Neue Nordkirche keine "Rettung in der Not"

Gerhard Ulrich im Gespräch mit Gabi Wuttke · 25.05.2012
Als historischen Schritt hat der Vorsitzende der gemeinsamen Kirchenleitung der an Pfingsten neu entstehenden Nordkirche, Bischof Gerhard Ulrich, den Zusammenschluss gewürdigt. Als besondere Aufgabe bezeichnete er es, auch die Menschen ohne Glauben zu erreichen.
Gabi Wuttke: Nordelbien, Mecklenburg, Pommern – aus drei mach eins: die evangelisch-lutherische Nordkirche. An Pfingstsonntag wird in Ratzeburg das Gründungsfest nicht nur für 2,2 Millionen Gemeindemitglieder gefeiert. Bischof Gerhard Ulrich in Schleswig ist der Vorsitzende der gemeinsamen Kirchenleitung Nordkirche. Einen schönen guten Morgen!

Gerhard Ulrich: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Das ist ein historischer Schritt, der da gegangen wird. Warum hat dieser Schritt in fünf Jahren an vielen Nerven gezerrt?

Ulrich: Weil es in der Tat ein großer historischer Schritt ist und es ist das erste Mal seit der Wende, dass eine Westinstitution mit zwei Ostinstitutionen zusammengeht, und zwar so, dass es nicht einen Anschluss von Ost nach West gibt, sondern wir haben uns entschieden, eine neue Kirche zu gründen, eine neue Verfassung zu schreiben und zu dritt etwas ganz Neues entstehen zu lassen. Darum haben wir uns diesen langen Zeitraum genommen und darum brauchte es auch diesen langen Zeitraum.

Wuttke: Aber der Plan der beiden Kirchen von Mecklenburg und Pommern war ja eigentlich zu fusionieren.

Ulrich: Das war ein Fusionsschritt, das ist richtig. Das ist nicht gelungen, es gibt unterschiedliche Gründe dafür.

Wuttke: Die da wären?

Ulrich: Ja, die liegen mit Sicherheit in den sehr unterschiedlichen Kulturen dieser beiden Kirchen. Die haben ja eine ganz lange Geschichte. Im Unterschied zu unserer Nordelbischen Kirche, die erst 35 Jahre alt ist und entstanden ist aus fünf ehemals selbstständigen Landeskirchen sind dies – die Pommersche Evangelische Kirche und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs – Kirchen mit einer ganz langen Geschichte und Tradition.

Und zudem haben sie beide ihre Geschichte auch mit dem Gemeindeaufbau und dem Kirche-Sein in der Geschichte der DDR, und da ist es natürlich nicht ganz einfach gewesen, zusammenzukommen. Das sieht man ja auch an anderen Beispielen. Also die Fusion der Mitteldeutschen Kirchen zum Beispiel in Thüringen und in der Kirchenprovinz Sachsen haben ja auch zwei Anläufe gebraucht. Und so war es dann doch offensichtlich leichter, die unterschiedlichen Kulturen zusammenzubringen, indem eine dritte Institution, nämlich die Nordelbische Kirche, aus dem Westen dazukam.

Wuttke: Sie haben ja schon das Wort vom Anschluss, der nicht stattfinden wird, gebraucht. Als westlicher Nachbar – waren Sie da auch möglicherweise Retter in großer Not?

Ulrich: Nein, ich glaube, so kann man das nicht sehen. Wir bauen diese Fusion ja nicht nur auf die fünfjährigen Verhandlungen auf, sondern es gibt zwischen diesen drei Landeskirchen eine lange Geschichte der Partnerschaften. 60 Jahre Partnerschaften gibt es zwischen Gemeinden, zwischen Kirchenkreisen, auf verschiedenen Ebenen. Seit der Wende haben wir verschiedene Projekte, die wir gemeinsam gestalten und finanzieren, zum Beispiel die Ausbildung der Pastorinnen und Pastoren, die Fortbildungen der Pastorinnen und Pastoren. Im Bereich der Diakonie hat es gemeinsame Projekte gegeben. Also insofern war es nicht Rettung in der Not, sondern hier bauten wir auf auf eine erprobte und bewährte Partnerschaft.

Wuttke: Das heißt, somit wird auch kompensiert, dass Mecklenburg und Pommern ihre Eigenständigkeit verlieren?

Ulrich: Wir haben versucht, eine Verfassung zu bilden, in der die unterschiedlichen Kulturen und die gewachsenen Strukturen und Erfahrungen der Regionen, die jetzt zusammenkommen, ihren Platz finden werden.

Wuttke: Und warum bedarf es immer noch Verhandlungen darüber, welche Lieder im gemeinsamen Gesangsbuch stehen werden?

Ulrich: Wir haben ja einen Ausschuss gebildet, der auf den Weg sich macht, ein gemeinsames Gesangbuch herauszubringen. Es hat ja gerade erst vor einigen wenigen Jahren … ich glaube, es ist noch nicht mal zehn Jahre her, dass es neue Gesangbücher gegeben hat, und da gab es die Zusammenarbeit zwischen Mecklenburg und Bayern. Das ist immer noch eine starke Partnerschaft. Und so gibt es dort sehr viel Gemeinsames im Gesangbuchbereich. Aber wir sind dabei, ein neues, gemeinsames Gesangbuch zu entwickeln.

Wuttke: Aber es heißt, es gibt immer noch ganz spezifische Befindlichkeiten?

Ulrich: Ja, die gibt es natürlich, und die haben doch nicht nur störenden Charakter, sondern die Unterschiede, die jetzt zusammenkommen, die empfinden wir als einen Reichtum und als eine Bereicherung. Und wir wollen das nicht eliminieren, sondern wir wollen versuchen, das in dem neuen Gebilde der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland zusammenzubringen.

Wuttke: Was Sie auch einen wird, das sind die Probleme, zum Beispiel immer kleiner werdender Gemeinden. Wie sehen Sie sich da jetzt aufgestellt als Nordkirche?

Ulrich: Besser als vorher, sage ich mal. Wir werden jetzt die Probleme, die es gibt, gemeinsam schultern. Wir werden allerdings auch sehr differenziert darauf achten, dass die unterschiedlichen Bedingungen, in denen Gemeinde gebaut wird und in denen Kirche lebt, auch berücksichtigt werden. Also dies ist ja eine Kirche, die sowohl die Metropole Hamburg zum Territorium zählt, als auch die vielen ländlichen Räume, die auch wieder unterschiedlich geprägt sind. Und da sind wir gut beraten, wenn wir sehr differenziert hinschauen.

Da sind wir dabei, uns darauf kräftig einzustellen, zum Beispiel mit der gegründeten Arbeitsstelle für den Dialog mit Menschen, die ohne Konfession sind. Das ist ja eine der Herausforderungen in Zukunft, nicht nur in Mecklenburg und Pommern, sondern auch in den ehemaligen nordelbischen Gebieten, zu überlegen: Wie können wir unseren Auftrag, das Wort Gottes zu verkündigen, das Evangelium von Jesus Christus, die frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen, auch so zum Ausdruck bringen und so in Form bringen und so Fleisch werden lassen, dass auch Menschen es verstehen können und davon angezogen und angesprochen werden, die keine Geschichte mit dem Glauben haben?

Wuttke: In der Politik kursiert ja inzwischen schon das Wort vom Nordstaat. Könnte Ihre Kirche da Vorreiterin sein?

Ulrich: Ich habe immer gesagt, dass diese Fusion keine Blaupause ist. Jedes Zusammenkommen von Institutionen und gar Bundesländern erfordert ganz eigene Prozesse, da muss man ganz genau hinschauen. Was wir allerdings bieten können, ist unser reicher Erfahrungsschatz, wie man so etwas angehen kann. Unser Prozess hat sich ja dadurch ausgezeichnet, dass wir auf Augenhöhe miteinander verhandelt haben,…, dass wir darauf geachtet haben, dass die drei Partner in allen Gremien, in allen Beratungsrunden, von Anfang an zu gleichen Teilen vertreten waren, egal, ob es nun eine kleine oder eine große Kirche war. Solche Dinge.

Wenn auf größerer Ebene, auf politischer Ebene, Fusionsverhandlungen angedacht werden sollten, wenn ein Nordstaat angedacht werden sollte, kann ich wärmstens empfehlen, auf unsere Erfahrungen zurückzugreifen, was die Kommunikation angeht. Aber mir ist sehr wohl klar, dass das, was wir hier gemacht haben, ganz spezifisch auf unseren Bereich zugeschnitten ist und auf die kirchlichen Bedingungen zugeschnitten ist und keine einfache Übernahmeform ist für andere Fusionen, zum Beispiel von Bundesländern.

Wuttke: Könnte aber vielleicht doch ein Vorbild sein. Vielen Dank, im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Bischof Gerhard Ulrich, der Vorsitzende der gemeinsamen Kirchenleitung Nordkirche. Ihnen besten Dank und einen schönen Tag!

Ulrich: Ich danke Ihnen auch und wünsche Ihnen einen gesegneten Tag!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr zum Thema bei dradio.de:
Was bei den Protestanten zusammenwächst - Herausforderung Kirchenfusion - die Selbstheilung des Gelähmten, (DKultur, Politisches Feuilleton vom 24.5.2012)
Mehr zum Thema