Was bei den Protestanten zusammenwächst

Von Knut Berner · 24.05.2012
Die Fusion mehrerer Landeskirchen zur Nordkirche ist zukunftsweisend. Sie ist vor allem der Versuch zur Überwindung des kleingeistigen Denkens: meine Kanzel, mein Sprengel, mein Klingelbeutel, meint der Theologe Knut Berner.
Aus Franz Kafkas Roman "Das Schloss" ist bekannt, dass scheinbar imposante Gebilde nicht immer halten, was sie auf den ersten Blick versprechen. Sie können sich bei näherem Hinsehen als provinziell erweisen und ihre Bedeutung hängt davon ab, ob sie die ihnen geltenden Sehnsüchte erfüllen oder sich als unzugänglich herausstellen. Kann man in das Schloss gelangen und welche Botschaften sendet es aus?

Angesichts des Zusammenschlusses der drei norddeutschen evangelischen Kirchen zur sogenannten Nordkirche, der Pfingstsonntag in Anwesenheit des Bundespräsidenten vollzogen wird, stellen sich ähnliche Fragen: Ist die neu entstandene große Kirche zugänglich für alle, die in sie hineinwollen? Hat sie eine befreiende Aura oder fasziniert sie einzig aufgrund ihrer Struktur, die ansprechend aussieht? Greift sie Sehnsüchte auf, ohne Erwartungshorizonte immer nur zu bestätigen und damit eng zu halten?

Diese Fragen stellen sich, gerade weil die Fusion der Kirchen von Nordelbien, Mecklenburg und Pommern zur Nordkirche zu begrüßen ist. Kooperationen zwischen diesen Landeskirchen gibt es schon länger und durch die Vereinigung bleibt die synodale Struktur erhalten, die das organisatorische Aushängeschild des Protestantismus ist. Römischer Zentralismus ist daher nicht zu befürchten.

Wenngleich der Zusammenschluss zumindest auch den finanziellen Schwierigkeiten der Kirchen geschuldet ist, so bietet er doch die Chance, ost- und westdeutsche Erfahrungen und Perspektiven enger zu verzahnen. Geistliche Bereicherungen sind gewollt und können tatsächlich dabei herauskommen, denn im Gegensatz zu manchen spektakuläreren Wirtschaftsfusionen handelt es sich bei der Nordkirche nicht um das Ergebnis einer feindlichen Übernahme.

Zukunftsweisend ist vor allem der Versuch zur Überwindung des Kleingeistigen, das bis in die einzelnen Kirchengemeinden hinein strukturell das Denken und Handeln in größeren Zusammenhängen erschwert: meine Kanzel, mein Sprengel, mein Klingelbeutel.

Theologiestudierende sind nach wie vor gehalten, in ihrer Landeskirche Examen zu machen und zu bleiben, weshalb sich Pfarrerinnen aus Dortmund nicht in Bonn bewerben können. Wem will man heutzutage diesen Provinzialismus vermitteln können?

In dieser Hinsicht können Kirchenfusionen die Selbstheilung des Gelähmten begünstigen und auch der Politik als Vorbild dienen. Denn die so oft als rückständig gescholtene Kirche geht durch Fusionen wie in Norddeutschland mit gutem Beispiel voran – wer braucht denn so kleine Bundesländer wie Berlin, Bremen oder Hamburg, deren Kleinstaaterei sinnlose Kosten und nur eingebildete Bedeutsamkeit mit sich bringt.

Strukturell sieht die Nordkirche soweit gut aus. Entscheidend sind allerdings die Inhalte, was durch überzogene Beschäftigung mit Organisatorischem leicht verdeckt wird. Dramatisch ist der Mitgliederschwund der Kirche, viele Suchende finden gar nicht erst Zugang zu ihr. Vielleicht, weil sie sich nicht angesprochen fühlen von lauen Wertedebatten und Glückskeks-Philosophien, die sie auch an anderer Stelle geboten bekommen?

Oder weil sie enttäuscht sind von der minderen Qualität und Originalität, mit der allzu oft präsentiert wird, was nach der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 die einzige Aufgabe der Kirche ist, nämlich "die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk"?

Kirchliche Strukturveränderungen haben diesem Ziel zu dienen und zu ermöglichen, Aufgaben nach Befähigungen und Leistungsbereitschaft zu verteilen sowie kirchliches Personal zu motivieren, Bildung, Zeit und Gedankenarbeit in Predigt und Seelsorge einzubringen. Denn alleine darum geht es: Dass Menschen von der befreiend-versöhnenden Botschaft angezogen in die Kirche gelangen und sie nicht nur umkreisen wie andere imposante Gebilde, die nicht halten, was die Imagination ihnen andichtet. Nicht in jedem Schloss wohnt ein gnädiger Geist. Dem neuen Format Nordkirche wünsche ich in dieser Hinsicht Erfolg und Ausstrahlung.

Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.© privat
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