Neues Album von Rammstein

Fast so reaktionär wie Helene Fischer

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Bandfoto mit Till Lindemann und seinen Kollegen.
Sänger Till Lindemann und Kollegen: Unser Musikkritiker Andreas Müller ist vom neuen Rammstein-Album etwas enttäuscht. © Universal Music / Jens Koch
Andreas Müller im Gespräch mit Vivian Perkovic · 17.05.2019
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Seit 25 Jahren exportieren Rammstein ihren provokanten Teutonen-Metal in die Welt. Ihr neues, unbetiteltes Album findet Musikkritiker Andreas Müller mittelmäßig. Was im Feuilleton über die Band geschrieben werde, sei viel interessanter als die Musik.
Vivian Perkovic: Zehn Jahre keine Rammstein-Platte, brauchen die Geld? Wahrscheinlich nicht. Warum machen sie es dann? Und brauchen wir so ein Album?
Müller: Die Fans, und das sind sehr viele, brauchen diese Platte ganz sicher. Die Band hätte aber auch, wie die andere wichtige und große deutsche Band, Kraftwerk, eigentlich mit dem bereits vorhandenen Material immer wieder touren können. Das ist auf den ersten Blick nicht viel, das siebte Album in 25 Jahren. Das hätte völlig ausgereicht, denn es ist das Live-Spektakel, das einen Rammstein wirklich erleben lässt. Und im Prinzip ist das Stück "Rammstein" auch längst auserzählt. Die neue Platte, auf deren Hülle man nur ein dürres Streichholz sieht, fügt dem eigentlich nichts Essentielles oder Neues hinzu.
Perkovic: Außer, dass sie Brandstifter sind, mindestens für den öffentlichen Diskurs. Das hat auch jetzt wieder geklappt, mit der Single "Deutschland". Da wirft man Sänger Till Lindemann und seinen Begleitern eine Verhöhnung des Holocausts vor, weil sie sich selber als KZ-Häftlinge inszenieren. Ist das schlimm? Ist das nicht das Gleiche wie immer?
Müller: Ja, Sie sagen es. Es ist eigentlich wie immer. Die Empörung über "Deutschland" entzündete sich am Trailer für den Song und da äußerten sich sofort jede Menge Menschen, die das ganze Video nicht gesehen hatten.

Die relevanteste deutsche Pop-Band

Perkovic: Und auch noch nicht sehen konnten, weil nur ein Ausschnitt veröffentlicht wurde.
Müller: Es wäre vernünftig gewesen zu warten, bis wir das ganze Ding sehen können. Das hat aber keiner gemacht. Das sagt aber weniger über die Band aus, als über den, nennen wir es mal: Journalismus im digitalen Zeitalter, der sofort hyperventiliert, Meinung rausschiebt und dann auch schnell unscharf wird und Debatten völlig verhindert. Wir müssen zunächst mal eins verstehen: Rammstein ist Pop. Sie sind vielleicht die einzige relevante Pop-Band, die es in Deutschland gibt. Pop folgt eigenen Gesetzen. Gleichzeitig ist das ein Musiktheater, vielleicht sogar ein Kasperletheater für Erwachsene, das sich einer Avantgarde-Ästhetik der 1920er-Jahre bedient. Was so weit geht, dass es bei den Konzerten der Band keine Video-Wände gibt. Man guckt auf den Kasten der Bühne, aus dem immer wieder Feuer spuckt und so weiter.
Ich bin in dem Moment auch ganz beim Besucher des Schmuddel-Kinos der 20er-Jahre in Berlin, der sagt: "Für zwej Groschen lass ick ma jerne mal an meine niedrigen Instinkte appellieren!" Interessant finde ich noch, dass die Kritik einem Sänger wie Till Lindemann nicht das literarische Ich zubilligt und meint, der Mann betreibe das, was er da besingt, in der Realität den ganzen Tag. Das ist seltsam.
Perkovic: Naja gut, aber in Zeiten wie diesen so ein Snippet erstmal vorzuschicken, das ist kalkuliert. Ich weigere mich, aus Langeweile, nicht in diese Hysterie einzusteigen, aber ich finde es trotzdem billig und auch zynisch, damit einen Skandal erstmal zu provozieren, nur um Aufmerksamkeit, vermutlich, für dieses neue Album zu generieren.
Müller: Aber das hat die Band ja perfektioniert. Einerseits so eine plumpe, stumpfe Provokation, aber gleichzeitig auch vieles im Unklaren lassen. Es hieß sofort, es handele sich um Auschwitz-Häftlinge. Im Film sieht man dann: Es geht um Mittelbau-Dora. Das ist ein essenzieller Moment in der deutschen Geschichte, was da passiert ist. Die Vernichtung von Menschen, gleichzeitig die Entwicklung von modernster Raketentechnik. Da kommt sehr viel zusammen. Und dieses Unklare ist eigentlich immer in der Lage gewesen, Debatten anzustiften und zu betreiben. Das scheint heute nicht mehr möglich zu sein. Vor zehn Jahren, als die letzte Platte erschienen ist, gab es kein Facebook und kein Twitter. Da liefen die Dinge noch ein bisschen anders. Ich finde daran richtig, dass sich tatsächlich mal wieder mit Sachen auseinandergesetzt wird. Das ist etwas, was ich der Band auch zuschreiben möchte.

Dicke, mitreißende Gitarren-Riffs

Perkovic: Aber sie selber stehen gar nicht bereit für diese Auseinandersetzung, oder?
Müller: Müssen sie auch nicht. Sie sind Musiker, Künstler, sie haben das Produkt, die liefern die Kunst und daran kann man dann sehen, wie man damit umgeht. Darüber kann man diskutieren oder auch nicht. Ich verlange auch nicht von irgendeinem Mick Jagger, dass er mir die Welt erklärt oder dass ich mit dem über irgendeinen seiner Texte reden muss. Das ist ein ganz seltsamer Ansatz, den ich völlig verfehlt finde.
Perkovic: Naja, wenn man mit politischem Material zündelt, müsste man sich da vielleicht auf eine weitere Auseinandersetzung einlassen, finde ich. Aber gucken wir auch mal auf die Platte. Musikalisch, was ist da los?
Müller: Es gibt eine Veränderung, graduell, zu leicht technoiden Sounds. Die Produktion ist großartig, es sind die Riff-Meister am Werk. Dn beiden Gitarristen fallen immer noch unfassbar dicke, mitreißende Riffs ein. Der Sound ist, wie es sich gehört, auch überwältigend. Das muss so sein. Und sie setzen da auch wieder Maßstäbe, wie ich finde. Inhaltlich wird das übliche Repertoire abgearbeitet, in den typischen Lindemann-Reimen, die oft mit Gegensätzen arbeiten und Raum für Interpretationen lassen, wenn man die will. Interessant ist aber ein Lied, das sehr klar sagt, um was es geht: "Zeig Dich", da geht es um den Machtmissbrauch der katholischen Kirche. Es geht explizit um den sexuellen Missbrauch an Kindern. Und da ist Lindemann sehr eindeutig, finde ich.
Das ist eindeutiger als vieles, was er bisher gemacht hat. Das könnte tatsächlich auch so eine Mutmacherhymne werden für junge Menschen, oder vielleicht auch ältere Menschen, die sich bislang noch nicht getraut haben, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Wobei das "Zeig Dich" hier eine Referenz zum Exorzisten ist, der Satan soll sich zeigen. Ohnehin hat die Platte viele Pop-Zitate, vor allem eigene. "Sonne" wird zitiert, aber auch "Marmor, Stein Und Eisen Bricht" taucht auf. Die wissen schon auch um die Pop-Geschichte.

Fast so reaktionär wie Helene Fischer

Perkovic: Also?
Müller: Ich finde im Prinzip, was darüber im Feuilleton geschrieben wurde über diese Platte, fast interessanter als das Album selbst. Wie hier Kunst verhandelt wird, wie hier der Skandal gesucht wird, der an jedem x-beliebigen deutschen Stadttheater ständig stattfindet: Blut, Kot, Sperma, Tabubrüche, die ganze Palette des Regietheaters, wie sich empört wird. Ich finde fast jeden Text einer Helene Fischer viel problematischer, weil das wirklich reaktionärer ist als Lindemanns Dunkelmann-Rolle. Wenn er im Song "Sex" über Sex singt, dann ist die Reaktion so, als gäbe es Millionen von Porno-Filmchen nicht, die auf dem Rechner gerade mal zwei Klicks entfernt sind. Ganz, ganz seltsam.
Nach einer richtig guten ersten Hälfte muss ich inzwischen sagen, das ist eine richtig gute Reihe von Songs, nach sechs Songs bricht das Energielevel etwas ab. Ich habe manchmal das Gefühl, sie würden nicht mehr mit der großen Begeisterung ihre Rollen spielen. Es wird abgearbeitet, was da noch an üblichen Rammstein-Themen da ist. Aber bald kommen die Live-Shows und die sind, wie gesagt, der Ort, wo die Band am besten zu erleben ist. Allerdings: Alle Stadien sind bereits ausverkauft.
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