglied zu nennen, diesen Sensenmann oder was auch immer das in seiner Symbolik sagen will, aber ja.
Schneider: Hatten Sie auch schon mal den Moment, wo Sie dachten, jetzt wird es gefährlich, jetzt verbrenne ich mich vielleicht doch, jetzt gehe ich zu weit?
Wanda: Nein, eigentlich nicht. Nein, das nicht. Ich bin ja nicht selbstzerstörerisch. Das bin ich nicht. Ich versuche, Leidenschaft zu entfesseln, und es geht um positive Dinge. Es geht bei Wanda um positive Dinge. Wir wollen überleben, und wir wollen Menschen Angst nehmen, und wir bieten nur etwas an. Das ist alles.
Schneider: Marco Michael Wanda, vielen Dank für das Gespräch!
Wanda: Danke Ihnen vielmals!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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