Neuerungen in der Arbeitswelt

Datenbrille statt Handbuch

Ein Mann schaut am 26.04.2016 auf der Hannover Messe in Hannover (Niedersachsen) am Stand von Konica Minolta durch eine Datenbrille zur Unterstützung von Produktions- und Lagerprozessen. Die Industriemesse geht vom 24.04.2016 bis zum 29.04.2016. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Im Arbeitsleben kommen immer häufiger Datenbrillen zum Einsatz - Forscher wollen immer bessere Modelle entwickeln. © dpa / picture alliance / Sebastian Gollnow
Von Dirk Asendorpf · 16.06.2016
Datenbrillen erobern allmählich das Arbeitsleben: etwa in der Logistik, in der Produktion oder bei Wartungs- und Reparaturarbeiten. Besonders geeignet sind sie dort, wo die Arbeit freie Hände verlangt - zum Beispiel in der Gondel einer Windkraftanlage.
Ich stehe am Eingang zum Turm eines 80 Meter hohen Windrads. Neben mir der Wartungsmitarbeiter Georg Rudolph. Bevor wir aufsteigen schnallt er sich einen Rucksack mit Werkzeug auf den Rücken und verzurrt unsere Klettergurte.
"Links neben der Leiter sind rosafarbene Ösen, da kann man sich anschlagen. Wenn man ausrutscht, wenn man fällt, wenn man ohnmächtig wird, hängt man gesichert in der Leiter und kann dann von unten gerettet werden. Kleiner Tipp noch, ich mach das mal eben vor: Wer durch den Turm geht, der sollte nicht versuchen, sich wie in ner Gartenleiter mit den Händen hochzuziehen, sondern man kann sich nach hinten beugen, das System hält."
Auch bei der Arbeit an Getriebe oder Generator hoch oben in der engen Gondel hätte Georg Rudolph gerne beide Hände frei. Doch bisher braucht er schon eine, um das Wartungshandbuch zu halten. Der Ingenieur Frank Bischoff erklärt mir, warum:
"Weil die Windkraftanlagen-Hersteller keine Normung haben und weil es eben eine so unendlich große Menge gibt an Windkraftanlagen, in der sich jemand auskennen muss."

Forschungsprojekt der Universität Bremen

Abhilfe soll jetzt eine Datenbrille schaffen. "Augmented Reality Maintenance System" – "Wartungssystem mit erweiterter Realitätswahrnehmung" – so heißt das Forschungsprojekt, in dem Frank Bischoff zusammen mit dem Institut für Produktion und Logistik der Bremer Universität ein System entwickelt, das dem Wartungsmitarbeiter alle nötigen Informationen direkt ins Auge spiegelt und die Arbeiten mit der Minikamera der Brille gleichzeitig dokumentiert.
Datenbrillen, die so etwas prinzipiell ermöglichen, gibt es schon seit Anfang des Jahrtausends. Doch erst in den letzten Jahren sind sie für den praktischen Einsatz klein, billig und leistungsfähig genug geworden. Ein gutes Dutzend verschiedener Modelle sind inzwischen im Angebot. Einige davon kann ich im Bremer Startup Ubimax ausprobieren.
"Was Sie jetzt anhaben ist die Epson Noverio BT200 mit unserer pick-by-vision-Applikation Xpick und das erste was Sie machen: Sie sehen jetzt schon einen Login-Screen wo Sie aufgefordert werden, sich einzuloggen."
Leonid Poliakov hät mir einen Arbeitsausweis vors Gesicht, die Minikamera an der Außenseite der Brille erfasst den Strichcode. Es piepst – und im oberen Gesichtsfeld meines rechten Auges taucht jetzt tatsächlich ein gelblicher Bildschirm auf. Darauf sehe ich eine schematische Abbildung des Regals vor dem ich stehe. Ein Fach ist rot markiert, daneben sehe ich das Foto der Schraube, die ich herausnehmen und auf einen Montagewagen legen soll. Ich schaffe das gleich im ersten Anlauf.
"Das ist sehr intuitiv. Dadurch sind wir in der Lage, die Effizienzsteigerung zu erzielen, die wir auch im Schnitt bei unseren Projekten zwischen 20 und 40 Prozent auch schaffen, sei es bei DHL, sei es bei Samsung oder bei Volkswagen – gegenüber herkömmlichen Kommissionierlösungen wie z.B. Listen oder aber auch Handterminals."

Die Datenbrille weist den Weg zur Schraube

Ein zweiter Versuch. Jetzt muss ich die zur Schraube passende Mutter finden. Sie liegt in einem Regalfach am anderen Ende der Halle. Die Datenbrille weist mir den Weg. Im rechten Auge sehe ich einen dicken grünen Pfeil, ich folge ihm und schon stehe ich vor dem Regal mit den Muttern. Ein Häkchen am Foto der Mutter bestätigt, das ich das richtige Fach gefunden habe. Für Leonid Poliakov hat das etwas Spielerisches, er spricht von Gamification.
"Gamification ist ein Trend, dass man den Werker mit so kleinen Gimmicks motiviert, vielleicht ne bessere Leistung abzurufen indem man ihm zum Beispiel zeigt wie gut oder wie schlecht er war, oder zum Beispiel auch mit solchen bunten 3-D-Pfeilen, die in seinem Gesichtsfeld eingeblendet werden, die Route anzeigt."
Der Bildschirm im Auge flimmert etwas und wenn der Hintergrund hell ist, kann ich kleine Schrift kaum lesen. Aber einfache Aufgaben lassen sich gut erledigen – und beide Hände bleiben frei. Eine Datenbrille kann aber auch zur Dauerüberwachung genutzt werden. Sie ist nicht nur ein Minibildschirm mit Videokamera, automatisch registriert sie zum Beispiel auch Ort und Zeit. Bei Wartungsarbeiten im Windrad sollen diese Informationen aber nicht genutzt werden, versichert Frank Bischoff.
"Es ist natürlich klar, dass wir nicht an einer Überwachung des Mitarbeiters arbeiten wollen, sondern dass wir den Mitarbeiter unterstützen wollen. Dementsprechend werden bestimmte Angaben, die die Brille zwar liefert, nicht ausgewertet und nicht abgegriffen, zum Beispiel die Ortsbestimmung, wie lange das Gerät läuft, von wann bis wann, solche Geschichten werden einfach gar nicht erfasst."

Wunsch nach einer guten Stereo-Kamera

Was sich der Ingenieur für die Wartung komplizierter Geräte in der Windkraftanlage dagegen dringend wünscht, ist eine gute Stereo-Kamera in der Datenbrille. Mit ihr könnte ein dreidimensionales Abbild der Wirklichkeit erzeugt werden. Der Wartungstechniker wüsste dann nicht nur, ob er eine bestimmte Schraube oben oder unten, sondern auch ob er sie vorne oder weiter hinten suchen muss.
Frank Bischoff hatte für das Forschungsprojekt auf die von Microsoft mit großem Brimborium angekündigte sogenannte Hololens gesetzt. Doch von der existieren bisher nur wenige Prototypen.
"Wir kommen leider an diese Brille nicht ran, die stereographische Bildauswertung wird nach wie vor etwas stiefmütterlich in unserem Projekt behandelt werden müssen. Die Brillen, auf die wir zurückgreifen können, sind deutlich kleiner und gehandicapter. Wir wollen uns auch möglichst unabhängig machen von einem bestimmten Hersteller, unser System soll auf möglichst allen Brillen laufen, aber es gibt keine Normung. Das heißt wir sind ein bisschen dabei, Neuland zu machen. Und das ist natürlich auch eine sehr spannende Geschichte."
Nächstes Jahr wird das Forschungsprojekt abgeschlossen. Bis der Umgang mit den Datenbrillen so selbstverständlich wird wie heute der Blick auf das kleine Display eines Smartphones wird es aber wohl noch etwas länger dauern.
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