Neues Stück "Endlose Aussicht"

Ferien auf dem Seuchendampfer

10:49 Minuten
Ein Kreuzfahrtschiff mit seinen beleuchteten Decks (Symbolbild).
In Theresia Walsers Stück "Endlose Aussicht" wird ein Kreuzfahrtschiff für die Teilnehmer gleichsam zum Gefängnis. © Dan Kb/ Unsplash
Theresia Walser im Gespräch mit Janis El-Bira · 29.08.2020
Audio herunterladen
Enge Räume ohne Außen: Für Dramatikerin Theresia Walser können Räume einsperren. Ihr neuestes Stück spielt in der Kabine eines Kreuzfahrtschiffs. Protagonistin Jona muss dort in ihre eigenen Abgründe blicken. Das gilt auch für uns als Zuschauende.
Ganz zu Beginn der Corona-Pandemie hörte man immer wieder von Kreuzfahrtschiffen, die auf offener See unter Quarantäne gestellt wurden, weil Passagiere an Covid-19 erkrankt waren. Über diese gespenstische Situation hat Theresia Walser, Dramatikerin und Theaterexpertin für das Groteske des Alltags, nun ein Stück geschrieben. "Endlose Aussicht: Ferien auf dem Seuchendampfer" heißt der Monolog einer Frau, die in ihrer fensterlosen Einzelkabine ausharrt, während sich im Bug des Schiffs die Leichen stapeln – aber oben die Büffets noch immer voll sind. Kommende Woche ist Uraufführung beim Kunstfest in Weimar.

Keine Tagesausflüge, null Service

Wie muss man sich das vorstellen, wenn das Luxus-Vergnügen Kreuzfahrt plötzlich von einer Seuche eingeholt wird? Dazu sagt Theresia Walser im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur:
"Erst mal ist die Situation ja: Mitten im karibischen Urlaubsfeeling muss man plötzlich in seiner fensterlosen Kabine ausharren, und das Gesetz ist plötzlich ganz anders als erwartet. Nämlich: Stay in your cabin. Es gibt auch keine Tagesausflüge mehr – nicht der sonst erwartete Service. Das ist plötzlich alles unterbrochen und aus den zehn Tagen Karibik, die man eigentlich vorhatte, wird eine Endlosigkeit."
Immer wieder lässt Walser ihre Protagonistin, Jona, in dieser "Endlosigkeit" über ein Zitat Blaise Pascals reflektieren: "Das ganze Unglück der Menschheit rührt daher, dass es der Mensch nicht mit sich allein in einem leeren Zimmer aushält." Ein Satz, der für Walser "auf erschreckende Weise ganz konkret" werde.

Kreuzfahrt als koloniales Motiv

Walser, die ihre Stücke häufig in engen, geschlossenen Räumen als Welt ohne Außen anlegt, war auch in "Endlose Aussicht" wieder von den theatralen Möglichkeiten des Eingesperrtseins fasziniert:
"Das ist erst mal eine wunderbare Theatersituation von Monolog, dass eine Figur nicht mehr aus ihrer Kabine oder aus ihrem Zimmer darf und sich sozusagen die Welt hineinholen muss. Und das, was vielleicht dieser Satz von Blaise Pascal einklagt, dass der Mensch es nicht aushält mit sich selbst und sozusagen immer seinem eigenen Abgrund zu begegnen ausweicht, das passiert ja zwangsläufig mit so einer Figur in einer Kabine."
Das Motiv der Kreuzfahrt ist dabei für Walser eines, dessen ganze Dimension in der Coronakrise besonders durchsichtig wird:
"Es ist ja auch sehr bezeichnend, dass im Moment durch diese Situation, in der wir sind und in der die Welt ist, die Gesellschaft auch anders in ihre Abgründe blicken muss – weil die buchstäblich ganz anders zutage kommen. Und ich glaube, so eine Kreuzfahrt mit diesen 5.000 Leuten auf diesen riesen Maschinen spiegelt ja in einer Weise immer noch koloniale Verhältnisse.
Man denkt: Zuletzt waren die vor 300 Jahren so und die sind da auf eine Weise erhalten geblieben, aber das mit so einer vollkommen ungebrochenen Normalität. Als gehöre das sozusagen zum Urlaubsfeeling dazu! Wenn die da so wie Inseln, die nicht mehr anlanden können, auf dem Meer herumtreiben. Mal dahingestellt, was für Verschmutzung sie auch noch anrichten. Wie unangenehm sich das auf einmal deutlich zeigt in dieser Krisensituation!"

"Endlose Aussicht: Ferien auf dem Seuchendampfer" wird in der gemeinsamen Regie von Theresia Walser und der Schauspielerin Judith Rosmair am 3. September beim Kunstfest Weimar uraufgeführt.

Mehr zum Thema