Neue Rücksichtslosigkeit

Politische Dealmaker auf dem Vormarsch

Rosenmontagsumzug in Düsseldorf: Ein politischer Mottowagen zeigt den US-Präsidenten Donald Trump (r) und Kim Jong Un, Machthaber von Nordkorea, bei einem Boxkampf.
Ohne Rücksicht auf fremde Verluste versuchen die heutigen Machthaber aus jeder Situation das herausholen, was ihnen oder ihrer Klientel am meisten nutzt, meint Uwe Bork. © dpa / picture alliance / Ina Fassbender
Von Uwe Bork · 04.04.2018
Der vorherrschende Grundsatz in Politik wie Gesellschaft könnte fast lauten: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. Der Begriff Verhandlungspartner sei obsolet, meint Uwe Bork. Der Journalist sorgt sich um die Konsequenzen der neuen Ichbezogenheit der Politiker.
"Il conto, per favore", "die Rechnung bitte": Wirte in Italien und selbst im Ristorante um die Ecke ziehen zumindest missbilligend die Augenbrauen in die Höhe, wenn wir Deutschen nach einem gemeinsamen Mahl unter Freunden alle eben noch gepflegten Gemeinsamkeiten plötzlich vergessen. Ist es bei unseren südlichen Nachbarn doch üblich, gemeinsam für die gesamte Runde zu bezahlen und dann die verauslagte Summe einfach zu teilen: entweder in gleich große Beträge oder nach Lust, Laune und Dicke der Portemonnaies. Unser deutscher Buchhalterbrauch, anhand der Speisekarte die gehabten Genüsse auf die Kommastelle genau zu personalisieren, gilt im Lande von Pasta, Pizza und Polenta als extrem kleinlich.

Aus jeder Situation wirklich alles herausholen

Und dennoch: "Die Rechnung bitte!", weltweit scheint der Wunsch auf dem Vormarsch zu sein, lange gepflegte Gemeinsamkeiten aufzukündigen. Die coole Lässigkeit vergangener Jahrzehnte, die auch die traditionellen 'Fünfe' einmal grade sein ließ, ist offenbar dahin. Nachdem Geiz bereits seit geraumer Zeit als geil galt, sind nun die 'Dealmaker' die Männer der Stunde. Sie sind diejenigen, die ohne Rücksicht auf fremde Verluste aus jeder Situation das herausholen, was ihnen oder ihrer Klientel am meisten nutzt. Und – bitte – werfe mir jetzt niemand eine gendermäßig überholte Sprache vor: Frauen haben sich auf dem Gebiet des übergreifenden bis übergriffigen 'Dealmakings' bislang noch nirgends so richtig etablieren können. Ob aus besserer Überzeugung oder nur mangels Gelegenheit, das muss die Zukunft zeigen.
Mehr und mehr bestimmt auf unserem Globus der persönliche Vorteil die Blickrichtung. Großzügigkeit wird nur noch als Schwäche wahrgenommen, ein Kompromiss als Scheitern. Selbst in der internationalen Politik wird gegenwärtig genau kalkuliert, was sich auszahlt und was nicht. Mögen Präsidenten und Potentaten auch eher über das diplomatische Parkett stolpern als schreiten: Dass ohne Ausnahme die Interessen des eigenen Landes stets ganz oben auf der Agenda zu stehen haben, ist bei den Dealmakern in den Parlamenten und Palästen zum obersten Prinzip geworden. Mittlerweile hat das den Begriff des 'Verhandlungspartners' jeder Bedeutung beraubt und eine gefährliche Entwicklung in Gang gesetzt: Längst sind es nicht mehr nur die Diktatoren, die zu Diktaten neigen.

Die Flatrate-Mentalität wird auf Dauer teuer – für alle

Bereits Samuel Huntingtons Prophezeiung eines Zusammenstoßes der Kulturen war ja eher ein Panorama pessimistischer Perspektiven als die Enthüllung einer paradiesischen Zukunft. Inzwischen wurde sie jedoch abgelöst durch noch weit beunruhigendere Aussichten: Statt des Glaubens könnte es jetzt die Gier sein, die Kriege provoziert und Gesellschaften auseinanderbrechen lässt.
Das engstirnige Schauen auf den kurzfristigen Vorteil übersieht zwangsläufig die Notwendigkeit, gemeinsame Ziele und Aufgaben auch gemeinsam in Angriff zu nehmen. Ja, vielfach übersieht es sogar, dass es diese Ziele und Aufgaben überhaupt gibt. Überraschenderweise entpuppt es sich dabei als die andere Seite jener Flatrate-Mentalität, die möglichst wenig zahlen will und trotzdem auf alles Anspruch zu haben glaubt. Beides ist ein anti-soziales Denken, das auf die Dauer nur Verlierer kennt.
"Die Rechnung bitte!" Es steht zu befürchten, dass sie uns in der Tat demnächst präsentiert wird. Sollte es uns nicht bald gelingen, uns nach Art einer mediterranen Tischgesellschaft auf eine verträgliche Kostenteilung zu einigen, die niemanden überfordert, aber auch niemanden aus seiner Verantwortung ausschließt, könnte die gemeinsame Zeche unbezahlbar werden. Und dann für uns alle.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bork arbeitete als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten.

Seit 1998 leitet er die Stuttgarter Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft‘ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.

Der Theologe Uwe Bork
© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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