Neue Fronten, alte Bekannte

Von Michael Laages |
Beim Festival für die Regietalente an den Regie-Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Raum gab es in diesem Jahr erstaunlich oft Stücke aus vertrautem Material. Und zwei überzeugende Überraschungen.
Von einer „Schnapsidee“ ließ die Fach-Jury sich überzeugen. So jedenfalls charakterisierte Thalia-Dramaturg Carl Hegemann die Idee des Münchner Regisseurs Malte C. Lachmann, „Schwarze Jungfrauen“, die Monologe fundamentalistischer Frauen, gesammelt von Günter Senkel und Feridun Zaimoglu, im hippen Musical-Ambiente zu erzählen.

„Wie weggewischt…“ – so lautete das einhellige Urteil von Hegemann, dem Wiener Schauspielhaus-Chef Andreas Beck und der Osnabrücker Schauspiel-Chefin Annette Pullen, von der „Theater heute“-Journalistin Barbara Burckhardt sowie Miriam Tscholl von der Dresdner „Bürgerbühne“- „…waren auf diese merkwürdige Weise alle kulturellen und moralischen Vorurteile, die der nicht unumstrittene ‚Jungfrauen‘-Text unterschwellig ja auch transportiert.“ Stattdessen wurde das fundamentale Verlangen unterschiedlichster Generationen und sozialer Gruppen kenntlich. Und erst recht von Frau und Mann.

Die Produktion von der Münchner Theaterakademie „August Everding“ – von Schauspiel- und Musical-Abteilung gemeinsam erarbeitet – erhielt den Hauptpreis beim 9. Körber-Studio Junge Regie am Thalia Theater in Hamburg. Der ausgezeichnete Regisseur bekommt die Chance, eine Produktion an einem deutschen Stadt- oder Staatstheater zu erarbeiten. Vermutlich kann sich Annette Pullens Osnabrücker Theater auf Lachmanns Debüt freuen.

Den Publikumspreis erhielt Julia Wisserts Inszenierung von Ibsens „Nora“ am „Mozarteum“ in Salzburg. Und mit diesen beiden Produktionen ist das Spektrum dieser nicht rundum überzeugenden Festival-Ausgabe einigermaßen konkret umrissen.

Erstaunlich oft (und manchmal nicht unbedingt aus freien Stücken) griffen und greifen die Regie-Talente an den zwölf Regie-Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Raum zu mehr oder minder vertrautem Material: Eben zu „Nora“, im Kleist-Jahr zu „Michael Kohlhaas“, zu „Kasimir und Karoline“ von Horvath, zum wenig bekannten Fassbinder-Text „Anarchie in Bayern“, zu Goethes „Clavigo“ sogar. Und nur diese Berliner Goethe-Version blieb unter dem Niveau der anderen Bearbeitungen.

Dem gegenüber standen in den vergangenen Jahren und auch diesmal noch immer die Theater-Projekte, die – oft ohne literarische Vorlage – von den Studiengängen zum Beispiel in Giessen kommen.

Aber dieses oft demonstrativ amateurhafte Experimentieren scheint den Gipfel der Mode durchaus überschritten zu haben. Stattdessen rücken Theater-Arbeiten in den Blick- und Mittelpunkt, die sich aus der Erfahrung „wirklichen Lebens“ speisen: die Roman-Bearbeitung „Einladung an die Waghalsigen“ von der Münchner Falckenberg-Schule, „Frühling und Hoffnung = Bahar und Omid“ von der Folkwang-Schule aus Essen (eine Dokumentation über bürgerlich-intellektuell-widerständigen Alltag im Iran) und „Von toten Vögeln. Ich suche den Fehler darin“ von der erstmals in Hamburg beteiligten Theaterakademie Baden-Württemburg aus Ludwigsburg – ein stark überambitionierter Text über drei Frauen-Generation in Deutschland, mit Tochter, Mutter und Oma – stehen für derlei Alltagsforschung. Auch hier war die Jury meistens beeindruckt. Neue Fronten also und alten Bekannte.

Aus Amsterdam kam zudem die „School of Arts“; und sie hat (mit dem „Terrorismus“-Stück der russischen Gebrüder Presnjakow) unter anderem bewiesen, auf welch anderen Pfaden sich auch die Theater-Ausbildung entwickelt in den Niederlanden, Europas kulturellem Katastrophenland Nummer eins zurzeit.

Die Regie-Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz nutzen weiterhin offensiv den freien Raum, den das Theaterstudium hierzulande noch bietet. Für die jungen Regisseurinnen und Regisseure kommt der Praxis-Schock danach noch früh genug.

Informationen der Körber-Stiftung
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