Neuer Ansatz für schwierige Geschichte

Von Jörg Taszman · 18.04.2013
Antisemitismus und einige der sehr unheroischen Taten des polnischen Widerstands sind Filmthemen des in Berlin stattfindenen Kinofestes "Film Polska". Das Festival - bis zum Mittwoch in mehreren Berliner Kinos - zeigt Filme über Aspekte der polnischen Geschichte, die in Polen lange als Tabu galten.
Ausgerechnet der Actionregisseur Wladislaw Pasikowski, bekannt für teils gut gemachte B-Pictures, die Korruption und Machtmissbrauch in Filmen wie "Hunde" anprangerten, drehte im Vorjahr den wohl kontroversesten Film des Jahres: "Nachlese" - im Original heißt das Werk "Poklosie", das von zwei Brüdern im Jahr 2000 erzählt. Der ältere Bruder Franciszek Kalina kommt nach über 20 Jahren aus den USA wieder zurück nach Hause.

Er bemerkt, dass sein jüngerer Bruder im Dorf verhasst ist. Er hat jüdische Grabsteine, die zum Straßenbau benutzt wurden, gerettet und in seinem Feld neu aufgestellt. Als beide Brüder dann nachts auch aus dem Kirchhof jüdische Grabsteine ausgraben, schlägt ihnen der blinde Hass der Dorfbewohner entgegen. Nur der aufrechte Pfarrer setzt sich für die beiden ein.

Die Rettung vor dem Mob aber währt nur kurz. Als die Kalinas einem verdrängten Massaker auf die Spur kommen, dass nicht von den Deutschen, sondern von Polen verübt worden ist, schlägt die Animosität der Dorfbewohner in tödlichen Hass um. Regisseur Wladislaw Pasikowski hat ganz bewusst mit Stars wie Maciej Stuhr einen packenden Politthriller gedreht. Der populäre Hauptdarsteller verteidigte den Film im polnischen Fernsehen:

"Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich an einem Film nicht nur als Schauspieler teilnehme ... Wir haben so viele großartige Filme gedreht, die unsere schwierige Geschichte glorifizieren, dass wir auch einmal über - leider - beschämende Momente sprechen müssen, um unser Gewissen zu erleichtern. Aber ich weiß auch, dass ich mir mit dieser Meinung so manchen Gegner mache."

Nun kann man "Nachlese" durchaus vorwerfen, dass der Film weder subtil noch komplex ist. Die antisemitischen Bauern werden ziemlich eindimensional und klischeehaft dargestellt. Aber Pasikowski hat den Finger auf eine Wunde gelegt. Daher ist sein Werk nicht nur politisch hochinteressant, sondern auch als Film sehenswert. Vor allem im Internet liefen Kritiker des Films Sturm, auch Politiker der nationalistischen Partei diffamierten "Nachlese" als antipolnisch. Der bekannteste polnische Filmregisseur Andrzej Wajda sieht das ganz anders. Er verteidigt den Film:

"Das ist ein Film, der uns ganz in der Tradition der polnischen Filmschule Fragen stellt: Haben wir ein Gewissen?"

Nach einer ganzen Reihe von historischen Filmen, die sich vor allem mit dem schwierigen polnisch-russischen Verhältnis auseinandersetzten, gibt es nun einen Kinotrend, die eigene Rolle während und kurz nach dem 2. Weltkrieg zu hinterfragen.

Künstlerisch bedeutsamer als "Nachlese" ist so der Antikriegsfilm "Treibjagd" ("Oblawa") der dramaturgisch verschachtelt die Geschichte eines Verrats unter Partisanen erzählt. Die im Wald lebenden Freiheitskämpfer sind von Hunger und Krankheiten bedroht. Als der eiskalte Partisan Wydra einen ehemaligen Schulfreund eliminieren soll, merkt er kurz vor der Vollstreckung im Wald, dass deutsche Spezialeinheiten seine Gruppe ermordet haben. Er wird von einem deutschen Soldaten überrascht, kann ihn jedoch überwältigen.

Selten wurde der Widerstand gegen ein menschenverachtendes Besatzerregime wie das der Deutschen in Polen so illusionslos entheroisiert wie in "Treibjagd".

Im dritten Film "Róza" der vor einem Jahr in Polen für Diskussionsstoff sorgte, wird dann auf die Rolle der Masuren nach Kriegsende 1945 eingegangen. Offiziell hat Stalin dieses Gebiet den Polen zugeschlagen. Die Masuren, die für Polen und Russen als "Deutsche" gelten, werden verfolgt, vergewaltigt, deportiert oder zwangspolonisiert. Als sich ein untergetauchter, polnischer Soldat der Heimatarmee bei Roza, einer Masurin, einquartiert, wird er Zeuge dieser menschlichen Tragödie. Der örtliche Pfarrer versucht ihm zu erklären, warum Roza auch unter den Masuren nicht sonderlich gelitten ist.

Regisseur Wojtek Smarzowski thematisiert das Leid der deutschen und polnischen Zivilbevölkerung in einer Zeit wo Chaos, Gewalt und Misstrauen allgegenwärtig sind. Und so sind allein diese drei Filme, die sich anders mit polnischer Geschichte auseinandersetzen, der Beweis, wie vital das polnische Kino derzeit ist . In unserem Nachbarland beleuchtet man die eigenen Vergangenheit durchaus kritisch. Fragwürdiger ist dagegen, warum weder das deutsche Fernsehen, noch deutsche Kinoverleiher diese Werke zeigen.

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